Ein sinnlicher Anblick: das Frauenbildnis des Fensterschmucks, Ausschnitt aus der Herme. Foto: Peter Strotmann

Ein sinnlicher Anblick: das Frauenbildnis des Fensterschmucks, Ausschnitt aus der Herme.
Foto: Peter Strotmann

Altes Epitaph aus der zerstörten St. Ansgarii-Kirche findet neue Verwendung als Fensterschmuck

Die Schönheit ohne Nase zierte einst ein Grabdenkmal in der alten St. Ansgarii-Kirche. Aus deren Trümmern wurde das Fragment geborgen – und fand als Fensterschmuck eine neue Bleibe im Schnoor. Gar nicht weit entfernt von der Elefantentür, die einmal zum abgebrochenen Lloydgebäude gehörte. Eine andere, weniger bekannte Seite des Schnoor als Hüter alter Relikte aus Bremens Vergangenheit.

Hermann Vasmers Herme taucht im Schnoor auf: Bei dieser Feststellung wird sich mancher wundern. Herme? Was soll das sein? Und was hat dieser Hermann Vasmer damit zu schaffen? Deshalb will ich es ganz behutsam erklären.

Hermann Vasmer war ab 1549 Bremer Ratsherr, ab 1562 Bürgermeister und starb 1567. Man platzierte ein Grabdenkmal, ein sogenanntes Epitaph, an einer Innenwand der alten St. Ansgarii-Kirche. Dieses Epithaph war jedoch auch Carsten Christian Steding gewidmet. Er wurde 1562 Ratsherr, 1575 Bürgermeister und starb 1597. Es ist somit ein Doppel-Epitaph.

Das Doppel-Epitaph Vasmer-Steding vor der Zerstörung an einer Innenwand der alten St. Ansgarii-Kirche. Links ist der Teil Vasmer, rechts Steding. Die Herme mit dem Frauenbildnis ist links neben dem Relief, etwa in der Mitte des Epitaphs. Es befindet sich heute an der Fassade des Hauses Schnoor 38. Inschriften: Über der linken Relieftafel (Auferweckung des Lazarus): Johannes Evangelium Kapitel 11 (lateinisch) Über der rechten Relieftafel (Auferweckung des Lazarus): Hesekiel, Kapitel 37 (lateinisch). Unter den Darstellungen jeweils Gedenksprüche für die namentlich genannten Verstorbenen in deutscher Sprache (und Schrift). Quellen: Staatsarchiv Bremen und Ansgarii-Gemeinde

Das Doppel-Epitaph Vasmer-Steding vor der Zerstörung an einer Innenwand der alten St. Ansgarii-Kirche. Links ist der Teil Vasmer, rechts Steding. Die Herme mit dem Frauenbildnis ist links neben dem Relief, etwa in der Mitte des Epitaphs. Es befindet sich heute an der Fassade des Hauses Schnoor 38.
Inschriften: Über der linken Relieftafel (Auferweckung des Lazarus): Johannes Evangelium Kapitel 11 (lateinisch)
Über der rechten Relieftafel (Auferweckung des Lazarus): Hesekiel, Kapitel 37 (lateinisch).
Unter den Darstellungen jeweils Gedenksprüche für die namentlich genannten Verstorbenen in deutscher Sprache (und Schrift).
Quellen: Staatsarchiv Bremen und Ansgarii-Gemeinde

Die erste St. Ansgarii-Kirche wurde 1243 geweiht, Ende des 14. Jahrhunderts in eine Hallenkirche umgebaut. In den folgenden Jahrhunderten stattete man den Innenraum mit einer ganzen Anzahl Epitaphien aus, die für die Verstorbenen gestiftet waren. Leider war die St. Ansgarii-Kirche, in der Innenstadt gelegen, am Ende des Zweiten Weltkrieges eine Ruine und man baute sie nicht wieder auf. Stattdessen errichtete man einen Neubau an der Schwachhauser Heerstraße, Ecke Hollerallee.

Epitaphien waren nicht zu sichern

Da die Epitaphien fest mit dem Mauerwerk der alten Kirche verankert waren, konnten sie nicht vor den Bombenangriffen und dem Turmeinsturz im Jahre 1944 in Sicherheit gebracht werden. Einige Epitaphien ließen sich aus der Ruine bergen und zieren heute das rechte Seitenschiff der neuen Kirche. Zu jedem Epithaph ist dort auch eine Beschreibung beigegeben. Der Gang in die Kirche: ein lohnenswerter Besuch.

Andere Epitaphien waren ganz zerstört und damit verloren. Das Doppel-Epitaph Vasmer-Steding konnte teilweise geborgen werden. Die Vasmer’sche Relieftafel blieb unversehrt und hängt in der neuen Kirche. Andere Fragmente sollen  im Keller der Kirche lagern.

Das linke Seitenteil des Reliefs ist eine sogenannte Herme. Eine Herme bezeichnet in der antiken Kunst einen Pfeilerschaft mit aufgesetztem Kopf und Schultern. Und damit wären wir beim Thema: Dieses schöne Stück Sandstein hat einen Liebhaber gefunden. Beim Bau des Hauses Schnoor 38 brauchte man noch einen Blickfang für den unteren Teil der Fassade. Da war diese Herme genau das Richtige. Man bezeichnet solche Überreste aus Bauten älterer Kulturen, die in neuen Bauwerke wieder verwendet werden, als Spolien.

Sandstein-Relief (100 x 58 cm) aus dem Vasmer-Epitaph. Es hängt jetzt in der neuen St. Ansgarii-Kirche. Foto: Peter Strotmann

Sandstein-Relief (100 x 58 cm) aus dem Vasmer-Epitaph.
Es hängt jetzt in der neuen St. Ansgarii-Kirche.
Foto: Peter Strotmann

Es fehlt ein großes Stück der Nase

So reicht’s aber mit dem ganzen Fachchinesisch. Man muss wirklich sagen, dass sich die Herme gut als Verkleidung der Mittelstütze zwischen zwei Fenstern des Hauses macht. Oben und unten musste ein wenig Sandstein angestückelt werden. So ganz unbeschadet hat das Frauenbildnis die Strapazen der letzten Jahrzehnte allerdings nicht überstanden, denn ihr fehlt ein großes Stück Nase. Natürlich blickt jeder/jede auf die perfekt geformte Brust. Dieses Epitaph könnte noch dem Spät-Mittelalter zuzuordnen sein. Das endete zwar schon um 1500, aber in Bremen dachte und handelte man eher traditionell.

Ich hoffe, dass damit die Eingangsfeststellung verständlich geworden ist: Hermann Vasmers Herme taucht im Schnoor auf.

von Peter Strotmann

Einst in der alten St. Ansgarii-Kirche, jetzt als Fensterschmuck im Schnoor: das Epitaph als Verkleidung der Mittelstütze zwischen zwei Fenstern im Erdgeschoss des Hauses Schnoor 38. Foto: Peter Strotmann

Einst in der alten St. Ansgarii-Kirche, jetzt als Fensterschmuck im Schnoor: das Epitaph als Verkleidung der Mittelstütze zwischen zwei Fenstern im Erdgeschoss des Hauses Schnoor 38.
Foto: Peter Strotmann

Von Anbiet bis Zuckerklatsche

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