Vor 50 Jahren sollte der Vegesacker Sedanplatz eine städtebauliche Dominante erhalten

Die Nordbremische Gesellschaft für Wohnungsbau hatte drei Bremer Architekturbüros gebeten, Planungsgutachten für die Nordseite des Sedanplatzes zu erstellen. Das Bauprogramm war komplex. Vorrangig ging es um ein Bürgerhaus mit Saal, Restaurant, Volkshochschulräumen und Hotel. Zudem sollte ein Verwaltungsgebäude entstehen, gedacht war an das Ortsamt, das schon seit 1959 an diesem Ort vorgesehen war. Und natürlich hatte die einladende Gesellschaft, eine Tochter der Bremer Treuhandgesellschaft für Wohnungsbau, auch ein Wohnbauprojekt im Sinn. Als am 27. April 1971 die Obergutachter-Kommission tagte, erhielt nach Abwägung der Vorschläge das Büro Team 4 den Zuschlag.

Ein Gigant mit 23 Geschossen: Ansicht des vom Team 4 vorgelegten Entwurfs für das Bürgerhaus Vegesack.
Quelle: Bremer Zentrum für Baukultur

Ihr Entwurf sah vor, den Platz, der zu diesem Zeitpunkt eher einem riesigen ungestalteten und überwiegend als Parkplatz genutzten Gelände als einem klassischen Stadtplatz glich, um gut ein Drittel zu kürzen, um auf diesem Drittel ein hochverdichtetes Bauprogramm unterzubringen. Der achtgeschossige Verwaltungsriegel und das dreigeschossige Bürgerhaus bilden den neuen Raumabschluss des Platzes, wobei der wabenförmige Saalkörper des Bürgerhauses in den Platz hineinragte. Das Hotel grenzte östlich an der platzabgewandten Seite ans Bürgerhaus an. Höhepunkt des Entwurfs war aber – im wahren Sinne des Wortes – ein 23-geschossiges Wohnhochhaus, das aus dem dreigeschossigen „Sockel“ des Bürgerhauses emporwuchs. Der Turm hätte dem Aalto-Hochhaus als Bremens höchstes Wohngebäude den Rang streitig gemacht und Raum für rund 100 Eigentumswohnungen geboten – den unverstellten Blick in die Weite der Wesermarsch garantiert. Aber auch an Altenwohnungen war gedacht, die enge Verbindung zum Bürgerhaus galt dabei als besonderer Pluspunkt.

Gegenüber ein neues Kaufhaus

Die Architekten hatten sogar über den Programmrahmen hinaus gedacht. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite der angrenzenden Kirchheide, wo seinerzeit noch die Reeperbahn der Tauwerkfabrik Gleistein stand, schlugen sie den Bau eines Kaufhauses vor, das mit dem Bürgerhaus über eine Brücke verbunden werden sollte. Eine sogenannte Ausstellungsbrücke sollte zudem das Bürgerhaus mit dem Verwaltungsbau verbinden. Trotz des großen Lobes für den Entwurf musste die Gutachterkommission die damit verbundenen Erwartungen etwas dämpfen. Der Vorsitzende der Kommission, Professor Gerhard G. Dittrich, erklärte, dass sich wohl die Höhen des „Wolkenkratzers“ und des Verwaltungsbaus um etwa ein Drittel reduzieren müssten.

Dittrich war Leiter des Städtebauinstituts Nürnberg (SIN), das 1970 vom Senat der Auftrag erhalten hatte, vorbereitende Untersuchungen für eine städtebauliche Sanierung Alt-Vegesacks vorzunehmen. Das Institut war in Bremen nicht unbekannt, seit 1967 befasste es sich mit einer ähnlichen Untersuchung im Bereich Ostertor/Remberti. Und in beiden Fällen war die Strategie des SIN eine vergleichbare: Als notwendig erachtete Straßenbaumaßnahmen sollten von einer hochverdichteten Neubaustruktur flankiert werden. „Flächensanierung“, so der Fachbegriff, gern geschmückt mit der irreführenden Formel „Urbanität durch Dichte“.

Überwiegend als Parkplatz genutzt: das vorgesehene Baugelände in Vegesack.
Quelle: Bremer Zentrum für Baukultur

Strategisches Interesse

In Vegesack ging es darum, den Durchgangsverkehr aus dem Kern herauszunehmen, um das wichtigste Nebenzentrum der Stadt mit einer Fußgängerzone attraktiver zu machen. Dem SIN schwebte ein leistungsfähiger Straßenring um das Zentrum vor. Und die Nordbremische Gesellschaft für Wohnungsbau hatte vermehrt spekulativ Grundstücke im Bereich des Rings gekauft in der Erwartung, dort „verdichtet“ bauen zu können. Im Bereich des sogenannten „Fährdurchbruchs“ im Unteren Vegesack wurde 1970 damit begonnen, „vorsorglich“ rund 100 Häuser abzureißen. Der an der Nordseite des Sedanplatzes verlaufende Straßenzug Kirchheide-Aumunder Heerweg war ebenfalls Teil des geplanten Straßenrings und daher das strategische Interesse der Wohnungsbaugesellschaft und des Städtebauinstituts naheliegend.

Überarbeitete Planungen: der 1974 vorgestellte Alternativentwurf des Teams 4.
Quelle: Bremer Zentrum für Baukultur

Auch die Architektengruppe Team 4 war im Bremer Norden kein unbeschriebenes Blatt. Im Dezember 1968 hatte die Bremer Treuhand das Gelände der Norddeutschen Steingutfabrik an der Grohner Düne erworben, um dort nach Plänen von Team 4 eine Großwohnanlage für rund 3000 bis 4000 Bewohner zu bauen. Der Entwurf zeigte drei gewundene Gebäudezeilen, die sich, die Höhenentwicklung der Düne nachzeichnend, von fünf auf 14 Stockwerke hochstaffelten. Auch für ein anderes Großwohnprojekt war Team 4 architektonisch verantwortlich: Im Wätjens Park plante ab 1969 die Werft Bremer Vulkan in Kooperation mit der Bremer Treuhand und der Norddeutschen Gesellschaft für Wohnungsbau eine Großwohnanlage für ihre Arbeiter. Der 1971 vorgelegte Entwurf sah 1000 Wohnungen in drei von acht bis zu 24 Geschossen ansteigenden Hochhausriegeln vor. Aufgrund von nicht darstellbaren Kostenmieten wurde dieses Projekt 1972 aufgegeben, während die Bauten der Grohner Düne zum Teil ab 1973 fertiggestellt waren.

Die Grohner Düne als heilsamer Schock

1973 war auch das Jahr, in dem das SIN sein Konzept für die Sanierung Vegesacks vorstellte. Parallel dazu hatte das Bauamt Bremen-Nord ebenfalls ein Konzept entwickelt. Beide stießen aber auf keine große Begeisterung, als sie im Juli in der Öffentlichkeit erläutert wurden – insbesondere als bekannt wurde, dass zu den 100 bereits abgerissenen Häusern weitere 140 der Verkehrsplanung weichen müssten. Inzwischen hatte sich eine Bürgerinitiative formiert und die Grohner Düne spielte dabei eine Rolle. Die sich hochtürmenden Baumassen hinter dem Vegesacker Hafen seien „wie ein heilsamer Schock“ gewesen, formulierte der spätere Bauamtsleiter Dietrich Harborth. In dieser Frage war man sich rasch einig: So stellte man sich das Neue Vegesack nicht vor. Der Senat reagierte und beauftrage die Bremische Gesellschaft für Wohnungsbau und Stadtentwicklung damit, die vorbereitenden Untersuchungen für die Sanierung des Stadtteils fortzusetzen. Die Bremische Gesellschaft legte 1975 ein in enger Zusammenarbeit mit den verschiedenen Betroffenengruppen erarbeitetes Konzept vor, in dem neben anderen Aspekten zwei Leitgedanken herausstachen: Behutsame Entwicklung, keine Hochhausbebauung. Dieses Konzept wurde in den folgenden zehn Jahren umgesetzt.

Es geht voran: Bautätigkeit in Vegesack zu Beginn der 1980er-Jahre.
Quelle: Bremer Zentrum für Baukultur

Und die Planungen für den Sedanplatz? Als das Team 4 im Januar 1974 einen modifizierten Entwurf vorstellte, fehlten das Wohnhochhaus ebenso wie das Ortsamt und das Hotel – vom Kaufhaus ganz zu schweigen. Stattdessen wurde nun das Bürgerhaus, das immer noch die Nordost-Ecke des Platzes besetzte, von drei fünf- bis zehnstöckigen Behördentrakten überragt: Bauamt, Bezirksamt und Sozialamt. Doch auch auf diese „Hochpunkte“ musste schließlich verzichtet werden. Vegesack erhielt keine städtebauliche Dominante am Sedanplatz. Lediglich das 1977 fertig gestellte Gustav-Heinemann-Bürgerhaus ist als Rudiment des ursprünglichen Entwurfs verwirklicht worden.

Eberhard Syring

lehrte bis zum Ruhestand 2018 Architekturtheorie und Baugeschichte an der School of Architecture Bremen, zugleich war er wissenschaftlicher Leiter des Bremer Zentrums für Baukultur.

Ein städtebauliches Ausrufezeichen: das zu Beginn der 1970er-Jahre geplante Bürgerhaus Vegesack.
Quelle: Bremer Zentrum für Baukultur

Jung, aber mit viel Geschichte

50 Jahre
Universität Bremen

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