Verschwörungstheorien hatten auch schon früher Zulauf – der Fall des Adolph Freiherr Knigge in Bremen

Eigentlich hatte Adolph Freiherr Knigge auf ein beschauliches Leben in Bremen gehofft. „In acht Tagen ziehe ich auf immer dahin“, schrieb er einem Freund am 22. Oktober 1790. Seine neue Aufgabe als hannoverscher Oberhauptmann des Dombezirks, damals eine Enklave des Kurfürstentums Hannover innerhalb des bremischen Staatsgebiets, war nach eigenem Bekunden zwar „nicht außerordentlich einträglich“, dafür aber „ziemlich unabhängig“.

Doch die ersehnte Ruhe währte nicht lange. 1792 holte ihn seine Vergangenheit als ehemals führender Illuminat ein, unversehens geriet der streitbare Aufklärer ins Kreuzfeuer der Kritik. Der Vorwurf: Als Mitglied des berüchtigten Geheimbunds habe er fleißig am Umsturz der bestehenden Ordnung gearbeitet. Die betrüblichen Langzeitfolgen seien unverkennbar. „Alle deutschen Demokratennester sind der Widerhall Kniggischer Grundsätze“, geiferte der konservative Publizist ­Johann Georg Zimmermann.

Bis heute beflügeln die Illuminaten die Fantasie von Verschwörungstheoretikern. Dabei war der Illuminatenorden eine eher kurzlebige Erscheinung: Der 1776 gegründete ­Geheimbund wurde bereits zwischen 1784 und 1787 weitgehend zerschlagen, spätestens 1790 erlosch die Ordenstätigkeit. Etliche Anhänger konspirativer Erklärungsmodelle behaupten indessen, der Orden habe nie aufgehört zu existieren. Als globales Netzwerk seien die Illuminaten ein Werkzeug jüdischer Weltherrschaftspläne. Der Mythos der Illuminaten spiegelt sich auch in Bestsellern wie Dan Browns „Illuminati“ wider, der mit Tom Hanks in der Hauptrolle erfolgreich verfilmt wurde.

Ein letzter Versuch zur Besserung der Verhältnisse: das Manifest einer nicht geheimen, sondern sehr öffentlichen Verbindung.
Quelle: Michael Rüppel u. Walter Weber (Hg.): Adolph Freiherr Knigge in Bremen

Dass die Illuminaten noch immer Gegenstand absurdester Verschwörungstheorien sind, ist nicht sonderlich verwunderlich. War es doch erklärtes Ziel des Ordens, die etablierte Freimaurerei zu unterwandern. Knigge, der sich den Illuminaten 1780 unter dem Decknamen „Philo“ anschloss, hatte daran entscheidenden Anteil. Die kontinentale Freimaurerei wurde damals vom autoritären System der Strikten Observanz beherrscht. Für Knigge war das ein Verrat an ihren aufklärerischen Idealen. Aus seiner Sicht machte sich so das unheilvolle Wirken des 1773 verbotenen Jesuitenordens bemerkbar – die klerikalen Finsterlinge hätten die Freimaurerei systematisch infiltriert, um sie als Instrument der Aufklärung unschädlich zu machen.

Wenn also der Illuminatenorden nun seinerseits die Freimaurerei unterwanderte, drehte der Geheimbund aus Knigges Sicht den Spieß einfach wieder um. Als Beauftragter für den Ordensaufbau in Norddeutschland re­krutierte er rund 500 Mitglieder. Freilich kamen ihm schon bald Zweifel an seiner Tätigkeit, zumal die Illuminaten als Orden selbst streng hierarchisch organisiert waren. Immer öfter geriet er mit Ordensgründer Adam Weishaupt aneinander, 1784 trennten sich ihre Wege.

Fortan wirkte er vor allem als Schriftsteller, mit seinen politischen Satiren attackierte er das Establishment. Weit mehr als nur ein Benimmbuch war sein 1788 publizierter Bestseller „Über den Umgang mit Menschen“. Im gleichen Jahr wurde seine Rolle bei den Illuminaten publik. Bis dahin hatte Knigge gemäß seinem Versprechen kein Wort über seine Ordenstätigkeit verloren, nun brach er sein Schweigen. Seine Rechtfertigungsschrift erschien unter dem zeittypisch langatmigen Titel „Philo’s endliche Erklärung und Antwort, auf verschiedene Anforderungen und Fragen, die an ihn ergangen, seine Verbindung mit dem Orden der Illuminaten betreffend“.

In diesem Werk bekannte sich Knigge mit einer frappierenden Offenheit zur illuminatischen Infiltrationsstrategie, um „den müßigen Haufen der Freymaurer“ für die gute Sache in Gang zu bringen. Vorerst hatte sein Bekenntnis keine gravierenden Folgen. Doch das änderte sich nach Ausbruch der Französischen Revolution. Erst recht, als sie sich zunehmend radikalisierte und 1793 in der „Schreckensherrschaft“ mündete. Auf der Suche nach den Wurzeln der Revolution wurden reaktionäre Publizisten schon bald fündig: Ein Geheimbund habe den Umsturz bewirkt, der verbotene, aber keineswegs erloschene Illuminatenorden.

Als „Volksaufwiegler“ beschimpft

Als „Volksaufwiegler“ beschimpfte Zimmermann den Baron. Sein einflussreicher Gesinnungsfreund Ludwig Adolf Christian von Grolmann nährte den Argwohn nach Kräften. Knigge stünde als Kollaborateur bei den Franzosen hoch im Kurs. Der Ex-Illuminat spekuliere darauf, bei einer „Sancülottisierung Deutschlands wenigstens Maire in Bremen zu werden“. Die Polemik gegen seine Person blieb für Knigge nicht folgenlos. Seine eigenen Dienstherren vertrauten ihrem Oberhauptmann nicht mehr.

Knigge konnte nicht fassen, welche Rolle ihm da angedichtet wurde. „Man griff mich wegen meiner längst aufgegebenen, fast vergessenen Verbindung mit den Illuminaten öffentlich an“, klagte der schwerkranke Knigge im Januar 1796 – in einem Brief an den österreichischen Schriftsteller Alois Blumauer, hinter dessen Namen sich in Wahrheit die Wiener Geheimpolizei verbarg.

Zunächst hatte Knigge stillgehalten, er wollte die leidige Vergangenheit nicht wieder aufwärmen und hoffte wohl, der Sturm würde vorüberziehen. Doch darin täuschte er sich. Die Reaktion blies unverdrossen zum Gegenangriff und verstand es, die publizistischen Möglichkeiten auf dem blühenden Zeitschriftenmarkt zu ihren Gunsten zu nutzen. Erst auf Drängen seiner Freunde habe er auf die neuerliche „schändliche Cabale“ reagiert, teilte der Baron dem Pseudo-Blumauer mit.

Mit dem „Manifest einer nicht geheimen, sondern sehr öffentlichen Verbindung ächter Freunde der Wahrheit, Rechtschaffenheit und bürgerlichen Ordnung“ ging Knigge 1795 in die Offensive. „Es ist Zeit, dem Spiele ein Ende zu machen“, schrieb er angriffslustig. Doch das Spiel war schon so gut wie aus: Knigge starb am 6. Mai 1796 im Alter von 43 Jahren, seine letzte Ruhe fand er im Bremer Dom.

In Bremen von seiner illuminatischen Vergangenheit eingeholt: Adolph Freiherr Knigge.
Grafik: WESER-KURIER, Cimen/123F

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