Das Unheil kündigte sich an: Durch gezielte Sprengungen versuchte man, den Druck des Eises auf die Brücken zu vermindern.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

Die Brückenkatastrophe vom 18. März 1947

Der 18. März 1947 ist als Katastrophentag in die Bremer Geschichte eingegangen. Innerhalb weniger Minuten zerstörten Eismassen und führerlose Schiffe sämtliche Weserbrücken. 

Erstmals seit Kriegsende war am 18. März 1947 wieder Artilleriefeuer in Bremen zu hören. Vom Osterdeich aus nahmen US-Geschütze mehrere führerlose Kähne und Schuten unter Beschuss, die das reißende Hochwasser auf die Baustelle der Kaiserbrücke zutrieb, heute Bürgermeister-Smidt-Brücke. Doch vergebens, trotz etlicher Treffer wollten die Geisterschiffe einfach nicht untergehen. Am frühen Abend krachten zwei miteinander verbundene 800-Tonnen-Schuten in zwei der vier Hebetürme zur Bergung des Mittelteils der Kaiserbrücke. Mit ohrenbetäubendem Lärm stürzten die bis zu 22 Meter hohen Türme in die eisigen Fluten, auch Geräte und Baufahrzeuge fielen der entfesselten Naturgewalt zum Opfer.

Damit nicht genug, rasten die Schuten anschließend auf die eben erst wiederhergestellte Eisenbahnbrücke zu. Wegen des hohen Wasserstandes und ihrer ansehnlichen Aufbauten bildeten die beiden Lastkähne an sich schon eine ernsthafte Bedrohung für die Brücke. Zu allem Überfluss führten sie aber auch noch die Trümmer eines Hebeturms mit sich. Mit dieser ungewollten Last rammten die Schiffe das 50 Meter lange Mittelteil der Brücke, hoben es aus den Lagern und trieben damit huckepack weserabwärts. Erst anderntags sichtete ein Eisbrecher das merkwürdige Gespann bei Brake, wo es kurz danach bei einem Bergungsversuch kenterte.

In die Bremer Geschichte ist der 18. März 1947 als Eis- oder Brückenkatastrophe eingegangen. Eine durchaus passende Wortfindung, denn an diesem denkwürdigen Tag ging nicht nur die Eisenbahnbrücke zu Bruch, wurde nicht nur das Schicksal der Kaiserbrücke endgültig besiegelt. Vielmehr zerstörten Treibeis und losgerissene Wasserfahrzeuge sämtliche Weserbrücken der Hansestadt.

Letzte Bemühungen: Verzweifelte Versuche zur Rettung der Brücken.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

Die Memorial-Bridge musste als erste dran glauben

Als erstes hatte die Memorial-Bridge dran glauben müssen, eine hölzerne Behelfsbrücke direkt neben der im Krieg zerstörten Großen Weserbrücke, deren offizieller Name seit 1939 Lüderitzbrücke lautete. Bereits um 10.20 Uhr war die Behelfsbrücke unter dem Druck mächtiger Eisschollen zersplittert, mit ihr wurden auch die meisten Versorgungsleitungen in die Neustadt gekappt. Gute fünf Stunden später riss ein führerloses Tankschiff die Brücke am Weserwehr weg. Um 17.24 Uhr machte dann ein Eisberg der hölzernen Truman-Bridge in Höhe der Ruine der Ansgariikirche den Garaus. Als um 19 Uhr auch noch das schon gehobene Mittelteil der Lüderitzbrücke wieder in den Fluten versank, begann das Finale des Zerstörungswerks, das mit der Vernichtung der Eisenbahnbrücke sein trauriges Ende fand.

Düstere Ahnungen hatte es schon im Vorfeld gegeben. Eisgang auf der Weser war in Bremen als gefährliches Naturphänomen schon lange bekannt. Erst vor Jahresfrist hatten Hochwasser und Eismassen die Memorial-Bridge schwer beschädigt. Als Konsequenz der „verheerenden Hochwasserkatastrophe“ (Weser-Kurier) vom Februar 1946  wurden Gründung und Unterbau des Holzprovisoriums massiv verstärkt.

Wie gewonnen, so zerronnen: Nach dem 18. März 1947 waren sämtliche Weserübergänge zerstört.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

Das nahm einige Zeit in Anspruch, erst im Oktober 1946 konnte die Memorial-Bridge wieder für den gesamten Verkehr freigegeben werden. Angesichts dieser schlechten Erfahrungen war keine Zeit zu verlieren, erschien es ratsam, das kurz vor Kriegsende gesprengte Mittelteil der Kaiserbrücke alsbald zu heben. „Noch ehe Winterhochwasser und Eisgang die Arbeiten gefährden können, muß die Brücke schweben“, mahnte der Weser-Kurier am 23. Oktober 1946.

Doch die monatelange Kälte im Hungerwinter 1946/47 verhieß nichts Gutes. Ab 21. Januar 1947 herrschte klirrender Frost, die Weser fror mehr und mehr zu. Für die Unterweser registrierte das Wetteramt mit 21 Tagen den längsten Eisstand seit 60 Jahren. Um den Druck auf die Memorial-Bridge zu verringern, sprengte die Polizei erstmals am 24. Februar mehrere Wasserrinnen ins Eis oberhalb der Kaiserbrücke, zuletzt am Tag vor der Katastrophe. Freilich konnte man sich nicht sicher sein, ob damit etwas gewonnen war. Als die Temperaturen am 8. März über den Gefrierpunkt stiegen, sollten sich die schlimmsten Befürchtungen schnell bewahrheiten. Voller Sorge erwarteten die Bremer die weiteren Geschehnisse. Erste Vorboten des nahenden Unheils waren zwei Flutwellen am 12. und 15. März. Drei Tage später nahm das Verhängnis seinen Lauf.

Ein zehn Meter dicker Eisklotz setzte sich in Bewegung

Es begann, als sich ein riesiger, bis zu zehn Meter dicker Eisklotz unterhalb des Weserwehrs unter dem Druck von Eis- und Wassermassen am Abend des 17. März in Bewegung setzte. Gegen diese geballte Zerstörungskraft hatten die Behelfsbrücken keine Chance. Wie Streichhölzer knickten die Holzpfeiler der Memorial- und Truman-Bridge ein, sobald die Eismassen mit ihnen in Berührung kamen. Der Verlust der beiden Behelfsbrücken war zwar bedauerlich, doch die massive Eisenbahnbrücke wie auch die vier Hebetürme der Baustelle Kaiserbrücke schienen nicht bedroht zu sein. Bis am frühen Abend des 18. März plötzlich weserabwärts treibende Fahrzeuge gemeldet wurden. „Damit tritt ein Gefahrenmoment auf, an das bisher überhaupt nicht gedacht wurde“, stellt der Historiker Harry Schwarzwälder fest.

War untröstlich: Bausenator Emil Theil (Mitte).
Quelle: Bremer Zentrum für Baukultur

Tatsächlich hatte niemand diese Schiffskörper auf der Rechnung gehabt, insgesamt 15 Kähne und Schuten, die zu Beginn der Frostperiode unterhalb des Weserwehrs vertäut worden waren. Der zweite Akt des Dramas nahm seinen Lauf, als das Tankschiff, das zuvor die Wehrbrücke zertrümmert hatte, sich querlegte und dadurch den Abfluss am Weserwehr blockierte. Als sich das Eis staute, stieg der Wasserpegel innerhalb kürzester Zeit rapide an. Die Folge: Wassermassen überfluteten die Schleusenanlagen des Weserwehrs und drückten eine Spundwand ein. Die dadurch entstandene Strömung zerriss schon bald die ersten Stahltrossen, mit denen die Schuten gesichert waren. Den Rest besorgten laut Strombaudirektor Ludwig Plate riesige Eisschollen. „Eine Schute riss sich los, schlug gegen eine andere und so kam eine ganze Flotte ins Treiben.“

Am Ende des Tages war nicht nur der Verlust der Weserübergänge zu beklagen. Auch die Ufermauern zwischen Kaiserbrücke und Fangturm waren durch den Einsturz der Hebetürme schwer in Mitleidenschaft gezogen worden: Ein Wasserstau an den verbogenen Stahlkonstruktionen hatte eine Strömung erzeugt, die so stark war, dass sie die Ufermauern unterspülte und mitriss.

Bausenator Theil war untröstlich

Kein Wunder, dass sich Bausenator Emil Theil untröstlich zeigte. Eine anderthalbjährige Hebe- und Aufbauarbeit sei innerhalb weniger Stunden zunichte gemacht worden, sagte Theil und wies auf eine „Verkettung unglücklicher Umstände“ hin. Eine Einschätzung, die nicht von der Hand zu weisen ist und auch von einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss im Juli 1947 bestätigt wurde. Immerhin waren keine Todesopfer zu verzeichnen. Durch rasche Evakuierungsmaßnahmen noch in den späten Abendstunden des 17. März waren die Bewohner der gefährdeten Gebiete am linken Weserufer rechtzeitig in Sicherheit gebracht worden. Auch auf den Brücken kamen keine Personen zu Schaden. Das hätte auch anders ausgehen können, waren die Behelfsbrücken doch erst in letzter Minute gesperrt worden und die Eisenbahnbrücke noch in Betrieb gewesen, als die anderen Übergänge schon zerstört waren.

In den Tagen nach der Katastrophe stand Bremen unter Schock. Doch schon bald krempelten die Hansestädter wieder die Ärmel hoch. Bausenator Theil versicherte, behelfsmäßige Brücken seien keine Option mehr, bis zum Herbst müsse „eine endgültige, friedensmäßige Brücke“ entstehen. Ins gleiche Horn stieß die Bürgerschaft mit einer fraktionsübergreifenden Entschließung am 27. März 1947. Da auch die US-Besatzungsmacht ein profundes Interesse an funktionstüchtigen Weserübergängen hatte, kamen die Arbeiten schnell voran. Während ein eilends eingerichteter Fährbetrieb die Verbindung zwischen Alt- und Neustadt wiederherstellte, schlugen US-Pioniere innerhalb weniger Tage zwei Notbrücken über die Weser. Bereits am 26. April konnte der erste Zug die provisorisch reparierte Eisenbahnbrücke überqueren, und am 8. Mai wurde die erneuerte Memorial-Bridge freigegeben. Derweil wurde fieberhaft an den massiven Brücken gearbeitet: Ab 29. November 1947 rollte der Verkehr auf der vormaligen Lüderitz-Brücke, zum Jahreswechsel auch auf der Stephanibrücke. Nicht mehr zu gebrauchen waren indessen die Überreste der Kaiserbrücke. An ihrer Stelle entstand zwischen 1950 und 1952 die Bürgermeister-Smidt-Brücke.

von Frank Hethey

Schon kurz nach der Katastrophe wurde wieder angepackt: Arbeiter beim Bau der neuen Memorial-Bridge.
Bildvorlage: Staatsarchiv Bremen

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