Der Mutmacher: Bürgermeister Wilhelm Kaisen bei seiner Ansprache an die Bremer Bevölkerung am 24. Dezember 1945.
Quelle: Wilhelm und Helene Kaisen-Stiftung

Weihnachtsbäume ohne Licht: die „Glühbirnen-Frage“ in den frühen Nachkriegsjahren

In hellem Lichterglanz sollten sie erstrahlen, die mächtigen Weihnachtsbäume auf dem Markt und vor dem Hauptbahnhof. Ein Zeichen der Hoffnung sollte von ihnen ausgehen in düsteren Zeiten. Die erste Weihnacht nach Kriegsende als Fanal für eine bessere, friedvolle Zukunft. Doch es fiel ein Schatten auf die weihnachtliche Vorfreude: Wurden die beiden Tannen doch geradezu geplündert, von den angebrachten Glühbirnen verschwand fast die Hälfte auf Nimmerwiedersehen.

Der grassierende Glühbirnenklau wirft ein erhellendes Schlaglicht auf die Zeitverhältnisse in den frühen Nachkriegsjahren. Sieben Monate nach Kriegsende schien die Ernährungslage im zerstörten Bremen zwar halbwegs stabil zu sein, doch dafür fehlte es an fast allen Dingen des täglichen Bedarfs. Mit viel Fantasie versuchten die Menschen, die Lücken zu stopfen – man fertigte neue Kleidung aus alten Uniformen, verwandelte Stahlhelme in Siebe oder Nachttöpfe, nutzte Trümmerteile für die Instandsetzung der Unterkunft.

Bei defekten Glühbirnen half indessen auch noch so viel Fantasie nicht weiter. Glühbirnen konnte man nicht selbst herstellen. Zu kaufen gab es sie aber auch nicht. Da war es ein Segen, wenn sie in aller Öffentlichkeit ihren Glanz verbreiteten. Sei es nun an Weihnachtsbäumen als dekoratives Anhängsel oder an anderen Örtlichkeiten, um Licht ins Dunkel zu bringen.

Kein Licht im Dunkel 

Gleichwohl konnte es sehr leicht passieren, dass man hilflos im Finstern umherirrte, wenn man in öffentlichen Toiletten einem dringenden Bedürfnis nachgehen wollte. Verzweifelt versuchten die Behörden, dem notorischen Glühbirnenschwund in den Bedürfnisanstalten abzuhelfen. Eine vergebliche Liebesmüh’, wie sich nur allzu bald zeigte. Das fatalistische Fazit im Oktober 1948: „Jeder Versuch, eine ausreichende Beleuchtung in den genannten Räumen sicherzustellen, ist solange hoffnungslos, bis entweder genügend Glühbirnen auf den Markt kommen, oder die Diebe ein Einsehen haben.“

Frohes Fest in kümmerlicher Umgebung: Leserzeichnung des Heiligen Abends 1946.
Quelle: Archiv des Weser-Kuriers

Doch mit einem Einsehen war natürlich nicht zu rechnen. Und weil die Produktion nicht nennenswert anstieg, war die Weihnachtsbeleuchtung auch im Folgejahr gefährdet. Dabei hatten sich die Behörden alle nur erdenkliche Mühe gegeben, noch gerade rechtzeitig zum Fest zwei stattliche Acht-Meter-Tannen zu beschaffen. Die im Dunkeln stehen zu lassen, war keine sehr verheißungsvolle Perspektive. „Weihnachtsbäume ohne Licht?“, lautete die bange Frage des Weser-Kuriers am 21. Dezember 1946.

Sicherlich war die „Glühbirnen-Frage“ nicht das Hauptproblem in diesen Jahren. Schon gar nicht 1946/47, als sich die Ernährungslage drastisch zuspitzte. Hatten sich Bremer Hausfrauen im Dezember 1945 noch über eintönige Rübenmahlzeiten beklagt, so konnten sie bald darauf froh sein, wenn sie überhaupt noch etwas für ihre Lieben auf den Tisch bekamen. Im Januar 1946 waren bereits über 70 Prozent der Bremer Schulkinder unterernährt, innerhalb weniger Monate stand die Lebensmittel- und Kohleversorgung praktisch vor dem Kollaps. Tief ins Gedächtnis der Zeitgenossen haben sich die „Hamsterfahrten“ ins Umland eingegraben, ebenso der tägliche Kampf um Brennmaterial fürs Kochen und Heizen. Über zwei Jahre hielt diese Extremsituation an, noch im Januar 1948 wurde Bremen trotz amerikanischer Hilfe in Form von CARE-Paketen und Hoover-Speisungen zum Notstandsgebiet erklärt.

Ein Bild der Zerstörung: Bremen im Mai 1945.
Quelle: Privat

Sprunghafter Anstieg der Kriminalität 

Kein Wunder, dass unter solchen Umständen die Kriminalität sprunghaft anstieg. Der Schwarzmarkt im Umfeld des Hauptbahnhofs blühte, der Diebstahl von Kohle war an der Tagesordnung, Bäume wurden gnadenlos abgeholzt. Als brennendes Problem galten „heimatlose Jugendliche“, als Zeichen der Zeit wurde der rapide Anstieg sich prostituierender Mädchen und Frauen wahrgenommen. Dass dieser viel beklagte „Sittenverfall“ laut US-Statistiken ausgerechnet im Krisenwinter 1946/47 besonders stark zunahm, ist sicher kein Zufall. Auch in den Behörden häuften sich Korruptionsfälle, plötzlich flogen bis dahin unbescholtene Beamte auf, die einen schwunghaften Handel mit Bezugsscheinen trieben.

Was selten war, war eben begehrt.

Hilfe für die Kinder: Schulspeisungen waren in den Nachkriegsjahren ein gängiges Bild.
Quelle: Bundesarchiv Koblenz/Wikicommons

So auch Glühbirnen, von denen im Kraftwerk Hastedt jeden Monat 400 Stück spurlos verschwanden. Die Betriebsleitung wusste sich schließlich nicht anders zu helfen, als ein Detektivbüro einzuschalten. Dem gelang es denn auch, den Übeltätern auf die Schliche zu kommen: 28 Arbeitern, die mit den Glühbirnen auf dem Schwarzmarkt exzellente Geschäfte gemacht hatten. Dass auch Betrüger eine schnelle Mark witterten, versteht sich von selbst. Im April 1948 bot eine Firma „regenerierte Glühbirnen mit langer Brenndauer“ an, allerdings nur gegen Vorkasse. Sehr bald stellte sich indessen heraus, dass es sich um eine Briefkastenfirma handelte.

Je länger der Nachschub ausblieb, desto düsterer wurde die Lage. Nicht nur in Privathaushalten, sondern auch in öffentlichen Einrichtungen. In Schulen und Abendschulen ging das Licht aus, sogar die Behörden sahen sich genötigt, in der finsteren Jahreszeit den Besucherverkehr auf die Vormittags- und Mittagsstunden zu beschränken. Und natürlich stellte sich alle Jahre wieder die gleiche Frage: Abermals räsonierte man bei den Behörden in der Vorweihnachtszeit 1947 über die Beleuchtung der Weihnachtsbäume.

Kein Weihnachten ohne Baum

Tummelplatz für krumme Geschäfte: der schwarze Markt am Hauptbahnhof 1946.
Quelle: Geschichte der Freien Hansestadt Bremen, Bd. 1, Bremen: Edition Temmen 2010

Auf ihren Weihnachtsbaum wollten die Bremer auch in privatim nicht verzichten. Noch bei der letzten Kriegsweihnacht 1944 hatten die Behörden alles daran gesetzt, jeden Bremer Haushalt mit einem Baum auszustatten. Nicht anders 1945, als aus dem Umland 35.000 Bäume nach Bremen gekarrt wurden. Nun plötzlich ohne Baum auszukommen, wollten viele Bremer nicht ohne weiteres hinnehmen – wenigstens diese Freude sollte den Kindern noch bleiben. Weshalb am 5. Dezember 1947 der Stadtwald kurzerhand gesperrt wurde, um dem massenhaften Tannenbaum-Diebstahl einen Riegel vorzuschieben. Ein Karikaturist witzelte im Weser-Kurier über die wahren Beweggründe. „Nun habe ich wenigstens etwas zum Heizen“, lässt er einen Mann mit zwei Tannen unterm Arm sagen.

Einstige Gewissheiten zählten nicht mehr viel in diesen Jahren. Es wurde als Kavaliersdelikt oder legitime Selbsthilfe angesehen, was kurz zuvor noch undenkbar gewesen war. In Akten und Zeitungsberichten wimmelt es nur so von Meldungen über Korruptionsfälle und Unterschlagungen, jeder schien sich in diesen Krisenjahren selbst der nächste zu sein. Sehr anschaulich schildert der US-Autor Mario Puzo („Der Pate“) die moralischen Abgründe auf Seiten von Siegern und Besiegten in seinem Bremen-Roman „Die dunkle Arena“. Besonders bezeichnend: das „Fräuleinkarussell“ rund um die Glocke als Zentrum amerikanischer Freizeitaktivitäten.

Im März 1948 wandte sich der Leiter der Kinderklinik, Prof. Rudolf Hess, mit einem dramatischen Appell an die Öffentlichkeit. Zu einem Drittel sei der Glühlampenbedarf nicht gedeckt, in manchen Räumen seien Kerzen oder Petroleumlampen in Benutzung. „Bei derart mangelhafter Beleuchtung kommt die Sorgfalt bei der Erkennung der Krankheiten, bei der Behandlung und Pflege der Kinder zu kurz.“ Empörtes Kopfschütteln ernteten die Zustände an der Kinderklinik bei einer Bremerin, die sich darüber mokierte, wie gut beleuchtet so manch eine Gaststätte schon wieder sei.

Auf Abwegen: Weihnachtsbäume als Brennmaterial, Karikatur von 1946.
Quelle: Archiv des Weser-Kuriers

Und doch war kein Licht am Ende des Tunnels in Sicht. Zwar wurde der Bevölkerung im April 1948 eine Verdoppelung der monatlichen Glühbirnen-Produktion bis Jahresende in Aussicht gestellt. Doch davon profitieren in erster Linie „Sonderkontigentsträger“ wie Schifffahrt oder Eisenbahn, Privathaushalte hatten das Nachsehen.

Eigentlich erstaunlich, dass sich die schlechte Versorgungslage auch nach der Währungsreform im Juni 1948 nicht entscheidend besserte. Die Engpässe verschärften sich sogar noch, Glühbirnen galten weiterhin als Mangelware. Auch im neuen Jahr war keine Entspannung abzusehen. Im Gegenteil, im Februar 1949 war gar von einer „äußerst bedenklichen Lage“ die Rede, zumal sich das Vorhaben zerschlagen hatte, auf jede Haushaltskarte eine Glühbirne abzugeben.

Eingeschränkte Straßenbeleuchtung

Gegensteuern konnte der Senat allenfalls mit Sparmaßnahmen. Das betraf nicht zuletzt die Straßenbeleuchtung, die auf die großen Verkehrswege beschränkt blieb. „Große Sorgen bereiten die noch immer sehr zahlreichen Diebstähle von Glühbirnen, die es dem Elektrizitätswerk unmöglich machen, die Straßenbeleuchtung in dem geplanten Umfang weiter auszubauen“, meldete der Weser-Kurier im September 1948.

Festliche Gaben: 1949 konnte man schon wieder an gekaufte Geschenke denken.
Quelle: Archiv des Weser-Kuriers

Wenig überraschend, dass der Glühbirnenklau nicht abebbte. Im November 1948 berichtete der Weser-Kurier, die Straßenbeleuchtung sei wegen entwendeter Leuchtmittel zunehmend beeinträchtigt. Aus nahezu allen Stadtteilen gingen Alarmmeldungen ein, völlig erloschen war das Licht in der Neustädter Moselstraße.

Da war guter Rat teuer. Als ziemlich gewitzt erwies sich in dieser schwierigen Situation der Bürgerparkverein. Der präparierte die Glühbirnen in neu aufgestellten Lampen mit flüssigem Wasserglas, einer Lösung, die eigentlich Konservierungszwecken diente. Der höchst willkommene Nebeneffekt: War das Wasserglas getrocknet, konnte man die Birnen nicht mehr aus den Fassungen schrauben. Und wie dem Glühbirnenklau an den Weihnachtsbäumen begegnen? Der Vorschlag eines Bremers im Dezember 1947: die Bäume einfach mit silbernen und weißen Bändern schmücken und dann mit großen Scheinwerfern anstrahlen.

Wie gut, dass sich die Situation doch noch entspannte, als das „Wirtschaftswunder“ zu Beginn der 1950er Jahre allmählich Fahrt aufnahm. Um den Lichterglanz der Weihnachtsbäume musste jetzt niemand mehr fürchten. Und auch nicht um die Strahlkraft der Weihnachtsdeko in den Geschäftsstraßen.

von Frank Hethey

Trostlose Stimmung: Fast die Hälfte der Glühbirnen verschwand spurlos von den Weihnachtsbäumen in den frühen Nachkriesgjahren.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

Von Anbiet bis Zuckerklatsche

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