Wilfried Hautop über seine Lehrlingsjahre als Küper
Der Beruf des Schriftsetzers erfüllte den jungen Wilfried Hautop mit Schrecken. Für ihn war das eine monotone Tätigkeit. Ganz anders die Welt des Küpers in den stadtbremischen Häfen: In dem hektischen Gewusel des Hafenbetriebs fühlte sich der 14-jährige Lehrling von Anfang an wohl. Doch die Umstellung auf Container sollte seine Berufslaufbahn schnell ändern.
Eigentlich sollte ich nach Abschluss der 9. Klasse der Hauptschule in Hemelingen Schriftsetzer werden. Aber nachdem ich diese monotone Tätigkeit in einem Verlag im Bremer Steintorviertel gesehen hatte, habe ich mich schnell bei der Berufsberatung des Arbeitsamtes gemeldet. Ich wollte nicht den ganzen Tag still stehen und Bleibuchstaben setzen. In der Berufsberatung hat man mir dann den Beruf des im Hafengebiet vielfach beweglichen Küpers empfohlen. Vorgestellt habe ich mich bei der Bremer Lagerhaus Gesellschaft, bei der Firma Bachmann und bei Kühne + Nagel.
Obwohl ich dann im Vorstellungsgespräch beim Personalchef die Frage nach der Entfernung Oldenburgs deutlich falsch beantwortet habe (es sind 50 Kilometer, keine 100) wurde ich bei Kühne + Nagel eingestellt.
Ich begann meine Lehre mit Ende des 14. Lebensjahres zum 1. April 1965 im Kontor Überseehafen im Hafenhochhaus am „Kopf“ des großen Überseehafens. Von dort ging es täglich an einen anderen Ort (Schuppen) im Überseehafen oder Europahafen und später auch zum Neustädter Hafen. Die Häfen waren voller Schiffe. Die und Menschen aus anderen Ländern zu bestaunen, sowie den Entladungen von Kaffee, Wolle, Baumwolle, Sisal und Stückgütern zuzusehen, war für mich als junger Mensch, der nicht mal die Entfernung nach Oldenburg kannte, die ganz große richtige Welt.
Das Abhusten bis heute in den Ohren
Als Lehrling wurde ich im Hafenhochhaus morgens um 6.30 Uhr einer „Kolonne“ zugeteilt. Das setzte voraus, dass ich in Hemelingen um 5.20 Uhr an der Bushaltestelle stand. In der Straßenbahn wurde noch geraucht, zumindest im Anhänger, bis heute habe ich das morgendliche Abhusten der Fahrgäste der Linie 3 in den Ohren. Dann ging es vorbei an denen, die bis morgens in der Hafenbar „Golden City“ durchgehalten hatten. Es bestand noch die Chance, einen Blick auf die dazugehörigen Damen zu erhaschen und dann ging es durch den übelriechenden Tunnel direkt zum Hafenhochhaus.
Wir machten uns nach Arbeitsbeginn und Einteilung daran, Baumwollballen zu verwiegen, Muster zu nehmen oder auch entladene Kaffeesäcke zu zählen bzw. die Verladung von Holz vom Schiff auf Eisenbahnwaggons zu überwachen. Die Tätigkeiten waren vielfältigster Art: Verwiegen, Bemustern, Zählen, Schäden an Stückgut aus ersten Containern feststellen und immer wieder alles an den verschiedensten Orten der bremischen Häfen.
Gut, mit Mutter aus Ostpreußen und Vater aus Ostwestfalen war ich nicht der geborene Hafenarbeiter aus Walle oder Pusdorf. Ich hatte folglich Probleme, Platt zu verstehen und noch mehr mit dem Schnacken. Ich musste auch lernen, in der ersten Anbietpause (Frühstück) gegen 9 Uhr und spätestens in der zweiten gegen 12 Uhr schon mal ein kaltes „Becks“ in den Anbiethallen zu trinken. Der Begriff leitet sich aus dem plattdeutschen „Anbeißen“ ab. Diese große Welt des Hafens und das bestehende Angebot zollfreier Zigaretten brachten mich auch ans Rauchen und die Überstunden in der zweiten Schicht verschafften mir erhöhtes Taschengeld für die Disco mit den damaligen musikalischen Höhepunkten von Stones „Satisfaction“ und Equals „Baby come back“.
Im ersten Lehrjahr 65 Mark verdient
65 Mark verdiente ich im ersten Lehrjahr. Etwa sechs Monate war ich auch im Speicher bei der Lagerung von Kaffeesäcken (für Jacobs-Kaffee und Eduscho-Kaffee) und Tabakballen (für Brinkmann) eingesetzt. Und der Einsatz im Probenzimmer der Baumwollabteilung bei Kühne + Nagel rundete die Ausbildung ab.
Es war die Zeit, in der die ersten Container im Neustädter Hafen (Eröffnung 1964, Containerterminal 1968) ausgeladen wurden. Durch die Versendung der Ware im Container wurde der Beruf des Küpers im Hafen, die rechte Hand des Kaufmanns zur Prüfung von bestellten Waren, im Laufe der Jahre überflüssig. Ich habe ein halbes Jahr nach Beendigung der Lehrzeit bei Kühne + Nagel gekündigt und als Ladungskontrolleur bei der LUG-Luftfracht-Umschlag GmbH am Flughafen Frankfurt angefangen.
Vom Wasserhafen zum Flughafen.
Als gelernter Küper kein Fall fürs Büro
Von dort musste ich zum Bundeswehrdienst nach Braunschweig. Daran anschließend habe noch mal ein Jahr im Büro einer Spedition im Rohkaffeeimport gearbeitet. Aber eines war klar: Wer Küper an vielen Orten des Hafens in täglich wechselndem Geschehen gelernt hatte, den hielt es niemals im Büro. Da halfen auch keine passenden Socken zur Krawatte. Also ab ging es über den zweiten Bildungsweg zur Sozialarbeit mit suchtkranken, arbeitslosen oder behinderten Menschen.
Vielfältigste Tätigkeiten, jeden Tag was Neues, alles ganz wie das Kommen und Gehen im Hafen.
Und nun werde ich mit 65 Jahren nach 50 Berufsjahren als Geschäftsführer der Werkstatt Bremen in den Ruhestand gehen, und werde noch etwas für die Bremer Stiftung Martinshof tätig sein. Und dabei sitze ich wieder in knapp 100 Metern Entfernung von Kühne + Nagel im Kwadrat auf der anderen Weserseite der Wilhelm-Kaisen-Brücke.
Es begann und endet an der Weserbrücke. Nun weiß ich natürlich die Entfernung nach Oldenburg und sogar die nach Florida. Dort habe ich gerade eine alte Kollegin besucht.
von Wilfried Hautop