Blick in die Geschichte (109): Versicherungsbörse auf dem Teerhof sollte Kontrapunkt zum Bauwerk auf der anderen Weserseite sein
Was die beiden sommerlich gekleideten Damen mit den Herrn im Anzug zu bereden hatten, wird wohl auf ewig ihr Geheimnis bleiben. Müssen wir in dieser Sache auch passen, so lässt sich doch immerhin allerhand zum Bildmotiv sagen.
Entstanden ist der Schnappschuss um 1970 auf der Wilhelm-Kaisen-Brücke, damals noch Große Weserbrücke. Oder genau genommen: auf der Teerhof-Halbinsel zwischen den beiden Brückenabschnitten, die heute zusammen als Wilhelm-Kaisen-Brücke bezeichnet werden. Rechts ragen die ersten Stockwerke der See-Versicherungsbörse an der Herrlichkeit 6 ins Bild.
Das insgesamt zehngeschossige Hochhaus mit seinen umlaufenden Fensterbändern bildet den auffälligsten, auch exponiertesten Teil eines dreiteiligen Gebäude-Ensembles. Errichtet wurde es 1967 als erster Neubau auf dem schwer kriegsbeschädigten Teerhof. Wegen des wenig standsicheren Untergrunds rammte man beim Bau der Versicherungsbörse 280 Pfähle bis zu acht Meter tief in den Boden.
Keineswegs zufällig ist die Ähnlichkeit mit dem jetzt vor dem Abriss stehenden Kühne & Nagel-Gebäude auf der anderen Weserseite, dem August-Kühne-Haus von 1961/62. Fast wie bauliche Geschwister wirken die beiden Bauwerke, als würden sie gemeinsam Bremens Lebensader flankieren. Dieser Eindruck war durchaus gewollt, die Bauverwaltung hatte dem Architekten der Versicherungsbörse, Martin Zill, entsprechende Auflagen gemacht.
Betongrau gegen Ziegelrot
Harmonieren sollte die Versicherungsbörse auch mit dem bereits 1955 erbauten Gebäude des Wasser- und Schifffahrtsamts auf der gegenüberliegenden Straßenseite am Franziuseck. Nur deshalb zieren fast deplatziert wirkende „Schmuckbalkone“ die Ostfassade – als Gegenstück zum einzigen Balkon des Wasser- und Schifffahrtsamts. Umgekehrt sollte der graue Betonwerkstein ganz bewusst einen Kontrastpunkt zur roten Klinkerfassade des Amtsgebäudes setzen, der Architekturhistoriker Eberhard Syring spricht von einem „eigenständigen Akzent gegen das dominierende Ziegelrot am Flussufer“.
Zur Weser öffnet sich die Baugruppe der Versicherungsbörse mit einem Innenhof. Weil die drei Bauteile exakt 1045 Fenster aufweisen, sprach der Weser-Kurier in lyrischer Verzückung von einem „Haus der tausend Fenster“.
Fast zehn Millionen Mark verschlang der Neubau. Damit hatten die Seeversicherer wieder eine neue Heimat, nachdem sie ihren bisherigen Sitz im Börsennebengebäude A im Zuge des Parlamentsneubaus verlassen mussten. Seit der Fertigstellung der Neuen Börse 1864 waren die Seeversicherer dort beheimatet gewesen, bis das Nebengebäude 1966 dem „Haus der Bürgerschaft“ zugeschlagen wurde.
Interessant auch ein kaum erkennbares Detail auf dem Foto: Zwischen den beiden Damen ist der Eingang zum Fußgängertunnel zur anderen Straßenseite zu sehen. Die Unterführung war sogar mit Rolltreppen ausgestattet – alles zur Sicherheit und Bequemlichkeit der Passanten. Stolze 400.000 Mark schlugen für eine einzige Rolltreppe zu Buche, jährlich kamen Stromkosten von knapp 10.000 Mark hinzu. Eine echte Luxusvorrichtung aus besseren Tagen, die sich allerdings schon bald zum Problemfall entwickelte. Nicht nur wegen der hohen Unterhaltungskosten, sondern auch, weil die Fußgängertunnel laut Weser-Kurier zu „stinkenden Pißecken“ verkamen. Erst wurden 1985 die Rolltreppen stillgelegt und im Spätsommer 1995 die gesamte Unterführung zugeschüttet.