Ohiniko Toffa befasst sich mit der Norddeutschen Mission in der Ära des Kolonialismus

Sein Lachen steckt an: Ohiniko Toffa wirkt im Gespräch direkt, bodenständig und humorvoll. Dabei beschäftigt er sich seit Jahren mit einem wahrlich nicht heiteren Thema: mit dem europäischen Kolonialismus. Dieser Teil der Geschichte Deutschlands wird erst jetzt, nach rund 150 Jahren, in öffentlichen Diskussionen und Schriften kritisch beleuchtet. Dabei hat das Thema Kolonien unter dem Motto „Volk ohne Raum“ auch im Nationalsozialismus eine  Rolle gespielt.

Die Diskussion dreht sich nicht zuletzt um die Rückgabe geraubter oder gekaufter Kunst aus den ehemaligen überseeischen Kolonien Deutschlands. Die Stimmen der damals Betroffenen und Unterdrückten gehen jedoch oft unter. Mit dieser Seite der Kolonialgeschichte befasst sich Toffa, der aus Togo gebürtige frischgebackene Doktor der Philosophie. Damit ist er mitten drin in der Diskussion – parallel zu einem soeben erschienenen Buch aus der Deutschen Verlagsanstalt: Unter dem Titel „Deutschland, deine Kolonien“ haben 18 Autoren des Magazins „Spiegel“ Fakten zum Kolonialismus zusammengetragen, die dem, was vor allem die älteren Menschen über das Thema gelernt haben, widersprechen.

Deutscher Kolonialismus als Postkartenmotiv: Motiv von Tanga mit Porträt Hermann von Wissmanns.
Quelle: Wikimedia Commons

Was wurde früher in der Schule gelehrt? Originalton Seite 54 in einem Erdkundebuch vom Dachboden einer kleinen Schule, dem zwar die Seite mit dem Erscheinungsdatum fehlt, das aber vor 1945 zu datieren sein dürfte: „Unter kluger Leitung sind die Neger meist willig, gutmütig und treu. Sie stehen auf niedriger Kulturstufe, führen eine sehr einfache, primitive Lebensweise (Lehmhütten, einfachste Geräte) und haben Freude an buntem Tand. Sie glauben vielfach noch an Zauberei und beten Götzen an. Durch ihr Leben in freier Natur sind sie kräftig, gesund und sehr körpergewandt und haben ausgezeichnete Sinne.“

Sie könnten, so geht es weiter, niemals die Schätze ihres Erdteils auswerten. Darum brauchten sie Führung und ehrliche Betreuung durch die Weißen. Die Deutschen hätten bewiesen, dass sie ausgezeichnet mit ihnen umzugehen verstünden, sie seien als Arbeitgeber beliebt und geachtet gewesen. Wie die Menschen in den afrikanischen und anderen Kolonien die Sache sahen, hat offenbar niemand gefragt.

Der Missionar als „Bote Gottes“

Ohiniko Toffa beschäftigt sich mit dem Thema seit 2016 aus philosophischer, theologischer und psychologischer Sicht und zwar aus der Perspektive der Menschen in Togo. Der 40-jährige Familienvater forscht und arbeitet am Völkerkundemuseum in Leipzig zur deutschen Sammlungsgeschichte, also zu der Frage, wo die überseeische Kunst in den deutschen Museen herkommt und auf welchen Wegen. Natürlich gilt sein Interesse auch dem Bremer Überseemuseum.

Am Beispiel des deutschen Missionars Franz Michael Zahn (1862-1900) zeigt er in seiner Doktorarbeit, wie beste Absicht und Missionseifer den Boden bereiten können für Herrschaft und Ausbeutung. Zahn wollte über die globale Mission und die Erweckung der Menschen die Welt verbessern: “Der Missionar ist ein Bote Gottes in der Heidenwelt.“ Er kam aus einem pietistischen Umfeld am Niederrhein, sein Ziel war, den Afrikanern „das lieb Evangelium“ zu bringen, sie aus dem Dunkel ins Licht führen. Das machte diese aber gleichzeitig zu duldungsbreiten, disziplinierten und gehorsamen Untertanen – was den Wünschen der Kolonialherren entgegenkam. Vom Verhältnis Hirt und Herde war es kein weiter Weg zum Verhältnis von Herr und Knecht (ein Propagandist deutscher Kolonien war der in Bremen wohnende General Paul von Lettow-Vorbeck, mehr dazu hier).

Heute gehören die damals begründeten evangelischen Kirchen in Togo und Ghana zur Norddeutschen Mission, die in Bremen ihren Sitz hat (hier mehr zur Rolle Bremens als „Stadt der Kolonien“). Sie sind in diesem Sechserbund gleichberechtigte Partnerinnen von vier deutschen Kirchen: Bremische Evangelische Kirche, Evangelisch-Lutherische Kirche in Oldenburg, Lippische Landeskirche und Evangelisch-Reformierte Kirche. Die Mission unterstützt heute ausgewählte Projekte in Ghana und Togo und organisiert einen Nord-Süd-Austausch von Menschen und Ideen.

Immer vorne dabei, wenn es um die Kolonien ging: der in Bremen ansässige General Paul von Lettow-Vorbeck.
Quelle: Bildbestand der Deutschen Kolonialgesellschaft in der Universitätsbibliothek Frankfurt am Main

Der Norden als Paradies

Der Missionar Zahn hatte die verheerenden Folgen nicht nur des Branntweinhandels in den Kolonien erkannt und forderte ein Verbot. Als erster Inspektor der 1836 gegründeten Norddeutschen Missionsgesellschaft ist er für Toffa ein Beispiel für die Ambivalenz missionarischer Aktivitäten. Die nährten bei den Kolonisierten auch die Vorstellung, dass das Heil, das Paradies, die Moderne im Norden liege (koloniale Reminiszenzen haben sich in Bremer Straßennamen erhalten, mehr dazu hier). Etliche Schüler der Missionare wurden zur Aus- und Fortbildung nach Deutschland geschickt, oft genug unter schlimmen Bedingungen auf den Schiffen.

Ohiniko Toffas Dissertation öffnet die Augen für diese Zusammenhänge und für die kulturelle Bedeutung des Kolonialismus. Er geht noch weiter: Mission bilde keine Unterstützung der Kolonialpolitik, sie sei Kolonialpolitik, denn sie sei „geistige Gewalt“. Deshalb müssten, so Toffa, die ehemaligen Kolonien „de-christianisiert“ werden: Die afrikanischen Regierungen „lernen bis heute von ihren ehemaligen Kolonisatoren, wie man regiert“.

Stipendium des DAAD

Was erhofft sich Ohiniko Toffa, der mit einem Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in Bremen Germanistik, Religions- und Kulturwissenschaften studiert hat, von seiner Arbeit? „Dass Deutschland sich zu seiner Einwanderungsgeschichte bekennt und den Rassismus bekämpft“, sagt er. Wem empfiehlt er die Lektüre seiner gut 300 Seiten starken Dissertation? „Historisch Interessierten, jungen und älteren Akademikern.“

Ohiniko Toffa hat inzwischen für sich selbst die Latte noch einmal höher gehängt: Eine Professur an einer deutschen Universität ist sein nächstes Ziel. Immerhin ist seine Doktorarbeit mit dem höchsten Grad akademischer Bewertungen ausgezeichnet worden: mit „summa cum laude“, was, schulisch gesehen, der Note 1 entspricht.

Ein Leben in der Hängematte: ein evangelischer Missionar in Afrika. Das Foto stammt aus einer Sammlung der Norddeutschen Mission, die inzwischen im Besitz des Staatsarchivs Bremen ist. 
Quelle: Staatsarchiv Bremen

Von Anbiet bis Zuckerklatsche

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