August Wehage aus Walle überlebte am 30. Januar 1945 den Untergang der „Wilhelm Gustloff“

August Wehage war Elektriker. Geboren am 26. Oktober 1914, wurde er 1936 zur Kriegsmarine eingezogen, und diente dann wieder von 1940 bis zur Kapitulation im Mai 1945. Er arbeitete in der Sperrbrecherflotille, besuchte die Marineschulen in Wesermünde und Kiel und brachte es bis zum Obermaschinisten. Seine Ausbildung in der Unterseebootlehrdivision wurde zu seinem Schicksal.

Schwarz auf weiß: August Wehages Personalbogen.
Quelle: Bundesarchiv

Die Eltern und die Schwestern August Wehages betrieben seit 1913 die Kneipe und Speisewirtschaft „Zur Seefahrt“ in der Wißmannstraße 11 – Nomen est Omen. Wehage wohnte mit seiner Frau Helene am Waller Ring 50. Die Kneipe wurde abgerissen, als die Nordstraße verbreitert wurde. Die Wissmannstraße (auch: Wißmann) in Walle gibt es schon seit ungefähr 30 Jahren nicht mehr. Im Oktober 1982 zeigte der WESER-KURIER „die letzten Reste der Wißmannstraße“, ein paar Meter Kopfsteinpflaster. Wenig später wurde an gleicher Stelle der Damm der neuen Hafenrandbahn aufgeschüttet.

Mit ihrer Familiengeschichte hat sich Heike Schwerdtner eingehend auseinandergesetzt. Sie ist August Wehages Großnichte. Im Gespräch beugt sie sich über Akten aus dem Bundesarchiv, die Dokumente erzählen ihr, dass August Wehage Anfang 1945 nach seiner U-Boot-Ausbildung als II. Maschinen-Maat nach Danzig kommandiert wurde, um dort auf einem U-Boot eingesetzt zu werden. Er landete in den letzten Kriegswochen auf der „Wilhelm Gustloff“. Die „Gustloff“ war ursprünglich ein „Kraft durch Freude“-Vergnügungsdampfer der Deutschen Arbeitsfront, beim Stapellauf 1937 wurde sie nach dem am 4. Februar 1936 ermordeten Schweizer NSDAP-Funktionär benannt.

Auf dem Schiff hätte Wehage fast ein Mitglied aus einem anderen Zweig der Schwerdtner-Familie treffen können. Heike Schwerdtners Großmutter Erna lebte zunächst in Gumbinnen in Ostpreußen, später zog sie mit ihrem Mann nach Bischofsburg. Dieser war Polizeiwachtmeister und wollte Kriminalbeamter werden, wurde aber an der der Ostfront in Kurland eingesetzt. Seine Frau Erna floh mit ihren drei Kindern ab dem 20. Januar 1945 vor den vorrückenden Russen zu Fuß und mit Pferdewagen nach Danzig. Tausende von Flüchtlingen versuchten sich auf die „Gustloff“ und die „Hansa“ zu retten, unter ihnen Erna mit ihren Kindern. Sie fanden auf der „Gustloff“ keinen Platz mehr und mussten auf die „Hansa“ warten. Ihr Glück.

Wehage saß mittlerweile an Bord der „Gustloff“. Das Schiff wurde gegen 21 Uhr vom sowjetischen U-Boot S-13 gesichtet. Um 21:16 Uhr ließ dessen Kommandant Marinesko aus etwa 700 Metern Entfernung vier Torpedos abschießen. Drei trafen das Schiff am Bug, unter dem E-Deck und im Maschinenraum. Nach etwas mehr als einer Stunde, gegen 22:15 Uhr, sank das Schiff etwa 23 Seemeilen vor der pommerschen Küste.

Hier sitzt August Wehage wieder in der Kneipe in der Wißmannstr.11, umgeben von seiner Frau Helene auf seiner rechten Seite, neben ihm, seine Schwestern Lucie (links) und Walli (rechts mit Katze Mitzi) und die Mutter von allen: Ida.
Quelle: Privat

Die Sowjets hielten das in Begleitung der Torpedoboote „T-36“ und „Löwe“ fahrende Schiff für ein Kriegsschiff, das eilig Soldaten aus Ostpreußen vor der Roten Armee über die Ostsee retten wollte. Dazu trug bei, dass es einen Camouflage-Anstrich hatte. Auch Minensuchboote waren im Begleitzug unterwegs. Seit Kriegsbeginn war die „Gustloff“ als Lazarett- und Flüchtlingsschiff deklariert.

Das NS-Regime hatte eine frühzeitige Evakuierung der Zivilbevölkerung Ostpreußens abgelehnt. Am 21. Januar 1945 wurde die Verlegung der 2. U-Boot-Lehrdivison nach Westen angeordnet. So kam Wehage auf die „Gustloff“.  Mit einer groß angelegten Rettungsaktion sollten verwundete Soldaten mit allen verfügbaren Schiffen in das westliche Reichsgebiet transportiert werden. Auch die „Gustloff“ sollte sich an der Evakuierung beteiligen.

Am 30. Januar 1945 legte sie gegen 13:10 Uhr mit schätzungsweise über 10.000 Menschen an Bord in Gotenhafen ab, etwa 8.800 Zivilisten, davon eine große Zahl Kinder, sowie etwa 1.500 Wehrmachtsangehörige, Verwundete, rund 340 Marinehelferinnen und 918 Marinesoldaten der 2. U-Boot-Lehrdivision, die von Kiel aus erneut in den Kriegseinsatz gehen sollten. Mittlerweile war auch die Mitnahme von Zivilisten erlaubt worden, so dass 2,5 Millionen Menschen über die Ostsee entkommen konnten.

August Wehage in der Kriegsmarine.
Quelle: Privat

Das Schiff hatte Positionslichter gesetzt, um eine etwaige Kollisionsgefahr zu vermeiden. Daher war es auch in der Dunkelheit gut auszumachen. Zur hohen Zahl der Opfer trugen mehrere Umstände bei: Um eine planlose Flucht vom Schiff und den Ausbruch einer Panik zu verhindern, wurden etwa 1.000 Menschen in den Wintergarten des Schiffes beordert und dort von Offizieren mit Waffengewalt festgehalten.

Als das Schiff sank, mussten sie feststellen, dass die Fenster des Wintergartens aus Panzerglas bestanden und ein Entkommen stark behinderten. Ein Offizier schoss mehrere Male auf das Fensterglas und brachte es schließlich zum Bersten. Eine Welle spülte die Menschen nach draußen. Der dritte Torpedo schlug im Maschinenraum ein. Die Maschinen stoppten, das Licht fiel aus. Das Vordeck des Schiffes verschwand unter den Wellenbrechern des zwei Grad kalten Wassers der Ostsee.

Zu allem Übel gab es viel zu wenige Rettungsboote. Erschwerend kam hinzu, dass in der Nacht des Untergangs eine Außentemperatur von bis zu minus 20 Grad herrschte, so dass viele der noch vorhandenen Boote in ihren vereisten Davits blockiert waren und nicht seeklar gemacht werden konnten. Jedoch hätten selbst die größeren, zum Schiff gehörenden Rettungsboote niemals ausgereicht, um über 10.000 Menschen zu retten; das Schiff und seine Rettungsboote waren nur für rund 1.900 Passagiere und Besatzungsmitglieder ausgelegt.

1.239 Menschen überlebten eine der größten Katastrophen der Seefahrtsgeschichte. Unter ihnen August Wehage. Wer ihn aus dem eiskalten Wasser der Ostsee gezogen hat, ist unklar. Deutsche Torpedoboote und Minensuchboote eilten sofort zu Hilfe und retteten so viele Menschen wie möglich. Am Ende sind es mehr als 500. Mit Scheinwerfern suchte die Mannschaft die aufgewühlte Oberfläche der Ostsee ab. Doch für viele kam jede Hilfe zu spät. Zum Teil kamen die Geretteten in Lazarette in Kolberg oder wurden auf das Reichsgebiet verteilt.

Legenden und Schweigen

Nach Bremen ist August Wehage dann wohl zu Fuß gelaufen. Seine Frau Helene lebte ja am Waller Ring unweit der Kneipe ihrer Schwiegereltern, in der sie als Reinigungskraft und Bedienung arbeitete. Nachdem er wohl per Schiff nach Westen verlegt wurde, kam er zeitweise in britische Kriegsgefangenschaft. Der Sohn Horst, geboren 1945, lebt heute in Köln.

Und wie das häufig so ist bei traumatischen Erlebnissen: Es gibt Legenden und es gibt Schweigen.

Die Legende geht so: August habe ein Kind vor den Fluten des Meeres gerettet, erzählt man in der Familie. Sein Sohn berichtet mir am Telefon, dass er einmal mit dem Vater zusammen eine Fernsehdokumentation über den Untergang der „Gustloff“ angeschaut haben. August Wehages Kommentar: „Das war eine große Scheiße, rechts und links von mir sind die Menschen untergegangen. Furchtbar.“ Danach habe August Wehage nie mehr über seine Erlebnisse auf der „Gustloff“ gesprochen. Der Krieg mit seinen schlimmen Erlebnissen war wie so oft im Nachkriegsdeutschland auch in der Familie Wehage kein Thema mehr.

August Wehage in Marine-Uniform, im Hintergrund die „Wilhelm Gustloff“ 1938 bei den Hamburger Landungsbrücken.
Quelle: teutopress GmbH/fr

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