Vor 50 Jahren
Ein ebenso gemeiner wie mysteriöser Mord gibt der mit mehreren unaufgeklärten Kapitalverbrechen (darunter der Kampa-Mord, mehr dazu hier) ohnehin schon total ausgelasteten Bremer Kripo neue Rätsel auf. In ihrem kleinen Antiquitätenladen im Hause Rembertistraße 3 wurde die 67 Jahre alte Inhaberin Johanna Kaussel gestern morgen von einem Unbekannten mit zwei Kopfschüssen getötet. Doch obgleich es in dem mit alten Möbeln, Bildern, Figuren und antikem Hausrat vollgepfropften Geschäft genug Wertvolles mitzunehmen gäbe, deutet absolut nichts auf einen Raubmord hin. (WESER-KURIER, 11./12. Dezember 1971)
Hintergrund
Halb sitzend, halb liegend fand man die Antiquitätenhändlerin Johanna Kaussel im kleinen Badezimmer neben dem Verkaufsraum, ihre Brille hielt sie in der Hand. „Fast scheint es, als habe der Mörder sein Opfer regelrecht exekutiert“, berichtete der WESER-KURIER. Zunächst tappte die Polizei im Dunkeln, ein Raubmord schien ebenso ausgeschlossen wie ein Sexualverbrechen. Drei Tage nach dem Verbrechen setzte der Oberstaatsanwalt eine Belohnung von 3000 Mark für die Ergreifung des Täters aus. Als Mörder wurde schließlich ein Mann überführt, der nicht nur einen Menschen auf dem Gewissen hatte.
Auf seine Spur kamen die Ermittler nach gut anderthalb Wochen. Ein anonymer Anrufer hatte den entscheidenden Hinweis auf den Waffenbesitz von Eckhardt Krüger gegeben, einen polizeibekannten 30-Jährigen aus der Gartenstadt Vahr. Kurz nach dem Krieg war er als Kind mit seiner Mutter und zwei Geschwistern aus Pommern gekommen und in Osterholz-Scharmbeck aufgewachsen. Nachdem er sich vergebens in verschiedenen Berufen versucht hatte, geriet er auf die schiefe Bahn. Wegen mehrfachen schweren Diebstahls wurde er 1967 zu dreieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt.
Schon bald nach seiner Freilassung nahm das Unheil seinen Lauf. Die Spirale der Gewalt begann am 27. Juni 1971 mit einem Mordversuch in Schwäbisch Gmünd. Krüger hatte seine Freundin in den Wohnort ihrer Mutter begleitet. In einem Waldstück schoss er einen 24-Jährigen nieder und raubte ihn aus. Der Mann überlebte, war aber gelähmt. Zum ersten Mord kam es drei Wochen danach im Bremer Stadtwald. Ein beerensammelnder Rentner hatte das Pech, Krüger und seiner Lebensgefährtin über den Weg zu laufen. Kaltblütig streckte Krüger ihn mit drei Schüssen in Rücken und Kopf nieder.
Bei einem Berlin-Besuch am 7. Dezember 1971 folgte die nächste Schreckenstat, diesmal traf es einen 33-jährigen Taxifahrer nach dem üblichen Muster: erst ein Schuss in den Rücken, dann ein oder zwei Kopfschüsse. Schwer verletzt kam das Opfer davon, verlor aber fast das gesamte Augenlicht und litt fortan unter Sprach- und Denkstörungen. Drei Tage später starb in Bremen Johanna Kaussel. Anders als zunächst angenommen, ging es dem Mörder auch ums Geld. Krüger entwendete 350 Mark aus der Kasse.
Pikanterweise musste sich der vorbestrafte Mann regelmäßig bei der Polizei melden, das gehörte zu seinen Auflagen nach der Entlassung aus dem Zuchthaus. Trotz dringenden Tatverdachts ließ man ihn laufen, heftete sich aber an seine Fersen. Inzwischen war klar, dass die vier Gewalttaten mit derselben Pistole verübt worden waren. Nun fehlte nur noch die Waffe selbst, die nach dem anonymen Anfangshinweis bei ihm vermutet wurde. Als alles darauf hindeutete, dass er sie bei sich habe, sollte vor der Haustür der Mutter in der Undeloher Straße der Zugriff erfolgen. Doch in der Dunkelheit konnte Krüger entwischen, zwei Tage befand er sich auf der Flucht.
Showdown auf dem Riensberger Friedhof
Gefasst wurde Krüger schließlich am 23. Dezember 1971 auf dem Riensberger Friedhof. Abermals half ein Hinweis aus der Bevölkerung – man hatte ihn gesehen, wie er von der H.-H.-Meier-Allee in Richtung Riensberg lief. Von schwer bewaffneten Polizisten ließ sich Krüger widerstandslos festnehmen, die gesuchte Tatwaffe hatte er in der Underloher Straße verloren. Sein Kommentar: „Gegen eine MP kann man nicht anstinken!“ Der WESER-KURIER war bei seiner Vorführung in der Stadthallenwache hautnah dabei, sogar von der Leibesvisitation wurde ein Foto abgedruckt.
Im Mordprozess vor dem Bremer Schwurgericht verweigerte Krüger die Aussage, auf Grundlage von Indizien wurde er im Dezember 1972 zu dreimal lebenslanger Haft verurteilt. Bei der Urteilsbegründung erklärte der Vorsitzende Richter, mehr als die Geldgier habe den Angeklagten „ein absolutes Machtgefühl ergriffen“ – gesteigert dadurch, dass die drei ersten Taten ohne Folgen blieben. Seine mitangeklagte Freundin, mittlerweile Mutter seines Sohnes, erhielt neun Jahre wegen Beihilfe, ein Komplize elf Jahre. Im April 1974 brach Krüger sein Schweigen und gestand die Taten.