„Kopf hoch!“ (2): Unbekannte Gesichter am St. Petri-Dom
Wie Dr. Hans-Christoph Hoffmann in seinem Buch: „Die Erhaltung des St. Petri Doms zu Bremen im 19. Jahrhundert“ schreibt, hatten sich die Bauherren des Doms „darauf verständigt, sich nicht am Dom in Bildwerken verewigen zu lassen“.
Doch so etwas ist leichter vereinbart als gehalten.
Ist es doch durchaus verständlich, mit so einer Großtat wie der Restauration in Verbindung gebracht zu werden, zumal man im Verwaltenden Bauherrn Franz Schütte einen Mann hatte, der alle überstrahlte und dem gegenüber man mithin ganz klein war. Originalton Hoffmann: „Für die Bauherren neben Schütte war es fast unmöglich, ein eigenes Profil zu entwickeln. Da nichts dafür spricht, dass Schütte sich jemals in die Niederungen schlichter Verwaltungs- und Gemeindearbeit vertieft hat, blieben diese Aufgaben den Kollegen überlassen – mit der Folge, dass ihr Tun keine Spuren hinterließ.“
Der erste Sündenfall in dieser Sache geschah allerdings nicht von einem der Bauherren, sondern vom Kölner Dombaumeister Peter Fuchs, der die Domportale schuf. Er hatte das Relief mit der Arche Noah genutzt, um nicht nur Franz Schütte als Noah zu verewigen, sondern den Architekten Max Salzmann und den Erzgießer Louis, der die Türen gefertigt hatte, quasi als Familienmitglieder des Noah hinter ihm darzustellen. Und in Marie Hackfeld, geborene Pflüger, hatte er die Stifterin der Portale als Maria Magdalena auf dem Relief verewigt, auf dem der auferstandene Christus ihr nach seiner Auferstehung als Gärtner erscheint.
Danach gab es wohl kein Halten mehr. Denn wie Hoffmann berichtet, finden sich „an der Nordseite des Südturms und an der Südseite des Nordturms, also an den beiden einander zugewandten Turmfronten, an den Kämpfern der Fenster des obersten Vollgeschosses am Südturm“ die Büsten von Domarchitekt Max Salzmann in der Mitte, flankiert von denen des späteren Dombaumeisters Wilhelm Below und des Architekten des Künstlervereinshauses Heinrich Müller.
Der geneigte Betrachter braucht ein Fernglas
Vom Nordturm schauen Büsten von Franz Schütte und zwei weiteren „nicht benannten Bauherren“ auf Bremen herab. Um die Büsten zu erkennen, braucht man laut Hoffmann ein Fernglas. Damit kann man dann aber auch den Eintrag unter der Büste von Max Salzmann entziffern. Man liest: „Erbaut /1889-1913/ Max Salzmann / Dombaumeister“. Und am Nordturm steht geschrieben: „Vom II. Geschoss ab/erbaut 1890-93“. Über die übrigen Büsten an den Türmen fehlt profundes Wissen: „Ob die vielen sonstigen Köpfe an den Kämpfern jenes Geschosses bestimmte biblische oder historische Gestalten darstellen sollen, ist weder belegt noch erkennbar.“
Es gibt aber nicht nur Büsten an den Türmen, man findet sie auch an der Außenwand des Nordschiffs. Zwei bleiben vermutlich undefinierbar. Aber zwei von ihnen können hier wahrscheinlich identifiziert werden.
Zunächst aber zu den Büsten von Unbekannten. Nach biblischen Gestalten sehen die beiden nicht aus, die man am westlichen Stützpfeiler des Nordschiffs findet. Hinzu kommen zwei von einem Engel getragene Wappen oberhalb des Brautportals. Sie könnten Wappen von Bauherren sein. Nur: Nach Durchsicht aller Bauherrenwappen im Dom wie im Kapitelshaus konnte keines der Wappen identifiziert werden. Das Wappen von Franz Schütte ist es auch nicht. Dabei legt das Wappen mit dem Bremer Schlüssel den Verdacht nahe, dass es sich um Bremer Wappeninhaber handeln muss, keineswegs also um auswärtige Künstler oder Architekten, Sponsoren o. a. m. , die am Dombau beschäftigt oder anderweitig involviert waren.
Jesus und Maria als Büsten
Hingegen sind die beiden Büsten am linken und rechten Stützpfeiler neben dem Brautportal schnell zu identifizieren: Es handelt sich aller Wahrscheinlichkeit nach um die Köpfe von Jesus und Maria. Denn sie haben das von vielen Bildern her bekannte typische Aussehen der beiden.
Das Eichenblatt, das sich um Christi Haupt windet, könnte ein Hinweis auf die Donar-Eiche sein, die Bonifatius 725 bei Geismar als heidnisches Kultbild fällte. „Oft werden die von alters her kultisch verehrten Eichen aber auch Christus und Maria geweiht und in christliche Wallfahrtsstätten umgewandelt. Durch ihr hartes Holz, das als unverweslich galt, ist die Eiche auch Sinnbild des ewigen Lebens.“ Und die Schlüsselblume oder Primel ist ein Symbol Mariens, „die durch ihren göttlichen Sohn den Menschen den Himmel aufschließt“.
Als der Autor dieser Zeilen Dr. Hoffmann auf seine Vermutung aufmerksam machte, reagierte er zunächst abweisend. Die Künstler, die am Ende des 19. Jahrhunderts am Dom gearbeitet hätten, hätten nicht viel mit Religion am Hut gehabt. Deshalb bezweifele er, dass es sich bei den beiden Büsten um Bilder von Christus und Maria handeln könne.
Wenige Wochen später traf der Autor Dr. Hoffmann am Dom. Inzwischen hatte er jedoch eine weitere, wie er fand, sensationelle Entdeckung gemacht. Denn er kannte den Dom seit 1964 und war unzählige Male in ihm gewesen und hatte dort auch viele Menschen hindurchgeführt. Aber niemals war ihm aufgefallen, dass im bildhauerischen Schmuck des Südportals ein Christus als Guter Hirte versteckt war; und das, obwohl er genau in Augenhöhe, vom Betrachter aus links, ikonographisch gesehen aber rechts angebracht war. Und alle, die er mit seiner Entdeckung konfrontiert hatte, darunter auch leibhaftige Domprediger, die den Dom zu kennen glaubten, hatten den Guten Hirten nie wahrgenommen bzw. sie hatten ihn einfach übersehen.
Der Dombaumeister, ein guter Katholik
Dabei hatte der Künstler Peter Fuchs die Szenen aus dem Leben Jesu, mit denen er das südliche Bronzeportal geschmückt hatte, in der Figur des Jesus als gutem Hirten sozusagen zusammengefasst. Als der Autor dieser Miszelle Dr. Hoffmann, einen exzellenten Kenner des Doms, mit seinem Fund konfrontierte, räumte der nicht nur ein, auch er habe den Guten Hirten noch nie wahrgenommen, sondern er revidierte auch sein Urteil, die Künstler, die um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert am Dom arbeiteten, hätten nicht viel mit Religion zu tun gehabt. Jedenfalls kann man das Peter Fuchs nicht nachsagen, der war nicht nur Katholik, sondern auch Dombaumeister von Köln und als solcher hatte er sehr viel mit Religion und religiösen Themen zu tun.
Am Brautportal gibt es dann noch zwei musizierende Engel. Der eine streicht eine Gambe und der andere hält eine etruskische Subulo in der Hand. Nebenan ist in einer Inschrift vermerkt, dass Friedrich Ludwig Biermann das Brautportal am „31. August des Jahres 1892“ gestiftet hat. Biermann (1837 bis 1904), gebürtig aus Kassel, später seßhaft in Bremen, war mit 70 Tabakfabriken einer der erfolgreichsten Zigarrenfabrikanten des Reiches, sozial eingestellt und sehr spendabel. Die Vermutung, eines der obigen Wappen könnte seines sein, bestätigte sich leider nicht.
Aber unter Umständen kann uns ja der eine Leser oder die andere Leserin dieser Miszelle weiterhelfen, weil sie das Wappen kennt. Der Autor würde sich darüber sehr freuen, denn damit wäre ein weiteres Rätsel am Dom gelöst.
von Wilhelm Tacke