Der kurze Weg zur Lösung des Problems: Abtritt an einen Haus an der Kleinen Weser im 19. Jahrhundert. Quelle: Ansichtskarte

Der kurze Weg zur Lösung des Problems: Abtritt an einen Haus an der Kleinen Weser im 19. Jahrhundert.
Quelle: Ansichtskarte

Vom Problem mit der Entsorgung der „Hinterlassenschaften“: das große Geschäft des Heinrich Alfes, auch „Schieten-Alfes“ genannt 

Heute setzen wir uns auf die Klobrille, machen unser kleines oder großes Geschäft ins Klobecken und drücken auf die entsprechende Taste der Toilettenspülung. Wir zahlen die Kanalbenutzungsgebühr und alles wird aus dem WC weggespült.

Doch das war natürlich nicht immer so: Die Beseitigung der „Hinterlassenschaften“ war – nicht nur in Bremen – vor der Einführung der Schwemmkanalisation im Jahre 1900 ein großes und vor allem ein stinkendes Problem.

Alles Schiete – oder was?

Seit jeher haben Mensch und Tier zwei große Bedürfnisse: Genug zu essen zu bekommen und dann die „Hinterlassenschaften*“, also Kot und Harn = Schiete, wieder los zu werden. Der Urmensch konnte seine Notdurft noch in Wald und Flur verrichten. Die Probleme treten auf, wenn viele Menschen beieinander wohnen. Auf den Burgen gab es Abort-Erker. Die unteren Körperöffnungen konnten so entleert werden und fielen in freiem Fall an den Fuß der Burgmauer.

Die Balge als Kloake

In Bremen diente auch die Balge, ein kurzer Seitenarm der Weser, als Kanal für die anfallenden Fäkalien. Die Häuser an der Kleinen Weser hatten sogenannte Abtritte. Und man hoffte, dass der Fluss den ganzen Schiet einfach wegschwemmte. Doch das tat er nicht. Die Kleine Weser verkam zur Kloake. Die dort ansässigen Badeanstalten mussten um 1900 schließen. Die Balge wurde zugeschüttet und überbaut.

Nicht gerade ein Aushängeschild: Die Bremer fliegenden Blätter nahmen um 1850 die Zustände der Fäkalienentsorgung aufs Korn.

Nicht gerade ein Aushängeschild: Die Bremer fliegenden Blätter nahmen um 1850 die Zustände der Fäkalienentsorgung aufs Korn.

In den Häusern der Stadt waren die Aborte als „Plumpsklos“ entweder in einem Verschlag von der Küche abgetrennt oder standen auf dem Hof oder im Garten. Die in Pötten oder Eimern gesammelten Fäkalien wurden an den Straßenrand gestellt. Dann wartete man auf Bauern, die die stinkende Brühe als Dünger für die Felder abholten.

Oft aber landeten die Exkremente einfach auf der Straße. Es gab auch Gruben, die entleert werden mussten. Verbreitet wurde die Schiete auch mit dem Pferdewagen abgeholt und auf Lagerplätze außerhalb der Stadt abgeladen. Die Bürgerweide, dort wo heute der Freimarkt ist, war einer dieser Lagerplätze. Das endete mit dem Bau des Hannoverschen Bahnhofs von 1847, denn die Reisenden beschwerten sich wegen der Geruchsbelästigung.

Der Mann mit einer Nase fürs große Geschäft: der Fuhrunternehmer Heinrich Alfes. Quelle: HanseWasser

Der Mann mit einer Nase fürs große Geschäft: der Fuhrunternehmer Heinrich Alfes.
Quelle: HanseWasser

Kein Wunder, dass sich auch die Presse das Themas annahm. In den Bremer fliegenden Blättern hieß es um 1850 mit spitzer Feder in einem fiktiven Dialog zwischen einem Baron Eisele und seinem Hofmeister Beisele: „Eisele: Es is kein Wunder wenn a so große Stadt in üblen Geruch kommt./ Beisele: Ja, es is schad, das hier nich das kölnische Wasser erfunden is!“

Nur mit Nase zu und durch war es damit nicht mehr getan. Da bot sich der Fuhrunternehmer Heinrich Alfes an, die Schiete abzufahren, Latrinen zu leeren und sonstigen Unrat in der Vor- , Neu- und Altstadt zu entsorgen. Dafür bezahlte er eine Lizenzgebühr an die Stadt. Der Vertrag zwischen ihm und der Stadt wurde 1854 geschlossen. Die Fäkalien verkaufte er an die Bauern als Dünger, Küchenabfälle verfütterte er an Tiere usw.

Bei Heinrich Alfes stinkt’s gen Himmel

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts nahm die Bremer Bevölkerung rasant zu. Dadurch fielen mehr und mehr Fäkalien an. Der Bremer Senat war im Zugzwang: Das Kanalsystem für die beabsichtigte Schwemmkanalisation war erst noch Bau. Dann sonst hätte man WC’s ans Kanalnetz anschließen und so die menschlichen Hinterlassenschaften durch das Spülwasser abtransportieren können.

Aber wohin? Es gab noch keine Klärwerke. Also blieb nur die Möglichkeit, das Kanalwasser ungeklärt in die Weser und Wümme abzuleiten.

Eine echte Drecksarbeit: Die „Schiet-Kerle“ holten die gefüllten Tonnen von den Häusern ab und trugen sie zum Tonnenwagen. Die Kunden erhielten eine leere Tonne zurück. Quelle: HanseWasser

Eine echte Drecksarbeit: Die „Schiet-Kerle“ holten die gefüllten Tonnen von den Häusern ab und trugen sie zum Tonnenwagen. Die Kunden erhielten eine leere Tonne zurück.
Quelle: HanseWasser

Doch da sprang wieder Heinrich Alfes ein. Er bekam 1893 den Zuschlag für die gesamte Straßenreinigung, die Abfuhr des Hausmülls sowie Abfuhr und Entsorgung der Fäkalien. Das schloss die Gestellung von 25 Liter fassenden Tonnen aus Eichenholz ein. Diese wurden beim Transport mit eisernen Deckeln und Gummidichtungen verschlossen. Eine echte Drecksarbeit für seine Angestellten: Die „Schiet-Kerle“ holten die gefüllten Tonnen von den Häusern ab und trugen sie zum Tonnenwagen. Die Kunden erhielten eine leere Tonne zurück.

Bis 1899 waren in der ganzen Stadt 30.200 Abtrittstonnen in Benutzung, von denen rund 10.000 gewechselt wurden. Alfes erhielt dafür die stattliche Summe von 340.000 Mark jährlich.

Alfes macht den „Schiet-Burger“

Zur Entsorgung entstand 1893 auf dem Gelände von Heinrich Alfes am Arsterdamm eine Fabrik, in der die übelriechende Masse in besser lager- und transportfähige „Poudrettes“ – heute wurde man Pellets sagen – verarbeitet werden sollte. Dazu wurde die Rohmasse mit Schwefelsäure versetzt, gerührt… getrocknet… So genau wollen wir es gar nicht wissen, wie die Poudrettes hergestellt wurden. Jedenfalls stank es fürchterlich, es war eine „Bombenschweinerei“.

Nichts fürs feine Näschen: In der Poudrettefabrik (hier in Lübeck), bestimmt kein angenehmer Job. Quelle: HanseWasser

Nichts fürs feine Näschen: In der Poudrettefabrik (hier in Lübeck), bestimmt kein angenehmer Job.
Quelle: HanseWasser

Doch die Bauern nahmen immer weniger von seinem „Produkt“ als Dünger ab. Große Mengen verblieben auf dem Gelände am Arsterdamm oder wurden in einer nahegelegenen ausgebeuteten Tongrube einer Ziegelei gelagert. Das andere Problem waren die Tonnen selbst: Die Eichenfässer schlugen leck und der Inhalt suppte aus den Transportwagen auf die Straße. Der Geruch nach Jauche wehte über die ganze Stadt. Kurzum, es stank zum Himmel – da rümpften vor allem die Anwohner die Nase. Ihren Unmut artikulierten sie auch schriftlich, eine spöttische Protestpostkarte aus den 1890er Jahren brachte die Probleme auf den Punkt.

Mit seinem etwas anrüchigen Geschäft machte Alfes aus Schiete Gold. Damit hatte er seinen Spitznamen endgültig weg: „Schieten-Alfes“. Im Jahr 1900 war er Millionär. Das Geld re-investierte er in Pferdebahnen, z.B. Nürnberg. Auch die Gründung der Bremerhavener Straßenbahn geht auf ihn zurück.

Die Schiete wird einfach weggespült

Alles in allem waren das untragbare hygienische Zustände. Der Bremer Senat ließ deshalb die Kanalisation ausbauen. Ab Januar 1900 war es Vorschrift, an allen angeschlossenen Straßen zunächst die Neubauten, ab 1903 auch die Altbauten, mit Spülklosetts, also WC’s, auszustatten.

Trotzdem waren 1903 noch etwa 26.000 Tonnen in Umlauf. Und in einigen Bremer Stadtteilen gab es das Eimersystem noch bis in die 1950er Jahre hinein. 1903 kam endlich auch die gesamte Abfallentsorgung als „Bremer Straßenreinigung“ in kommunale Hände.

*Die durchschnittliche Menge der menschlichen Exkremente für einen Erwachsenen beträgt im Jahr etwa 513 Liter, wovon 430 Liter auf den Harn und 83 Liter auf den Kot kommen.

von Peter Strotmann

Es stank zum Himmel: duftende Grüße vom Luftkur- und Erholungsort Arsterdamm, Protest-Postkarte aus dringendem Anlass. Quelle: Protest-Postkarte 1890er

Es stank zum Himmel: duftende Grüße
vom Luftkur- und Erholungsort Arsterdamm,
Protest-Postkarte aus dringendem Anlass.
Quelle: Protest-Postkarte 1890er

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