Foto zeigt Familie Jesse um 1935 in der Brüderstraße: Enkel bittet um Mithilfe bei Recherche

Gemütlich sitzt er da, der Nachwuchs der Familie Jesse auf der Gartenbank. „Das kleinste Mädchen auf der Bank ist meine Mutter Hildegard“, sagt Uwe Schröder. Neben ihr sind die Schwester und ihre drei Brüder zu sehen, stehend dahinter posiert die Mutter der fünfköpfigen Kinderschar, Josefa Jesse. Entstanden ist das Foto nach Schröders Schätzung um 1935 in der Neustadt, es zeigt das traute Heim seiner Mutter mit der weithin sichtbaren Aufschrift „Cigarren Fabrikation J. Jesse“ an der Brüderstraße 3. Eine relativ kleine Straße, die man heute vergeblich sucht. Angelegt 1852 als Ableger vom Neustadtswall, würde sich die Brüderstraße jetzt im äußeren Block zwischen Rotes Kreuz-Krankenhaus und Theater am Leibnizplatz befinden.

In glücklichen Tagen: Familie Jesse um 1935 vorm trauten Heim an der Brüderstraße 3.
Bildvorlage: Privat

Durch Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg wurde dieses Areal schwer verwüstet. Das Haus an der Brüderstraße 3 ist im Sommer 1944 getroffen worden, es sei „total ausgebrannt“, berichtet Schröder. Die schwerwiegenden Zerstörungen hatten Folgen für die Nachkriegsplanungen. Die beiden Nachbarstraßen Bastianstraße und Walldammstraße sind noch vorhanden, doch die Brüderstraße und die angrenzende Straße Hermannshof mussten der Neubebauung weichen.

Wann das geschehen ist, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen. Im Staatsarchiv findet sich nur die vage Angabe, die Brüderstraße sei „nach 1945“ aufgehoben worden. Im Mai 1955 gab es die Brüderstraße jedenfalls noch – damals meldete der Weser-Kurier, ein Handtaschenräuber sei durch die Brüderstraße in Richtung Friedrich-Ebert-Straße geflohen.

Doch was hat es mit der „Cigarren Fabrikation“ auf sich, handelte es sich um einen kleinen Familienbetrieb in der Zigarrenmacher-Tradition der Neustadt? Die ganze Familie in Heimarbeit am Zigarrendrehen wie ehedem, als das Gewerbe noch weit verbreitet war?

An sich eine naheliegende Vermutung, aber nicht ganz richtig. Weisen doch die Einträge in den zeitgenössischen Adressbüchern darauf hin, dass nicht alle Familienmitglieder an der Zigarrenproduktion beteiligt waren. Denn als Beruf des Hausherrn ist 1934 „Geschäftsführer“ angegeben, nur seine Frau wird mit der Zigarrenherstellung in Verbindung gebracht. Auf dem Balkon ist er im weißen Hemd zu sehen.

Das neue Heim hatte die Familie damals gerade erst bezogen. Zuvor waren die Jesses laut Adressbuch viele Jahre an der Nordstraße in Walle ansässig gewesen, schon 1920 mit einer ähnlichen Arbeitsteilung: Gustav Jesse verdiente sein Geld als Arbeiter, seine Frau trug ihr Scherflein durch Tabak- und Zigarrenverkauf bei. Als Arbeiter taucht Jesse dann auch wieder im Adressbuch von 1950 auf. Allerdings ohne seine Frau und auch nicht mehr an der gleichen Adresse, nun wohnte er nicht weit entfernt an der Lehnstedter Straße. Der Grund: Josefa Jesse war im Sommer 1943 auf tragische Weise ums Leben gekommen. Bei einem Fliegeralarm wurde sie auf dem damaligen „Platz der SA“ (heute Leibnizplatz) von einem unbeleuchteten Fahrzeug angefahren und dabei tödlich verletzt.

Als das Foto um 1935 entstand, scheint es einen feierlichen Anlass gegeben zu haben. Darauf deutet der geschmückte Balkon mit seinen Fähnchen und Wimpeln hin, dabei einträchtig nebeneinander: das Hakenkreuz und das Rote Kreuz. Ob vielleicht das schon damals benachbarte Krankenhaus etwas zu feiern hatte? 1876 von der Vorläuferorganisation des Roten Kreuzes als Vereinskrankenhaus gegründet, ging es erst 1937 in den Besitz des Deutschen Roten Kreuzes über.

Die spannende Frage: Wer kann mehr zur Brüderstraße und der Zigarrenfabrikation Jesse sagen?

von Frank Hethey

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