Vor 100 Jahren: die Kaiserbrauerei Beck & Co kauft Remmer / Ein Blick in die Firmengeschichte: Domizil im Lloyd-Keller bis heute legendär
Wirft jemand in einer Gesprächsrunde das Stichwort „Remmer“ in den Raum, dann ist meist immer einer dabei, der mit dem Namen auch ein süffiges Bier verbindet. Das kann aus eigenem Erleben sein oder weil ältere Bekannte oder Verwandte davon berichtet haben. „Mensch Remmer, weißt noch?“
Was mag nur das Besondere an diesem Bier gewesen sein? Das möchte ich in diesem Beitrag berichten, und zwar in einer Chronologie unter Berücksichtigung der gesamten Firmengeschichte. Und die verzeichnet ein besonderes Ereignis vor genau 100 Jahren: Wurde doch Remmer 1917 an die Kaiserbrauerei Beck & Co verkauft.
Das Start-up
Der Aufstieg der Brauerei entwickelte sich aus kleinen Anfängen.
1824
Conrad Hinrich Remmer gründet die Remmer Brauerei am Schüsselkorb 10.
1865
Johann Friedrich Remmer übernimmt die Brauerei.
1872
Johann Friedrich Remmer übernimmt die Bömersche Brauerei an der Pelzerstraße 16 und schließt sie. Im gleichen Jahr eröffnet er dort eine Schenkwirtschaft mit Remmer Bier. Diese Wirtschaft wird von einem Pächter betrieben.
1874 bis 1918
Remmer betreibt eine so genannte Bierquelle (Bierausschank) am Buntentorsteinweg 110/120 (alte Hausnummer 556).
Die weitere Expansion
1877
Wilhelm Remmer jun. übernimmt die Brauerei. Mit Wilhelm Remmer beginnt der Aufstieg der Brauerei zu einer der großen Brauereien Bremens. Das mag insbesondere daran liegen, dass er ein dunkles Bier nach Münchener Brauart produziert. Außerdem braute er für das dunkle, alkoholfreie Seefahrt-Malz-Extrakt-Bier nach einem Jahrhunderte alten Rezept.
Dieses eher klebrige Bier war einst ein wichtiger Bestandteil des Proviants an Bord. Es enthält eine Reihe wertvoller Vitamine. Damit konnten Seeleute, die oft monatelang an Bord waren, ihre Gesundheit erhalten.
Mit den die Gesundheit fördernden Eigenschaften wurde das Bier bis in die 1930er Jahre hinein intensiv beworben. Noch in den 1960ern soll es in Reformhäusern erhältlich gewesen sein.
Berühmt wurde dieses Bier, da es auch bei der Tafel der Schaffermahlzeit (seit 1545) gereicht wird. Dort trinken es fünf Schaffer aus einem reihum gereichten Becher.
Da die Betriebsräume am Schüsselkorb 10 nicht mehr ausreichen, verlegt Wilhelm Remmer jun. das Comptoir und Lager zum Buntentorsteinweg 110/120 (alte Hausnummer: 557-509) und löst eine eine fremde Bierhalle auf Hausnummer Buntentorsteinweg 557 auf.
ab 1881
befinden sich Teile der Bierbrauerei, Comptoir und Lager von Wilhelm Remmer am Buntentorsteinweg 110/120. Remmer baut die Brauerei in den folgenden Jahrzehnten kontinuierlich weiter aus.
1902
Der Konzertgarten „Huckelriede“ der Brauerei Wilhelm Remmer wird eröffnet. Das Lokal entstand auf dem Areal eines alten Landguts. Das Gut war 1898 vom Bremer Staat aufgekauft worden.
Bis zum Zweiten Weltkrieg bestand der Konzertgarten. Das Areal lag in etwa in dem kleinen Park, der sich hinter der Straßenbahn-Haltestelle Huckelriede der Linie 4 befindet.
Im gleichen Jahr baut sich Wilhelm Remmer ein neues Wohnhaus am Buntentorsteinweg, alte Nummer 564. Ebenfalls 1902 erfolgt der Neubau des Sudhauses am Buntentorsteinweg 110/120.
1904
Die Remmer Brauerei am Schüsselkorb 10 wird endgültig geschlossen.
Das vorzügliche Bier
1904
eröffnet Remmer die Altdeutschen Bierstuben an der Pelzerstraße 16. Sie laufen unter Remmers Regie. Remmers Bier eilte der Ruf voraus, dass das Bier gesund sei, denn auf Wunsch wurde noch ein Schuss Seefahrt-Malz-Extrakt hinzugegeben.
In den 1930er Jahren hat das Haus Pelzerstraße 16 eine neue Fassade erhalten.
ab 1905
kommt eine neue Hausnummerierung am Buntentorsteinweg.
-
neue Nummer 110: Wohnhaus von Wilhelm Remmer, Brauereibesitzer (alte Nummer 564)
- neue Nummer110/120: Wilhelm Remmer Bierbrauerei (alte Nummer 557-564)
- neue Nummer 120: Wilhelm Remmer, Bierausschank (alte Nummer 564)
1914 bis 1918
Im letzten Jahr des Ersten Weltkrieges werden Messing, und Kupfer und Maschinenteile als Metallspende aus dem Sudhaus ausgebaut.
1917
Die Kaiserbrauerei Beck & Co kauft die Brauerei Remmer auf. Die Marke bleibt bestehen. Es wird für den heimischen Markt als auch für den Export gebraut.
1918
Wilhelm Remmer stirbt im 71. Lebensjahr. Die Stadt Bremen kauft das 12.509 Quadratmeter große Grundstück auf.
1920
Die Hauptfuhrparkstelle der Bremer Straßenreinigung bezieht die Gebäude am Buntentorsteinweg.
Ab den 1920er Jahren
Das Sudhaus wird zu Wohnzwecken genutzt.
1939 bis 1945
Im Zweiten Welkrieg wird das Haus Pelzerstraße 16 mit Remmers „Altdeutschen Bierstuben“ bei einem Luftangriff vollends zerstört.
Remmer beim Lloyd im Keller
Remmers ehemalige Gaststätte an der Pelzerstraße 16 lag nach dem Zweiten Weltkrieg in Schutt und Asche. Das Lloydgebäude hat zwar auch Schäden, aber es steht wie ein Bollwerk in den Trümmern.
1949
beziehen die Remmer Bierstuben einige Kellerräume des Lloydgebäudes, Große Hundestraße 21.
An den alten Traditionen wird festgehalten, und zwar
- gibt es auf Wunsch einen Schuss Malzextrakt ins Bier. Es wird dadurch noch süffiger
- sind die Kellner mit roten Westen bekleidet und tragen dazu schwarze Fliege
- wird bei jedem leeren Fass geläutet
- sitzen die Gäste an blank gescheuerten Tischen
- waren wieder die alten Sprüche an den Wanden geschrieben, wie „Snack ruhig mol en Mul vull Platt“.
Das nachhaltigste Erlebnis bekam der Gast am Ende seiner Zecherei. Denn man musste vom Keller die Treppe hinauf und trat dann aus der Tür in die Große Hundestraße hinein… Ja, und sofort kriegte man „einen Schlag vorm Kopf“. Das helle Licht brannte in den Augen und wenn man zuvor dachte, man wäre noch ziemlich nüchtern, lief man plötzlich in Schlangenlinien…
1960
Die letzten Dienstpferde der Straßenreinigung am Buntentorsteinweg 110/120 gehen in den Ruhestand.
1969
Das Lloydgebäude wird abgerissen. Damit müssen auch die Remmer Bierstuben weichen.
Remmer wieder im Keller
Das Astoria an der Katharinenstraße 32-35 schloss Silvester 1967 seine Pforten. 1968 übernahm die Haake-Beck Brauerei das Haus und gestaltete es völlig um.
Das „neue“ Remmer eröffnete am 4. Dezember 1968 im Keller des ehemaligen Astroria-Gebäudes an der Katharinenstraße. Doch das war nicht das „alte“ Remmer.
Es fehlte das Ursprüngliche. Es war bestimmt alles nett im Stil der Zeit gemacht. Die Maler hatte die Patina dick aufgetragen. Sogar die alten Sprüche waren wieder an die Wände geschrieben, wie „Snack ruhig mol en Mul vull Platt“. Die Kellner bedienten wieder mit roter Weste und schwarzer Fliege. Wenn ein Bierfass leer war, wurde auch wieder geläutet. Im alten Remmer gab es die blank gescheuerten Tische, jetzt war alles in Hochglanz poliert und versiegelt. Und man saß jetzt in „Separees“.
Doch die ganze Ausstattung brachte die „gute alte Zeit“ vom Remmer im Lloydgebäude nicht wieder zurück. Dabei gab es dort das wirklich gute Remmer Bier, sowie eine Speisekarte mit den beliebten Remmer-Spezialitäten.
Die weit größere Attraktion eröffnete ebenfalls am 4. Dezember 1968. Das war das „Alt Bremer Brauhaus“. Dazu hatten die Architekten und Handwerker das ganze Erdgeschoss in das historische Bremen in der Zeit von 1750 bis 1850 verwandelt. Dort, wo früher die Hauptbühne im Astoria war, gab es es jetzt einen Marktplatz mit 21 liebevoll gestalteten Fassaden. Außerdem gab es 24 unterschiedlich gestaltete Stuben. Alles in allem war im„Alt Bremer Brauhaus“ Platz für 900 Gäste.
Zu den sogenannten Stuben gehörten unter anderem: Kaffeestube, Tabakstube, Braustube, Handwerkerstube, Braustube. Außerdem gab es auch eine Stube Bierzapfen.
Mit dem Abriss des Gebäudes und dem Neubau für die Bremer Landesbank kommt Ende 1992 auch das Ende dieser beiden Lokalitäten.
Das letzte Kapitel
1992
schloss der Remmerkeller an der Katharinenstraße 32-35. Damit hatte Remmers 120 Jahre währende Gaststätten-Tradition ein Ende gefunden.
Remmers letzte Kapitel sahen so aus:
1989
Die Straßenreinigung zieht aus den Gebäuden der ehemaligen Remmer Brauerei am Buntentorsteinweg110-120 aus.
1990er
Die Brauerei Becks/Haake Beck stellt das Brauen von Remmer-Alt Bier ein.
1993
Die Städtische Galerie und die Musikerinitiative Bremen e.V. ziehen in den ehemaligen Gär- und Lagerkeller der Remmer Brauerei.
von 1989 bis 1995
stehen viele Gebäude noch leer. Über eine Nachnutzung wird diskutiert.
1996
Ein Investor erwirbt Remmers ehemaliges Sudhaus und baut es grundlegend um. Unten zieht eine Gaststätte ein, oben entstehen zehn Wohnungen.
2001
Die Baudeputation bewilligt knapp vier Millionen DM für den Umbau der Schwankhalle, um einen festen Ort für die freie Kulturszene zu schaffen. In der Schwankhalle lagerten zu Remmers Zeiten Braun- und Seefahrtsbiere in Fässern.
2003
Die Schwankhalle wurde saniert, umgebaut und hat einen Anbau erhalten. Ein Trägerverein übernimmt die neue Schwankhalle.
2017
Auch in diesem Jahr braut Beck & Co, heute Anheuser-Busch Inbev 120 Flaschen Seefahrtsmalz nach einem Rezept aus dem Jahr 1554 für die Schaffermahlzeit. Leider steht nicht Remmer auf dem Flaschenetikett geschrieben, sondern Haake-Beck Brauerei Bremen.
Damit ist es endgültig mit Remmer vorbei. Nur die Erinnerung bleibt.
von Peter Strotmann