Schweizer Flugblatt von 1585 enthält Meldung aus Bremen / Schwere Fehlbildungen bei Neugeborenem als Bekehrungstext

von Peter Strotmann

War es Sensationslust, wissenschaftliches Interesse oder gottesfürchtiges Tun als der protestantische Geistliche Johann Jacob Wick (1522-1588) von 1560 bis 1587 eine Sammlung von Nachrichten zur Zeitgeschichte anlegte. Man nennt die 24-bändige Sammlung „Wickiana“, die heute in der Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich verwahrt wird. Wick registrierte und illustrierte neben politischen und kulturellen Ereignissen auch Geistererscheinungen und Hexenverbrennungen.

Von der  Wundergeburt in Bremen von 26. Februar 1581 hat er durch ein Schreiben erfahren haben, das Rudolff  D. Waltherten von Johannis E. Wichy erhalten hat. Nach meinen Recherchen waren das ebenfalls Geistliche, die ihm das Bremer Ereignis zugetragen haben werden. Wick wird den Text des Briefes für sein Blatt umgesetzt und in der kolorierten Federzeichnung seiner Fantasie freien Lauf gelassen haben. In der Wickiana sind eine ganze Anzahl von „Wundergeburten“ enthalten.

Hatte ein Ohr für göttliche Wunder und Zeichen: der protestantische Geistliche Johann Jakob Wick aus Zürich.
Quelle: Wikimedia Commons

Diese Wundergeburten müssen im Zusammenhang mit dem Reformationsstreit gesehen werden. Deshalb wurden sie auch als Flugblätter veröffentlicht. Ein Großteil dieser Blätter berichtet von abnormen Zwillingsbildungen bei Neugeborenen, und zwar von sogenannten „Siamesischen Zwillingen“, die an verschiedenen Körperteilen zusammengewachsen sind, aber auch von Kindern mit einem „parasitären Zwilling“.

Man benutzte diese Zwillingsbildungen in der Auseinandersetzung beim Reformationsstreit, um dabei einen göttlichen Kommentar herauszulesen. Und zwar je nach Konfession als Zustimmung oder Ablehnung Gottes zur Kirchenspaltung.

Der Text ist in mittelhochdeutsch geschrieben und von mir in Computerschrift umgesetzt worden. Dann folgte eine behutsame Übertragung ins Hochdeutsche. Dabei sollte so wenig wie möglich vom Originaltext verfälscht werden.

Das Original:

Von einer seltzamen wundergeburt so zu Bremen geboren

den 26 February im 1585 Jar.

schryben Herren Johannis E Wichy an Herren Rudolff D Waltherten

Es ist in unser Statt Brämen ein Kind geboren, welches des selben tags gleich mit todt abgangen, das hatt keine ohren keine augen, auch kein nasen schon an statt des munds hatt es ein kleines löchlin ghen, an den armen hatt es keine händ, welches ein erschrockenlicher anblick gewesen. Söllicher gestalt sind vil der unseren, die keine rechte ohren und augen hend, auch kein söllicher mund, mitt dem sy die warheit standhafft bekennend. Und die wyl die zügunst der warheit so Clar an tag kommen, könnend sy die künftigen gefaren nitt merken, schirmend sich selbs auch nitt bey der fryheit wie sy aber billich thun köndend und möchtend. Diewyl die bedütung mir verborgen, wil ich sy gelerteren zu erduren befelen.

Die Übertragung ins Hochdeutsche:

Von einer seltsamen Wundergeburt so zu Bremen geboren am 26. Februar im Jahre 1585

Schreiben des Herrn Johannis E. Wichy an Herrn Rudolff  D. Waltherten

Es ist in unserer Stadt Bremen ein Kind geboren, welches am selben Tage tot abgegangen ist, das hatte keine Ohren, keine Augen, auch keine Nase, anstatt eines Mundes hatte es nur ein kleines Löchlein hineingehend,  an den Armen hatte es keine Hände, welches ein schockierender Anblick war. Von dieser Gestalt sind vielen der unseren, die keine richtigen Ohren und Augen haben und auch solchiger Mund, mit dem sie nicht die Wahrheit standhaft bekennen könnten. Und weil zu Gunsten der Wahrheit alles so klar an den Tag kommt, können sie künftige Gefahren nicht merken, können sie sich nicht in Freiheit selbst schützen, wie sie es angemessen tun könnten und möchten. Dieweil bleibt mir die Bedeutung verborgen, deshalb empfehle ich, das es Gelehrte, besser als ich es vermag, ergründen mögen.

von Peter Strotmann

Ein Flugblatt von 1581: Mit dieser Wundergeburt-Zeichnung illustrierte Johann Jakob Wick seinen Bekehrungstext.
Quelle: Zentralbibliothek Zürich, Ms. F 29a, f. 32v

Von Anbiet bis Zuckerklatsche

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