Vor 75 Jahren konstituierte sich der Deutsche Metallarbeiterverband Bremen, Vorläufer der IG Metall
Am 8. Mai 1945 endete die zwölfjährige Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten, zu deren ersten Opfern nach dem Mai 1933 die Gewerkschaften gezählt hatten. Unmittelbar nach der Besetzung Bremens durch englische Truppen entstanden in der Stadt erste Initiativen, die Betriebsräte und Gewerkschaften wieder aufzubauen. Treibende Kraft dabei war die „Kampfgemeinschaft gegen den Faschismus“, in der sich Mitglieder von SPD, KPD und unabhängige Sozialisten aus Widerstand und Exil zusammenfanden. Am 19. September 1945 schrieb der Gewerkschaftsredakteur August Enderle im WESER-KURIER: „Jetzt ist die Bahn glücklicherweise wieder frei für den Neuaufbau der Gewerkschaften.“
Nur etwas mehr als ein halbes Jahr später war es so weit. Vor 75 Jahren, am 28. April 1946, konstituierte sich der Deutsche Metallarbeiterverband Bremen (DMV). Damit knüpften die Gewerkschafter an die Tradition des 1891 gegründeten und 1933 verbotenen Verbandes an. Der DMV organisierte zunächst 10.000 Mitglieder, darunter 150 Frauen und 300 Jugendliche. Zum Vorsitzenden wurde der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Oskar Schulze gewählt, ein langjähriger DMV-Funktionär. Am 1. September 1949 ging der DMV in der neu gegründeten IG Metall auf.
Die erste Herausforderung unmittelbar nach Kriegsende war die Linderung der größten Not: Beschaffung von Wohnraum, Nahrungsmitteln und Kleidung für die Beschäftigten, Instandsetzung der Produktion. Der Betriebsrat der Atlas-Werke und spätere Kassierer der IG Metall, Johann Reiners, schreibt in seiner Biografie: „Zunächst waren die Werkhallen wetterdicht zu machen.“ Die Initiative der Unternehmensleitung sei in dieser Zeit „gleich Null“ gewesen. „Sie wartete ab, welchen Kurs die Militärregierung steuern würde. Umgekehrt verhielt sich die Belegschaft. Hätten die Kapitalisten nicht bald ihre Lethargie überwunden, wäre daraus vielleicht eine praktikable Arbeiter-Selbstverwaltung entstanden.“
Wahlen zu Betriebsvertretungen fanden bereits ab Juni 1945 in vielen Betrieben statt – obwohl die Militärregierung die Erlaubnis erst im September 1945 erteilte. Bis Ende Oktober 1945 waren bereits 320 Betriebsräte in 382 Betrieben von 17.400 Beschäftigten gewählt. Im September 1945 erlaubte die Militärregierung ebenfalls die Wiedergründung von Gewerkschaften als Industrieverbände, der Organisationsaufbau konnte nun auch „offiziell“ vorgenommen werden.
Wirtschaft am Boden
Eine zentrale Rolle in den damaligen Diskussionen über die Zukunft spielte die Frage nach der künftigen Organisation von Wirtschaft und Gesellschaft. Die Wirtschaft in der Region lag überwiegend am Boden. Die Demontage wichtiger Industrieanlagen wurde von den Siegermächten gefordert. Große Teile der Wirtschaft und ihrer Vertreter waren als „Wehrwirtschaftsführer“ belastet und ohne Autorität und Glaubwürdigkeit.
Auf der ersten Bremer Betriebsrätekonferenz am 28. Oktober 1946 forderte DMV-Chef Oskar Schulze Mitbestimmung als Lehre aus der nationalsozialistischen Herrschaft: „Wir wollen nicht nur Aufsichtskontrolle, sondern unsere Vertreter müssen hinein in die Betriebsdirektionen, um dort schon bei der Planung und Organisation der Produktion mitzubestimmen. Wir dürfen bei der Besetzung von leitenden Funktionen nicht ängstlich sein. Es gibt genug intelligente Arbeiter, die sich sehr rasch in leitende Funktionen hineinarbeiten werden.“
Und der Bremer Bürgermeister Wilhelm Kaisen (SPD) wird im WESER-KURIER vom 4. Dezember 1946 mit den Worten zitiert: „Betriebsräte! Der große wirtschaftliche Notstand unserer Zeit wurzelt zum größten Teil im Krieg und zum anderen im Kapitalismus selbst.“ Als Ausweg nannte er „eine Wirtschaftspolitik, die nicht den Profitinteressen, sondern den Interessen der Verbraucher dient.“
In den frühen Nachkriegsjahren gab es harte Auseinandersetzungen. Ende April 1953 begann ein sechswöchiger „Werftarbeiterstreik“. Ziel waren Verbesserung der Löhne und der Akkordbedingungen. Die Arbeitgeber reagierten mit Aussperrung von 14.000 Beschäftigten – der ersten Flächenaussperrung der Nachkriegszeit. Der Arbeitskampf wurde mit großer Erbitterung geführt, erst unter Vermittlung des Senats kam es im Juni 1953 zu einer Einigung.
In den 75 Jahren seit Wiedergründung der Metallarbeitergewerkschaft ist der beständige Strukturwandel die zentrale Herausforderung. Einige Beispiele: Die AG Weser durfte anfangs nicht produzieren, Demontage drohte. In den 1960er-Jahren kam der Aufschwung, aber Ende der 1970er begann die Krise. Die AG Weser wurde 1983, die Vulkan-Werft 1997 geschlossen. Die Borgward-Pleite 1961 brachte das Ende des PKW-Baus in Bremen. Mit der Mercedes-Produktion in Bremen wurde die Region wieder zu einem führenden „Autostandort“: heute vor der Herausforderung, den Wandel zu Elektromobilität zu organisieren.
Der Luftfahrtindustrie wurde nach 1945 im Zuge von Produktionsbeschränkungen und Demontage keine gute Zukunft vorausgesagt. In den 1970ern wurde hier das erste deutsche Verkehrsflugzeug mit Düsenantrieb – die VFW 614 – entwickelt. Aktuell gibt es Sorgen um die Zukunft der Flügelmontage. Mit dem Kauf der Norddeutschen Hütte durch Klöckner begann Mitte der 1950er der Bau des Stahlwerkes. Ab Mitte der 1970er wurde es immer wieder durch „Stahlkrisen“ gebeutelt und 1992 aus der Insolvenz gerettet. Mittlerweile ist das Werk Teil des größten Stahlkonzerns der Welt und immer noch Arbeitgeber für über 3000 Stammbeschäftigte und Tausende Zulieferer.
Silberwaren-Industrie ist Vergangenheit
Doch etliche metallverarbeitende Unternehmen haben den Strukturwandel nicht überstanden. Die traditionsreiche Silberwarenindustrie mit Tausenden Beschäftigten ist Vergangenheit – oder auf ein Werkstattformat geschrumpft. Nordmende produzierte Unterhaltungselektronik. Viele Frauen fanden hier gut bezahlte Arbeit. 1993 verschwand der Betrieb endgültig aus Bremen. An die einstmals große „Hansa Waggonbau“ erinnert nur noch der Zuckerhut-Bunker. Von der „Schürenstedt-Werft“ in Blumenthal sind nur ein paar Helgen geblieben. Auf dem Gelände der ehemaligen „Atlas Werke“ an der Stephanikirchenweide entsteht ein neuer Stadtteil mit Wohnen und Gewerbe.
Dieser Wandel wird weitergehen. „Wenn die Industrie heute vor den großen Herausforderungen der Dekarbonisierung und Transformation steht und um Fragen der Zukunft, ist Mitbestimmung der Betriebsräte und der IG Metall und die Beteiligung der Beschäftigten unabdingbar“, so Ute Buggeln, Geschäftsführerin der IG Metall Bremen. Die Zukunft dürfe nicht von den Rendite-Interessen der Kapitaleigner abhängen. „Wenn sich in den Betrieben die Bedingungen der Arbeit ändern, verändern sich auch die Interessen und Handlungsspielräume der Beschäftigten.“
Dieter Reinken (68)
war im Betriebsrat der Klöckner-Werke und Geschäftsführer der IG Metall in Bremen (2001-2012), SPD-Landeschef (2014-2016) und Mitglied der Bürgerschaft (2011-2019).