Das Bad am Breitenweg als Hindernis bei der Städteplanung
Das Breitenwegbad hat es nicht einfach gehabt. Zum Zeitpunkt seiner Eröffnung 1877 gab es den heutigen Hauptbahnhof noch gar nicht. Als der dann erbaut wurde, lag die Badeanstalt plötzlich am Bahnhofsplatz. Und entwickelte sich im Laufe der Jahrzehnte zum ungeliebten Kind – es stand ambitionierten Städteplanern im Wege. Nun beginnen an seinem früheren Standort die Arbeiten für einen heftig umstrittenen Doppelneubau: Zeit für einen Rückblick auf die Geschichte des Bahnhofsplatzes.
Eine Badeanstalt und Hotelanlagen im trauten Miteinander am Bahnhofsplatz? Für Rechtsanwalt Dr. Arend Tellmann ein völlig abwegiger Gedanke. „Die Fremden, die Bremen besuchen und in Hotels übernachten, werden wohl kaum auf den Gedanken kommen, in einer städtischen Badeanstalt ihr Bad zu nehmen“, wetterte er im Juni 1949 in einem Schreiben an Bürgermeister Wilhelm Kaisen.
Der Zorn des Juristen richtete sich gegen das Bad am Breitenweg. Das wuchtige, mit seinem langen Schornstein fast wie eine Fabrik wirkende Gebäude befand sich genau dort, wo jetzt die Arbeiten für die beiden umstrittenen Neubauten beginnen. Im Krieg war das Breitenwegbad zwar schwer beschädigt, aber nicht zerstört worden. Und nun sollte das Ungetüm tatsächlich unangetastet bleiben? Tellmann hatte Mühe, sich zu beherrschen. Es sei überhaupt nicht einzusehen, schrieb er an Kaisen, weshalb eine Badeanstalt ausgerechnet am Bahnhofsplatz liegen müsse.
Nicht erst in unseren Tagen erhitzen sich die Gemüter, wenn es um die Gestaltung des Bahnhofsplatzes geht. Wenige Jahre nach Kriegsende war das nicht anders.
Infolge der schweren Bombenschäden gab es reichlich Diskussionsbedarf. Vor allem die Lobby der Hotelbetreiber machte ordentlich Dampf. Der Bahnhofsplatz sei geradezu prädestiniert für Hotelbauten, betonte Tellmann. Für ihn boten die Kriegszerstörungen eine historische Chance, frühere Bausünden zu korrigieren. Im Januar 1950 schickte er Kaisen ein Positionspapier. Ein wortgewaltiges Pamphlet, das die Errichtung von Fremdenverkehrsbetrieben in unmittelbarer Bahnhofsnähe als „Gebot der Stunde“ titulierte.
Das Breitenwegbad als Fehlplanung?
Vom Hauptbahnhof noch nichts zu sehen
Ganz so einfach lagen die Dinge nun allerdings doch nicht. Denn als die Badeanstalt 1877 ihren Betrieb aufnahm, war vom Bahnhof noch nichts zu sehen. Des Rätsels Lösung: Gegenüber gab es damals noch gar keinen Hauptbahnhof, der entstand erst zwischen 1885 und 1889. Stattdessen wurde der Zugverkehr traditionell über den Hannoverschen Bahnhof (auch Staatsbahnhof genannt) abgewickelt. Und der lag schräg gegenüber, westlich vom heutigen Bahnhofsgebäude. Dort, wo sich heute das Post- und Eisenbahnverwaltungsgebäude befindet. Seine Frontseite würde jetzt zu einem großen Teil auf die nördliche Längsseite des Übersee-Museums zeigen, dessen Standort damals noch ein freier Platz war – der Bahnhofsplatz.
Mit anderen Worten: Zum Zeitpunkt seiner Errichtung befand sich das Breitenwegbad noch gar nicht direkt am Bahnhofsplatz, sondern schloss sich an seine südöstliche Ecke an. Erst durch den Abriss des Hannoverschen Bahnhofs 1885 und die Eröffnung des neuen Hauptbahnhofs (damals „Centralbahnhof“) 1889 verschob sich der Bahnhofsplatz nach Osten an seinen heutigen Standort.
Erst jetzt lag das Breitenwegbad plötzlich am Bahnhofsplatz. Und das auch noch mit seiner Kehrseite. Sicherlich eine kuriose Situation. Aber keineswegs eine, die so geplant gewesen wäre.
Ursprünglich war der neue „Centralbahnhof“ an ganz anderer Stelle geplant. Als Keilbahnhof sollte er im Bereich des heutigen Barkhof-Gymnasiums entstehen. Auf einer alten Stadtkarte von 1887 ist dieser Standort als „projektierter“ noch sehr gut zu erkennen. Deren Macher waren augenscheinlich nicht ganz auf der Höhe der Zeit, denn damals waren die Bauarbeiten am heutigen Standort schon längst im Gange.
Die Planänderung scheint auf Initiative des Architekten Heinrich Müller zustande gekommen zu sein. Eine Vielzahl repräsentativer Gebäude in Bremen waren auf seinem Zeichenbrett entstanden, darunter das von Kapff’sche Haus an der Großen Weserbrücke und die Rembertikirche. Sein Metier waren voluminöse Bauten im historistischen Zeitgeschmack. Müller hatte enormen Einfluss, der Historiker Herbert Schwarzwälder bezeichnet ihn als „Stararchitekten der bürgerlichen Oberschicht“.
Stararchitekt Müller unterbreitete eine Anregung
Da nimmt es kaum Wunder, dass Müller auch bei den Planungen des neuen „Centralbahnhofs“ ein entscheidendes Wort mitzureden hatte. Ein Sitzungsbericht vom Juli 1884 gibt Aufschluss darüber. „Ferner sei seitens des Architekten Herrn Müller in Anregung gebracht“, heißt es da im gedrechselten Amtsdeutsch, „daß das neue Stations-Gebäude nicht wieder an der alten Stelle erbaut, sondern die Achse des neuen Stations-Gebäudes in die Achse der Bahnhofsstraße gerückt werden möge.“
Bis heute prägt ein weiterer Neubau aus diesen Jahren das Gesicht des Bahnhofsplatzes: das auf dem Areal des nun verwaisten alten Bahnhofsplatzes 1896 eröffnete Städtische Museum für Natur- , Völker- und Handelskunde, heute Übersee-Museum. Erst nach dem Ersten Weltkrieg entstand auf der gegenüberliegenden Seite das Postamt 5, dessen Bauzeit von 1923 bis 1926 währte. Damals wurde auch der auffällige Opelturm vor der Badeanstalt errichtet, ein modernistischer Würfelbau des Werkbund-Architekten Heinz Stoffregen. Als Ausstellungsgebäude für Opel-Automobile konzipiert, beherbergte es später verschiedene Gastronomiebetriebe. Im Spätherbst 1967 wurde der Turm abgerissen.
Älteren Datums war das bis heute existierende Columbus-Hotel an der Südseite des Bahnhofsplatzes. Bereits in den 1860er Jahren des 19. Jahrhunderts als „Casper’s Hotel“ eröffnet, nannte es sich nach einem großangelegten Umbau in den frühen 1890er Jahren „Central Hotel“ und ab den 1920er Jahren in Anlehnung an den gleichnamigen Lloyddampfer „Zentral-Hotel Columbus“.
In jenen Jahren quälte sich der ständig wachsende Großstadtverkehr noch direkt am Bahnhofsportal entlang. Damit war es 1936 vorbei, als der Bahnhofsplatz großflächige Park- und Haltestellen für Autos, Omnibusse und Straßenbahnen erhielt.
Ein KdF-Hotel anstelle des Breitenwegbads
Schon damals war das Breitenwegbad den Stadtplanern ein Dorn im Auge. Wollte man den Bahnhofsplatz in einen neuen Straßenring um die Altstadt einbeziehen oder auch nur erweitern, musste die ungeliebte Badeanstalt weichen. In den seit 1940 existierenden Planungen für die Neugestaltung Bremens als „Aufbaustadt“ spielte das Breitenwegbad schon keine Rolle mehr. Es sollte Platz machen für ein Großkino, ein KdF-Hotel und ein respektables Bürohaus.
Daraus wurde bekanntlich nichts, der Krieg machte alle Stadtplanungen zunichte. Freilich ist es ein denkwürdiges Phänomen nicht nur in Bremen, dass man nach 1945 keinerlei Bedenken hatte, alte Entwürfe aus den Jahren des „Dritten Reichs“ wieder aus der Schublade zu holen. Wie das NS-Regime von Autobahnplänen aus Weimarer Zeiten profitierte, so machte sich die junge Bundesrepublik vielerorts Städteplanungen aus den Hitlerjahren zunutze.
Ob es da überhaupt noch der massiven Lobbyarbeit des Rechtsanwalts Tellmann bedurft hätte, um endlich das ungeliebte Breitenwegbad loszuwerden, lässt sich nur schwer ermessen. Doch vermutlich rannte er offene Türen ein, denn bereits 1950 begann der Bau des damals hochmodernen Zentralbades am Richtweg. Mit seiner Eröffnung 1952 waren dann die Tage des Breitenwegbads endgültig gezählt.
Für Tellmann ein wahres Freudenjahr. Erhielt der Bahnhofsplatz durch die Fertigstellung des neuen Columbus-Hotels und des Zentralen Omnibusbahnhofs (ZOB) im gleichen Jahr doch ein ganz neues Gesicht, einen modernen Anstrich ganz nach seinem Geschmack. Man darf sich wohl sicher sein: Auch der jetzt vorgesehene siebenstöckige Hotelneubau am Standort des alten Breitenwegbads hätte seine vorbehaltlose Unterstützung gefunden.
von Frank Hethey