Ein Blick in die Geschichte (177): Ansichtskarte von 1905 zeigt heutige Slevogtstraße
Wer sich 1905 zur neu angelegten König Albertstraße (heute Slevogtstraße) begab, konnte seinen Blick noch schweifen lassen – bis zum Turm der Rembertikirche in der Ferne. Sonderlich lange währte das Vergnügen allerdings nicht, bereits wenige Jahre später verstellten zwei wuchtige Neubauten an der Hohenlohestraße den Blick auf den neugotischen, im Zweiten Weltkrieg zerstörten Sakralbau.
Doch warum eigentlich König Albertstraße? Mit den gleichnamigen Monarchen aus Belgien hat die Benennung nichts zu tun. Vielmehr sollte damit König Albert von Sachsen geehrt werden, der kurz vor Anlage der neuen Straße im Juni 1902 gestorben war. Im Kaiserreich gab es gleich mehrere gekrönte Häupter, neben dem König von Preußen auch die Könige von Sachsen, Bayern und Württemberg. Eine uralte Tradition hatte keines dieser Königreiche: Den Anfang hatte Preußen 1701 gemacht, die drei anderen Monarchien kamen zu ihrem neuen Glanz erst 1806 mit dem Untergang des alten Reichs.
Neue Straßen nach gekrönten Häuptern, verdienten Staatsmännern oder erfolgreichen Militärs zu benennen, war gang und gäbe in Kaisers Zeiten. Ein Beispiel: die Hohenlohestraße in unmittelbarer Nachbarschaft, eine Hommage an Reichskanzler Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Wie König Albert hatte er kurz vor Baubeginn der neuen Straße im Juli 1901 das Zeitliche gesegnet. An den nach nur dreimonatiger Amtszeit im Juni 1888 verstorbenen Kaiser Friedrich III. erinnerte die Kaiser Friedrich-Straße, heute Hermann-Böse-Straße. Und an den preußischen General August Karl von Goeben die benachbarte Goebenstraße.
1903 noch kein einziger Anwohner
Das Adressbuch von 1903 weist die König Albertstraße noch als Bauplatz aus, kein einziger Anwohner ist verzeichnet. Erst ein Jahr später sind im neuen Adressbuch die ersten beiden Anlieger zu finden.
Die Bebauung begann im parknahen Abschnitt jenseits der damaligen Kaiser Friedrich-Straße im Eckbereich zur Parkstraße. Dass es sich bei den Bauherren um vermögende Bremer handelte, versteht sich von selbst im Nobelviertel Schwachhausen. Im Neubau mit der Nummer 58 ließ sich ein Mediziner nieder, das Nachbarhaus mit der Nummer 60 hatte der bekannte Bankier Bernhard Loose in Auftrag gegeben. Allerdings sollte Loose die Fertigstellung nicht mehr erleben, er starb im Mai 1902 im Alter von 66 Jahren. Das von dem Architekten Wilhelm Blanke entworfene Gebäude steht heute unter Denkmalschutz.
Eingebüßt hat die König Albertstraße ihren Namen kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Auf Geheiß der Militärregierung, teils aber auch aus eigener Initiative räumte der Senat mit kompromittierenden Straßennamen auf. Dabei blieben nicht nur eindeutig kontaminierte NS-Namensschöpfungen auf der Strecke wie etwa die Legion Condor-Straße (vorher Caprivi- und Parkstraße) – eine Erinnerung an die deutsche Waffenhilfe für General Franco im Spanischen Bürgerkrieg.
Auch Bezüge zum Kaiserreich wurden gründlich ausgemerzt. Aus der Kaiser Friedrich-Straße wurde die Hermann-Böse-Straße, aus der König Albertstraße die Slevogtstraße, aus der Hohenzollernstraße die Heinrich-Heine-Straße. Freilich war die Säuberungswelle erstaunlich selektiv. Warum König Albert, Kaiser Friedrich III. und Reichskanzler Leo von Caprivi als Namensgeber abgestraft wurden, aber nicht Kanzlerkollege Hohenlohe-Schillingsfürst, General Goeben oder Langemarck als Verherrlichung soldatischer Opferbereitschaft im Ersten Weltkrieg, bleibt ein Geheimnis der Geschichte.
von Frank Hethey