Zum Unesco-Welterbetag: Heute wird die Statue geschätzt – vor 200 Jahren war man anderer Ansicht

Zum Unesco-Welterbetag an diesem Sonntag darf er sich mal wieder besonderer Aufmerksamkeit erfreuen: der Bremer Roland. Seit 2004 steht der stolze Ritter zusammen mit dem Rathaus auf der Liste des Welterbes der Menschheit, gern bekennt man sich zu ihm als Symbolfigur städtischer Freiheit. Doch die ungeteilte Wertschätzung von heute wurde dem Roland keineswegs immer entgegengebracht. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts hätte man das berühmte Standbild fast zu Schotter verarbeitet. Als „steif und schwerfällig“ kanzelte Senator Arnold Gerhard Deneken „diese seltsame colossale Bildsäule“ noch 1828 ab. Sein vernichtendes Urteil: Der Roland sei das „mysteriöse Gebilde einer grotesken Phantasie“.

Klobig und schwerfällig: das zeitgenössische Urteil über den Roland im frühen 19. Jahrhundert fiel nicht eben günstig aus.
Foto: Frank Hethey

Wäre alles gelaufen wie geplant, hätte sich Deneken damals schon gar nicht mehr über die Nichtigkeit der Statue ereifern müssen. Man schrieb das Jahr 1811, als es der Statue an den Kragen ging. Das napoleonische Frankreich hatte Bremen gerade annektiert. Der neue Bürgermeister – nunmehr der Maire – Wilhelm Ernst Wichelhausen war von Reformeifer beseelt, schon bald nach seinem Amtsantritt wälzte der 42-Jährige einen Plan zur völligen Neugestaltung des Marktplatzes. Der galt in seiner bisherigen Form als überholt, ein Relikt längst vergangener Tage.

Mitten auf dem Marktplatz war ein gewaltiger Bau vorgesehen

Für Wichelhausen dürften nicht nur ästhetische Erwägungen eine Rolle gespielt haben. Moderne Erkenntnisse spielten ihm in die Karten: Der Fleischverkauf unter freiem Himmel galt als unhygienisch, man wollte die Händler in einem massiven Gebäude unterbringen. Wie genau diese neue Markthalle aussehen sollte, zeigen erhaltene Skizzen. Mitten auf dem Marktplatz war ein gewaltiger Bau mit Arkaden vorgesehen, die Ringhalle. Der Entwurf des klassizistischen Architekten Jacob Ephraim Polzin ließ keinerlei Platz für vorherige Elemente – das Wachlokal, die Marktmauer und den Roland sucht man auf der Visualisierung vergebens.

Freilich konnte der Maire nicht einfach schalten und walten wie er wollte. Es bedurfte der Abstimmung mit den vorgesetzten Behörden, nicht zuletzt mit dem Präfekten Philipp Karl von Arberg. Dem teilte Wichelhausen im November 1811 mit, die Statue des Stadtpatrons St. Roland sei „ohne jeden ästhetischen Wert“. Später wollten patriotische Stimmen in dieser an sich unmissverständlichen Äußerung einen raffinierten Kniff erkennen, hartnäckig hält sich diese Mär bis heute (mehr dazu hier). Ganz bewusst habe Wichelhausen die Bedeutung der Statue heruntergespielt, um sie vor dem französischen Zugriff zu bewahren. Darum auch die so sonderbar anmutende Bezeichnung als Heiligenfigur – damit habe er den atheistischen Franzosen die Lust auf den Roland austreiben wollen. Ein geradezu genialer Einfall des wackeren Wichelhausen.

Ganz von der Hand zu weisen ist diese Deutung nicht. Französische Kunstkenner durchstreiften damals den Kontinent, um auswärtige Kunstschätze zu requirieren. Das kulturelle Welterbe der Menschheit, für alle sichtbar in der Metropole Paris – diese Idee steckte hinter dem Kunstraub im großen Stil. Als Beutekunst wanderte unter anderem die Quadriga vom Brandenburger Tor an die Seine.

Das Roland-Denkmal ohne schützendes Gitter. Ansichtskarte, 1977
Quelle: Sammlung Strotmann

Doch blühte solch ein Schicksal auch dem Roland? Die Statue habe durchaus ins Beuteschema gepasst, sagt Reinhard Kaiser, Autor einer Biografie über Vivant Denon, den Chefbeauftragten Napoleons für die Beschlagnahme von Kunstgegenständen. Allerdings spielt der Roland im umfangreichen Briefwechsel zwischen Denon und dem französischen Kaiser keine Rolle. Der Experte: „Offenbar hatte Napoleon nichts mit dem Roland zu schaffen.“

Mit anderen Worten, für Wichelhausen gab es überhaupt keinen triftigen Grund, den Franzosen den Roland abspenstig zu machen. „Das Verdikt des Maire, der Roland sei ohne jeden ästhetischen Wert, wird Wichelhausens ehrlicher Überzeugung entsprochen haben“, konstatiert der Historiker Rolf Kirsch, ehemals Mitarbeiter der Landesdenkmalpflege. Deshalb ist auch anzunehmen, dass der Chefingenieur des Departements, Louis Eudel, in voller Übereinstimmung mit dem Maire handelte, als er im Mai 1812 den Abriss der Roland-Statue forderte.

Bekundete kein Interesse an der Roland-Statue: der französische Kunstsammler Vivant Denon.
Quelle: Robert Lefèvre

Der 1404 errichtete Roland galt als hüftsteif und klobig

Was heute beispiellos ignorant erscheint, hat mit dem klassizistischen Zeitgeist zu tun. Mit mittelalterlicher Kunstfertigkeit konnte man damals nichts anfangen, der 1404 errichtete Roland galt als hüftsteif und klobig, als Zeugnis einer glücklich überwundenen Entwicklungsstufe der Menschheit. Wer den Apollo von Belvedere als Ideal antiker Bildhauerkunst anhimmelte, konnte sich eben nicht erfreuen am „abentheuerlichen Geschmacke des Gothischen“, wie Senator Deneken es ausdrückte. Geringschätzig blickte man herab auf die mittelalterliche Kunst, die Antike war der Maßstab.

Ausgerechnet das französische Innenministerium legte jedoch ein Veto ein. Als die Eudel-Pläne in Paris vorgelegt wurden, segnete die Behörde zwar die Umgestaltung des Marktplatzes ab, machte aber zur Auflage, dass der Roland und die Marktmauer erhalten bleiben müssten. Vergebens wetterte Eudel im Oktober 1813 gegen die Entscheidung. Nur widerstrebend fand er sich bereit, den Roland als überdimensionale Brunnenfigur beim Umbau des Marktplatzes zu berücksichtigen. Kurz danach endete die „Franzosenzeit“ in Bremen, die leidige Angelegenheit hatte sich damit erledigt.

Erst im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts stieg der Roland in der Achtung seiner Betrachter. Sicher hatte die Romantik mit ihrer Rückbesinnung auf das Mittelalter ihren Anteil daran. Ab Mitte des Jahrhunderts setzte sich in der Architektur dann sogar der neugotische Stil als „deutscher Stil“ durch. Vom Zeitalter des Nationalismus profitierte zweifellos auch der Roland. Im Krisen- und Kriegsjahr 1848 setzte Friedrich Rückert der Statue mit seinem Gedicht „Roland, der Ries‘ am Rathaus zu Bremen“ ein lyrisches Denkmal. Einem hölzernen Roland am Grasmarkt konnte man im Ersten Weltkrieg gegen Zahlung einer Kriegsspende eiserne, silberne oder goldene Nägel in die Lenden schlagen (mehr dazu hier).

Der Roland als Personifizierung deutscher Wehrhaftigkeit – was für eine Karriere seit den abschätzigen Urteilen rund 100 Jahre zuvor.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein Ärgernis: die Roland-Statue auf dem Bremer Marktplatz.
Quelle: Archiv/Imago

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