Zur Taufe der „Hindenburg“ kam Paul von Hindenburg im Februar 1921 nach Bremen – und wurde bejubelt
Schon bei seiner Ankunft am Bahnhof wartete eine große Menschenmenge auf Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg. Aus seinem Wohnort Hannover war der „Held von Tannenberg“ an diesem 8. Februar 1921 per Schnellzug nach Bremen gekommen. Der Industrielle und rechtsliberale Politiker Hugo Stinnes hatte den damals 73-Jährigen zur Taufe seines neuen Frachtdampfers auf der Werft des Bremer Vulkan eingeladen. Als „Hindenburg“ sollte das Schiff fortan die Südamerika-Route bedienen.
Von einem ansehnlichen Teil der Bevölkerung wurde Hindenburg als lebende Legende wahrgenommen. Tausende versammelten sich vor seiner Unterkunft, der Nobelherberge Hillmanns Hotel am Herdentorsteinweg. Das Deutschland-Lied wurde angestimmt, vom Hotelfenster aus nahm Hindenburg die Huldigungen seiner Verehrer entgegen. Eine Abteilung der Vaterländischen Jugend entrollte die schwarz-weiß-roten Farben des untergegangenen Kaiserreichs und ehrte den „unbesiegten Helden“.
Kein seniler Greis
Nichts von der einstigen Euphorie ist heute noch zu spüren. Dass Hindenburg als Reichspräsident den zuvor als „böhmischen Gefreiten“ geschmähten Hitler zum Kanzler ernannte, hat sein Renommee nachhaltig und dauerhaft beschädigt. Zumal sein Biograf Wolfram Pyta belegen konnte, dass Hindenburg keineswegs als seniler Greis den Einflüsterungen seiner Umgebung erlegen war.
Sein Ruf als genialer Feldherr gründete sich auf den deutschen Sieg über die Russen in der Schlacht bei Tannenberg im August 1914. Bei Kriegsbeginn weilte der bis dahin wenig bekannte General bereits im Ruhestand. Vergebens mühte er sich in den ersten Kriegswochen um eine neuerliche Verwendung. „Ich sitze immer noch wie ein altes Weib hinter dem Ofen“, grollte er gegenüber seiner Tochter.
Erst als General Erich Ludendorff als neuer Stabschef und damit als eigentlicher Kopf der Operationsplanung engagiert war, erhielt Hindenburg den Oberbefehl über die bedrängte 8. Armee in Ostpreußen. Eine rein repräsentative Aufgabe, wie Pyta betont. Gerade deshalb verfestigte sich das Bild des siegreichen Feldherrn. Mochte Ludendorff auch der Kopf hinter dem Triumph sein, so war Hindenburg doch das Gesicht des Erfolgs. Die Zusammenarbeit mit Ludendorff bewährte sich, ab August 1916 standen die beiden Militärs an der Spitze der Obersten Heeresleitung (OHL).
Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Heldenkult um Hindenburg schon fest etabliert. Der robuste General galt als unerschrockener und unerschütterlicher Nationalheros, ein Mann so standfest wie eine deutsche Eiche. Der Sieg bei Tannenberg entrückte Hindenburg in eine schon fast übermenschliche Sphäre. Wie rasant dieser Prozess vonstatten ging, lässt sich an der Rezeption in Bremen ablesen. Zu seinem 68. Geburtstag am 2. Oktober 1915 warf sich die Stadt in Schale, es wurde allenthalben geflaggt, in den Theatern ließ man ihn hochleben.
Doch es war nicht nur sein vorgeblicher Genius als Feldherr, der Hindenburg so populär machte. Der hünenhafte Stoiker galt in den Kriegswirren als ruhender Pol, laut Pyta entwickelte er sich zu einer „nationalen Vaterfigur“. Da nimmt es nicht wunder, dass Bremen ihn im Oktober 1917 anlässlich seines 70. Geburtstags zum Ehrenbürger ernannte. Noch nicht einmal der deutsche Zusammenbruch im November 1918 konnte seinem Nimbus etwas anhaben. Ludendorff wurde mit Schimpf und Schande entlassen, Hindenburg dagegen bekleidete seinen Posten weiter bis zur Unterzeichnung des Versailler Vertrags im Juni 1919.
In der Öffentlichkeit blieb Hindenburg auch als Privatmann präsent, nicht zuletzt als er die „Dolchstoß-Legende“ vom hinterhältigen Verrat an der kämpfenden Truppe bekräftigte. Für die Nationalkonservativen war Hindenburg genau der richtige Mann, um aus dem polarisierten deutschen Volk die ersehnte „Volksgemeinschaft“ zu schmieden. Im März 1920 erklärte er seine Bereitschaft zur Kandidatur für das Amt des Reichspräsidenten, aus dem Wahlgang wurde dann aber nichts wegen des Kapp-Putsches.
Wie Hindenburg damals gesehen wurde, bezeugen die Erinnerungen von Dompastor Otto Hartwich, Gründer des rassistischen Volksbunds „Rettet die Ehre“. Über einen Empfang in Hindenburgs Privatwohnung in Hannover schwärmte Hartwich: „Wir sahen den unbesiegten Denker der großen Schlachten des Weltkrieges und den urdeutschen Helden des Volkes.“
Als Hindenburg am 8. Februar 1921 nach Bremen kam, geschah dies in einer persönlich schwierigen Lebensphase. Seine Frau Gertrud war unheilbar an Krebs erkrankt, Hindenburg pflegte sie zu Hause bis zu ihrem Tod im Mai 1921. Begleitet wurde er von Ludendorff, nach dem Stinnes ebenfalls einen Dampfer benannte. „Ein Dampfer, der so heißt, kann nur einem einzigen Zweck dienen: dem Schlachtviehtransport“, ätzte der Schriftsteller Joseph Roth.
Auch politisch fiel sein Abstecher in eine bewegte Zeit. Der bürgerliche Minderheitssenat stand unter enormen Druck, Neuwahlen am 20. Februar sollten Klarheit schaffen. Der Senat um Bürgermeister Martin Donandt empfing den Privatier Hindenburg fast wie das rechtmäßige Staatsoberhaupt, sehr zum Ärger der Linksparteien wurde sogar schulfrei gewährt. Nicht zu Unrecht vermutet Klaus Auf dem Garten in seinem Aufsatz über die beiden Hindenburg-Besuche von 1921 und 1924, Hindenburg habe sich in den Wahlkampf einspannen lassen.
Werftarbeiter pro Hindenburg
Die Popularität Hindenburgs äußerte sich auch darin, dass noch nicht einmal die Werftarbeiter gegen ihn zu mobilisieren waren. Der Arbeiterrat konnte sich mit seiner Forderung nach einem Boykott des Stapellaufs nicht durchsetzen, eine deutliche Mehrheit der Werftarbeiter votierte dagegen. Dem Hindenburg-Mythos sei nicht beizukommen gewesen, konstatiert Klaus Auf dem Garten.
Als Nachfolger des verstorbenen Reichspräsidenten Friedrich Ebert wurde Hindenburg 1925 dann doch noch an die Spitze der Republik gewählt – und 1932 mit Unterstützung der SPD als kleineres Übel gegenüber Hitler im Amt bestätigt. Nach Hindenburgs Tod am 2. August 1934 schrieb die „Bremer Zeitung“, das NS-Organ: „Hier ist unser aller Vater von uns gegangen.“ Und dürfte damit das allgemeine Empfinden gar nicht einmal falsch wiedergegeben haben.
Der Hype um Hindenburg trieb bizarre Blüten, sein Name war im öffentlichen Raum von einer erstaunlichen Präsenz. Bereits 1915 wurde ein Schlachtkreuzer nach ihm benannt. In Oberschlesien legte sich die Landgemeinde Zabrze im gleichen Jahr den Namen Hindenburg zu, heute heißt die polnische Stadt wieder wie früher. Als Museumsschiff liegt das 1944 gebaute Seenotrettungsboot „Hindenburg“ in Kiel.
In Bremen gab es die Hindenburg-Kaserne in Huckelriede und eine Hindenburgallee, seit 1978 Konrad-Adenauer-Allee. In Lesum existiert seit 1930 eine Hindenburgstraße. Bis heute ehrt die Tannenbergstraße in der Gartenstadt Vahr den Ort der Schlacht, die Hindenburg ins Rampenlicht der Öffentlichkeit katapultierte. Schon damals bewies er ein feines Gespür für die Symbolwirkung des Namens: Er selbst regte an, die siegreiche Schlacht als zweite Schlacht bei Tannenberg zu bezeichnen, um damit die Scharte der schmählichen Niederlage des Deutschen Ordens von 1410 auszuwetzen.
Weltweit bekannt wurde 1937 das Luftschiff „Hindenburg“ durch den spektakulären Absturz, zeitgleich missglückte das Projekt einer Bremer „Hindenburg-Gedächtniskirche“. Für ganz Deutschland führt „Zeit online“ 437 Straßen auf, die nach Hindenburg benannt sind – fast alle im Westen. Umstritten ist die Namensgebung des 1927 eingeweihten Hindenburgdamms nach Sylt. In Bremen scheiterte 2014 ein Antrag der Linken, sich von Hindenburg als Ehrenbürger zu distanzieren.