Fast ländlich: die Ecke Ostertorstraße/Am Wall im Jahre 1817.
Quelle: Hans Hermann Meyer, Die Bremer Altstadt, Bremen: Edition Temmen 2003

Ein Blick in die Geschichte (135): Aufnahme von 1885 zeigt Ostertorwache und „Union“-Gebäude

Durchaus vertraut, zugleich aber auch merkwürdig fremd mutet diese Aufnahme der Ostertorwache von 1885 an. Vertraut, weil sich am Erscheinungsbild der beiden klassizistischen Wachhäuser bis heute kaum etwas geändert hat. Noch immer stehen sie an ihrem Platz, der Zweite Weltkrieg konnte ihnen nichts anhaben.

Und doch unterscheidet sich der Eindruck von damals ganz wesentlich vom heutigen Bild. Erhebt sich doch im Hintergrund nicht etwa das monumentale Polizeigebäude. Das war zum Zeitpunkt der Aufnahme noch ferne Zukunftsmusik, es wurde erst knapp 20 Jahre später errichtet.

An seiner statt sind zwei andere Bauten zu sehen: links als Eckgebäude das sogenannte Pavenstedt’sche Haus, das 1817 errichtete Domizil des Senators Johann Pavenstedt. Und rechts daneben das Versammlungshaus der kaufmännischen Gesellschaft „Union“, ein 1835 vollendetes Werk des renommierten Architekten Jacob Ephraim Polzin. Dass es bis zur Einweihung des umgebauten Künstlerhauses an der Domsheide, dem Vorgängerbau der „Glocke“, den größten Saal der Stadt beherbergte, möchte man aus dieser Perspektive kaum für möglich halten. Des Rätsels Lösung: Es steckte weit mehr hinter der „Union“-Fassade als auf den ersten Blick ersichtlich, in Wahrheit handelte es sich um einen umfangreichen Gebäudekomplex.

Spiegelgleiche Bauten der Ostertorwache

Viel Platz für Bühnenkunst: das 1843 errichtete Stadttheater an der Bischofsnadel.
Quelle: Wikicommons

Erst einige Jahre vor Vollendung des „Union“-Gebäudes waren die beiden spiegelgleichen Bauten der Ostertorwache entstanden. Die Notwendigkeit dazu hatte sich erst durch die Einrichtung der Wallanlagen zu Beginn des 19. Jahrhunderts ergeben. Bis dahin beschirmte das im 17. Jahrhundert errichtete Befestigungswerk die Stadt, doch dessen Tage waren nach knapp 150 Jahren gezählt, gegen moderne Kriegstechnik hätte es nur noch wenig ausrichten können.

Darum der Entschluss, an seiner statt ganz im Geist der Zeit einen englischen Park anzulegen. Zur Kontrolle der Durchgänge bedurfte es natürlich Torhäuser als Ersatz für die alten Stadttore. Dass sie am Scheideweg zur Moderne standen unterstreicht der Historiker Nils Aschenbeck. „Die Torhäuser waren zwar noch eine Grenze, aber kein Bollwerk mehr. Sie dienten der Kontrolle, aber nicht der Abwehr.“

Am früheren Ostertor wurde bereits 1803 ein erstes, noch ziemlich bescheidenes Bauwerk errichtet. Nach Plänen des Bauinspektors Friedrich Moritz Stamm entstanden von 1825 bis 1828 zwei neue, deutlich größere Wachhäuser, die sich genau gegenüber lagen, die Ostertorwache. Dabei wurde nach einer Auflage der Finanzdeputation der Schutt des 1826 abgerissenen Ostertorzwingers verwendet.

Spiegelgleich: die beiden Gebäude der Ostertorwache.
Quelle: Gemeinfrei

Insgesamt fünf neue Torhäuser

Im südlichen Gebäude waren die eigentliche Wache und die Akzise zur Eintreibung von Zöllen untergebracht, im nördlichen Gegenstück ein Gefängnis, das sogenannte Detentionshaus. Unter den fünf neuen Torhäusern (die anderen befanden sich am Hohentor, Buntentor, Ansgaritor und Bischofstor) war die Ostertorwache die mit Abstand größte Anlage, von einem geradezu „monumentalen Stadteingang“ spricht der frühere Landeskonservator Rudolf Stein.

Freilich erfüllte die Ostertorwache nur zwei Jahrzehnte ihren Zweck, mit Abschaffung der Torsperre im Revolutionsjahr 1848 büßte es seine ursprüngliche Funktion ein. Später diente das einstige Torhaus dem Infanterie-Regiment Nr. 75 als Wachlokal, seit 1971 beherbergt es das Gerhard-Marcks-Haus als Museum für moderne und zeitgenössische Kunst.

Dagegen diente das Gefangenenhaus noch weitaus länger seinem ihm zugedachten Zweck, besonders in Erinnerung geblieben ist es als Gestapogefängnis. In den Zellen saßen zahlreiche NS-Gegner und Verfolgte ein, darunter prominente Nachkriegspolitiker wie der spätere Bürgerschaftspräsident August Hagedorn und Bürgermeister Willy Dehnkamp. Noch bis 1996 diente es als Abschiebe-Gefängnis, seit 1998 beherbergt das Gebäude als Wilhelm Wagenfeld Haus das Design Zentrum Bremen und die Gesellschaft für Produktgestaltung, seit 1999 zugleich die Dokumentationsstätte Gefangenenhaus Ostertorwache.

von Frank Hethey

Vertraut und doch fremd: der Blick von der Ostertorwache in Richtung Altstadt im Jahre 1885.
Quelle: Bestand Herbert Fuß

Von Anbiet bis Zuckerklatsche

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