Auch zur falschen Zeit am falschen Ort: Kaiser Wilhelm II. wurde am 6. März 1901 an der Bischofsnadel verletzt. Quelle: Stadtteil-Archiv Bremen-Neustadt

Auch zur falschen Zeit am falschen Ort: Kaiser Wilhelm II. wurde am 6. März 1901 an der Bischofsnadel verletzt.
Quelle: Stadtteil-Archiv Bremen-Neustadt

Werftarbeiter verletzte Kaiser Wilhelm II. am 6. März 1901 in Bremen

Es war eigentlich nur ein unglücklicher Zufall, als Johann-Dietrich Weiland bei einem epileptischen Anfall „unseren“ letzten Kaiser Wilhelm II. am 6. März 1901 verletzte. Die Folgen für den Kaiser waren verhältnismäßig gering, aber der unzurechnungsfähige „Attentäter“ musste sein ganzes Leben in einer Irrenanstalt verbringen.

In der Bremer Chronik ist dieser Vorfall nur kurz und knapp beschrieben:

„Kaiser Wilhelm II. besucht zum zehnten Male die Stadt Bremen. Bei der Bischofsnadel wird er durch ein Eisenstück verletzt, das Johann-Dietrich Weiland nach ihm geworfen hat. Der Täter wird in die Irrenanstalt gebracht.“

Der Betroffene: Dem Kaiser blieb nur eine kleine Narbe

Kaiser Wilhelm II. war bei öffentlichen Veranstaltungen immer dem Risiko eines Attentats ausgesetzt. Erst wenige Monate zuvor, im November 1900, hatte eine Hausiererin in Breslau ein Beil nach seiner Kutsche geworfen. Damals verfehlte das Wurfgeschoss sein Ziel, doch diesmal traf es. Baronin Spitzemberg, geborene Freiin von Varnbüler, schreibt dazu in ihrem Tagebuch: „Das Attentat auf den Kaiser ist recht häßlich, wenn auch jeder politischen Unterlage bar; die Wunde ist tief und so nahe an Schläfe und Auge, daß sie hätte leicht hätte gefährlich werden können. Er ist sehr erregt, was ja begreiflich ist.“

Kaiser Wilhelm II. bei der Abfahrt mit der Kutsche vom Rathaus zum Bahnhof. Quelle: Staatsarchiv Bremen

Kaiser Wilhelm II. bei der Abfahrt mit der Kutsche vom Rathaus zum Bahnhof.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

Der Kaiser selbst lässt verlautbaren: „Der bedauernswerte Angriff inmitten der gutgesinnten Bevölkerung Bremens wird Mich nicht beirren in dem Glauben an die Zuneigung des deutschen Volkes und bei der Arbeit in den Mir von Gott gestellten Aufgaben Meines Berufes.“ Nachzulesen ist es im Buch „Unser Kaiser 1888-1913“.

Der 20-jährige Werftarbeiter Johann-Dietrich Weiland bekommt zur falschen Zeit, am falschen Ort einen epileptischen Bewusstseinsverlust. In einer Fantasiewelt träumt er von seiner Zeit als Matrose auf See und hört eine innere Stimme sagen: „Werft das Lot.“ In der Hand hält er eine 550 Gramm schwere, eiserne Lasche, die er unglücklicherweise in dem Moment in die Höhe wirft, als die kaiserliche Kutsche vom Rathaus kommend durch die Bischofsnadel fährt. Die Lasche trifft den Kaiser am Jochbein unter dem rechten Auge und verletzt ihn leicht. Er kann die Fahrt zum Bahnhof fortsetzen.

Akribisch alles festgehalten: die Krankenakte des Johann-Dietrich Weiland. Quelle: Krankenhausmuseum Klinikum Ost

Akribisch alles festgehalten: die Krankenakte des Johann-Dietrich Weiland.
Quelle: Krankenhausmuseum Klinikum Ost

Der „Attentäter“: Er blieb „nur“ lebenslang in der Irrenanstalt

Johann-Dietrich Weiland wird sofort festgenommen und ins Untersuchungsgefängnis gebracht. Am 24. Juni 1901 erklärt ihn das Reichsgericht Leipzig für unzurechnungsfähig. Die Strafverfolgung wird daraufhin ausgesetzt und er in eine Heilanstalt für psychisch Kranke überwiesen.

Die ersten Jahre verbringt er im St.-Jürgen-Asyl an der St. Jürgen-Straße. 1904 wird er in Bremens neu errichtete Irrenanstalt in Ellen – heute Klinikum Ost – verlegt. Er verbrachte fast 40 Jahre in psychologischer Betreuung, und zwar von 1901 bis zu seinem Tode 1939. In dieser Zeit erkrankte er neben seiner Epilepsie auch an Hospitalismus, also an den negativen körperlichen und seelischen Begleitfolgen seines jahrzehntelangen Heimaufenthaltes.

Da Epilepsie als Erbkrankheit ohne Heilungschancen galt, blieb er untherapiert. Die „medizinische Versorgung“ erfolgte mit Bromsalzen und Diäten. Er galt als Gefahr für andere Menschen, denn er hatte ja den Kaiser verletzt. Deshalb wurde der gesamte Krankheitsverlauf bis ins Kleinste in einer Krankenakte festgehalten. Die komplette Dokumentation seiner Erkrankung ist im Krankenhaus-Museum erhalten.

Es ist eine Geschichte, die einem unter die Haut geht.

von Peter Strotmann

Bis ans Lebensende eingesperrt: Johann-Dietrich Weiland lebte von 1904 bis 1939 im St. Jürgen-Asyl in Ellen bei Bremen, heute Klinikum Ost. Quelle: Staatsarchiv Bremen

Bis ans Lebensende eingesperrt: Johann-Dietrich Weiland lebte von 1904 bis 1939 im St. Jürgen-Asyl in Ellen bei Bremen, heute Klinikum Ost.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

Von Anbiet bis Zuckerklatsche

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