Vorgängerbau der Stadthalle war zuletzt ein Zankapfel
Alles spricht von der Stadthalle. Ihr 50. Geburtstag wird in den Medien ausführlich gewürdigt. Doch darüber ist der Vorgängerbau, die hölzerne Sporthalle, so ziemlich in Vergessenheit geraten. Zu Unrecht, denn ihre Geschichte ist mindestens genauso spannend wie die der Stadthalle.
Es war schon kurios in diesem Frühling 1961: Die Bauarbeiten für die neue Stadthalle auf der Bürgerweide waren längst im Gange, doch die hölzerne Sporthalle stand noch immer unberührt auf ihrem alten Platz an der Gustav-Deetjen-Allee.
Und damit mitten im Weg.
Im Sinne der Stadt war das keineswegs, vielmehr hätte die alte Halle schon im Herbst des Vorjahres verschwunden sein sollen. Dass es anders kam, hat mit einem erbitterten Streit der beiden Protagonisten zu tun. Am Ende gab eine richterliche Entscheidung den Ausschlag über die ungehinderte Fortsetzung der Bauarbeiten.
Die Geschichte der alten Sporthalle steckt voller Possen und Kuriositäten. Schon mit ihrem Bau im Winter 1945/46 fängt es an. Eigentlich müssten auf der Bürgerweide drei Sporthallen stehen, spöttelten Zeitgenossen. So viel Holz wurde nämlich für ihren Bau aus den Holzlagern am Industriehafen herbeigeschafft.
Freilich kam davon nur ein Teil an, der Rest blieb im wahrsten Sinne des Wortes auf der Strecke. Eingeweihte wussten auch wo: Der begehrte Rohstoff sei im Blockland und in Pagentorner Parzellen verbaut worden.
Kurt Schumacher machte den Anfang
Auf über 60 Meter Länge und 30 Meter Breite brachte es der hölzerne Hallenbau. Die US-Army hatte das Bauwerk als Sporthalle für die eigenen Soldaten errichtet. Die sollten dort Basketball „und andere amerikanische Sportarten“ betreiben können, wie der Weser-Kurier berichtete. Doch dabei blieb es nicht, schon bald öffneten die Amerikaner die Halle auch für Deutsche. Mit politischen Veranstaltungen ging es los. Den Anfang machte der SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher am 8. Oktober 1946 mit einer Wahlkampfkundgebung fünf Tage vor den ersten freien Bürgerschaftswahlen seit 1930. Drei Tage später folgte KPD-Chef Max Reimann.
Nun war es nur noch ein kurzer Weg bis zur Übergabe an die Bremer. Bereits im Mai 1947 überließ die Militärregierung dem „Amt für Leibesübungen“ die Aufsicht, im März 1948 erfolgte dann die offizielle Übergabe an die Stadtgemeinde. Als Geschenk, wie es immer wieder heißt. Eine womöglich etwas fragwürdige Formulierung: Versichert doch Bremen-Chronist Fritz Peters, die Sporthalle sei auf Kosten der Stadt errichtet worden. Die rief nun die Sporthallen GmbH als Betreibergesellschaft der Halle ins Leben. Hauptgesellschafter war die Stadt, nur geringfügig beteiligt war der Verkehrsverein.
Ein Groß-Varieté als erster Pächter
Als erster Pächter versuchte sich ein Groß-Varieté in der Halle, die bekannte Plaza aus Berlin. Bis zur Schließung im September 1944 war die Plaza eines der größten Varietés der Hauptstadt gewesen, das Theater im früheren Ostbahnhof hatte 3000 Zuschauern Platz geboten. Nach der Zerstörung des Gebäudes hofften die Betreiber auf ein Comeback in Bremen.
Die Erwartungen waren hochgesteckt, man wollte die Hansestadt zu einem „Exporthafen besten deutschen Varietés“ machen. Mit den Top-Nummern sollte es auf Auslandsreisen bis nach Übersee gehen. In den Umbau steckten die Macher vom Varieté allerhand Geld. Mit 24 mal 15 Metern hatte die neue Bühne rekordverdächtige Ausmaße, an stählernen Türmen wurden 85 Scheinwerfer angebracht, in fünf Vorhängen steckten 1500 Quadratmeter Stoff. Über die Premiere am 1. September 1948 war der Weser-Kurier voll des Lobes, das Eröffnungsprogramm „im strahlend hellen, wunderbar veränderten Raum “ übertreffe „auch hoffnungsvollste Erwartungen“.
Eine vorschnelle Freude, wie sich alsbald zeigen sollte. Tägliches Varieté war offenbar zu viel für die Bremer, auch monatlich wechselnde Programme halfen nicht. Wer weiß, vielleicht trauerte man auch noch dem alten Astoria nach, das bis zur Zerstörung im Zweiten Weltkrieg an der Katharinenstraße beheimatet gewesen war. Kein halbes Jahr nach dem Start war das Plaza-Varieté pleite. Varieté gab es auch danach noch in der Sporthalle, aber nur wie traditionell üblich zu Freimarktszeiten. Daneben gastierten Theaterensembles in der Sporthalle, wurden Revues und Operetten gegeben.
Ein Feuer im rückwärtigen Anbau der Sporthalle setzte dem bunten Treiben am 4. Februar 1951 ein Ende. Der Auslöser: Ein Revue-Angestellter war mit brennender Zigarette eingeschlafen.
Der Senat reagierte schnell, wegen erheblicher Brandgefahr durch leicht entzündliche Bühnendekorationen wurden am 27. Februar 1951 sämtliche Theateraufführungen in der Holzhalle verboten. Gestattet waren ab sofort nur noch sportliche Wettkämpfe und Parteiveranstaltungen.
Alljährliche Schaukämpfe der Catcher
Mit der Nutzungsbeschränkung gingen der Stadt allerdings auch erhebliche Einnahmen verloren, vor allem die Vergnügungssteuer hatte ordentlich Geld eingebracht. Fortan war die Sporthalle nur noch ein Tummelplatz für die alljährlichen Schaukämpfe der Catcher, daneben gaben sich Handballer, Boxer, Tennisspieler und Politiker ein Stelldichein, auch Gärtner und Kleintierzüchter ließen sich blicken.
Für die Stadt entwickelte sich die Sporthalle nun zu einem Zuschussunternehmen. Weil der hölzerne Hallenbau ohnehin von Anfang an nur als Provisorium galt und sich die Planspiele für die Errichtung einer Stadthalle auf der Bürgerweide verdichteten, wollte sich die Stadt aus dem mühseligen und wenig einträglichen Veranstaltungsgeschäft zurückziehen. Bereits im Dezember 1954 wurde die Auflösung der Sporthallen GmbH beschlossen. „Unterrichtete Kreise sehen in dem Beschluß des Aufsichtsrats den ersten Schritt für die Beseitigung der Sporthalle von der Bürgerweide“, hieß es ahnungsvoll im Weser-Kurier.
Doch wohin mit den Sportveranstaltungen? In ganz Bremen gab es keine Halle in vergleichbarer Größe. Die Sportverbände machten Druck, und der Senat hatte ein Einsehen. Die Lösung: Ein privater Betreiber sollte bis zum vorhersehbaren Abriss die Halle vermarkten. Als Köder diente ein unschlagbar günstiger Kaufpreis. Es dauerte nicht lange bis sich ein Interessent fand: der frühere Senator Andree Bölken, nunmehr Chef der Bremer Messe- und Ausstellungsgesellschaft. Am 15. Juli 1955 kaufte er die Sporthalle für 17.500 DM.
Bölken hatte eigene Pläne
Freilich war Bölken ambitioniert, er verfolgte seine eigenen Pläne. Im März 1958 überraschte er die Öffentlichkeit mit der Idee, auf dem freien Platz zwischen dem Haus des Reichs und dem Zentralbad eine Mehrzweckhalle mit 2000 Plätzen zu errichten. Und zwar unter Verwendung von Teilen der alten Sporthalle. Für die Baukosten in Höhe von zwei Millionen DM sollten keine öffentliche Mittel in Anspruch genommen werden. Kritikern versuchte er, im gleichen Atemzug den Wind aus den Segeln zu nehmen: Der vorgesehenen Stadthalle wolle er damit keinesfalls vorgreifen, so Bölken, schon allein die Größenordnung sei gar nicht vergleichbar.
Ebenso überraschend dann Bölkens neuer Vorstoß im Dezember 1958. Diesmal schlug er dem SPD-Fraktionschef Richard Boljahn als treibender Kraft des Stadthallen-Projekts vor, gemeinsame Sache zu machen. Doch der reagierte äußerst reserviert, das Zepter wollte er sich keinesfalls aus der Hand nehmen lassen. Zumal Bölkens Vorstellungen vom Fassungsvermögen sich erheblich von seinen unterschieden: Der Ex-Senator wollte maximal 2500 Plätze schaffen, Boljahn bestand auf 7000.
Das ausgeschlagene Angebot scheint Bölken schwer gekränkt zu haben. Wohl aus diesem Grund setzte er alles daran, den Abriss der Sporthalle so lange wie möglich hinauszuzögern, als der Baubeginn der Stadthalle im Spätsommer 1960 auf der Tagesordnung stand. Zwar hatte er im Vertrag mit der Stadt zugestimmt, die Sporthalle bei anderweitigen Plänen „in kurzer Zeit“ abzubrechen. Doch diese drei Worte waren dehnbar: Die Stadt stellte sich eine Vierwochenfrist vor, Bölken hingegen plante noch Veranstaltungen bis Jahresende.
Boljahn als „stadtbekannter Diktator“
In der Folge kam es zu einem öffentlichen Showdown zwischen Bölken und Boljahn. Als die Bauarbeiten für die Stadthalle schon begonnen hatten, stand die Sporthalle noch immer unangetastet am alten Platz – und damit mitten im Weg. Im Dezember 1960 mobilisierte Bölken die bisherigen Nutzer der Sporthalle gegen Boljahn, während der mit internen Vertragsdetails an die Öffentlichkeit ging. Wenig zimperlich wiederum gab sich auch Bölken, der Boljahn als „stadtbekannten Diktator“ beschimpfte und dessen Gebaren mit Methoden des „Dritten Reichs“ verglich. Eine Schlammschlacht sondergleichen, die am Ende juristisch entschieden werden musste. Erst als das Landgericht die Räumungsklage der Stadtgemeinde im März 1961 in zweiter Instanz bestätigte, gab Bölken den Rechtsstreit auf und ließ die Sporthalle abbrechen.
Vielleicht steht sie aber immer noch. Denn Bölken war geschäftstüchtig, er verkaufte die Halle zur weiteren Nutzung an einen Reitverein in Süddeutschland.
von Frank Hethey