Weihnachten 1945: Die erste Friedensweihnacht weckte bei den Menschen gemischte Gefühle / Bürgermeister Wilhelm Kaisen als Mutmacher

Weihnachten 1945 war trotz des endlich beendeten Krieges für die meisten keine besonders fröhliche Zeit. In Bremen feierten Besatzer und Bürger zwar ein gemeinsames und friedliches Weihnachtsfest, doch in vielen Familien beklagte man den Verlust der Väter und Söhne und der Hunger und die Kälte machten aus dieser ersten Friedensweihnacht für so manchen eine Zeit, an die man eher mit gemischten Gefühlen zurückdenkt.

So war es auch im Hause Koschnick. Der spätere Bremer Bürgermeister Hans Koschnick war damals 16 Jahre alt und erinnert sich: „Schließlich war bei mir zu Hause die Weihnachtszeit überschattet von der Gewissheit, künftig diese Tage ohne den Vater verbringen zu müssen – feiern wäre sicher eine unpassende Bezeichnung.“ Sein Vater Johannes, ein früherer Kommunist, hatte jahrelang im Konzentrationslager zugebracht und war im Herbst 1944 in Finnland gefallen.

Lange hatte Koschnick ambivalente Gefühle diesem Fest gegenüber, wie er später sagte. Auf der einen Seite der Verlust des Vaters und auf der anderen Seite die Erinnerung an die Mutter, die ihre Kraft auf die Familie zu übertragen wusste und so geschickt war, dass es zumindest das Nötigste an Kleidung gab. In den Feiertagen konnte sie sogar eine Extraportion an Essen organisieren. Das war bei aller Bitterkeit etwas Positives, an das er zurückdenken kann.

Nicht jedermanns Sache: das Mitanpacken bei der Trümmerbeseitigung.
Quelle: Staatsarchiv Bremen, Occupation Enclave State, Bremen 2007

Auch andere Zeitzeugen erinnern sich häufig mit schwerem Herzen: „Es waren die ärmsten Weihnachten unseres Lebens. Nun sind die Weihnachten vorbei, es waren die traurigsten seit Jahren. Selbst im Krieg waren sie nicht so arm wie in diesen Tagen.“

Vielleicht hatte man sich vom Frieden mehr erhofft, als nur das Ende des Krieges.

Familien in Ungewissheit

Viele der Bremer Familien mussten, zu dieser ohnehin schon traurigen und schwierigen Zeit, ohne ihre Väter und ihre Söhne feiern, die teilweise noch in den letzten Kriegsmonaten eingezogen worden waren. Bei einigen war es die Gewissheit, dass sie den Krieg nicht überlebt hatten, bei anderen die Sorge, ob und wann sie zurückkehren würden. Diejenigen, die dieses Weihnachten in russischer Kriegsgefangenschaft verbringen mussten, berichten von Hunger und Kälte. Von Krankheit und von der Angst vor den kommenden Tagen und Wochen. „Es war Weihnacht, dunkle Weihnacht… in einem fremden Land. Wer diese erlebt hat, der kann es nicht vergessen, sooft dieses Fest wiederkehrt.“

Aus Moskau kam der Befehl Weihnachten zu verbieten, dieses galt allerdings nur für die deutschen Kriegsgefangenen. Denjenigen, die sich Tannenzweige oder ähnliches gesammelt hatten, um zumindest ein klein wenig Weihnachtsstimmung aufkommen zu lassen, wurden diese am Lagertor wieder abgenommen. Und auch die Vorfreude auf die warme Suppe mit ein bisschen Brot wurde enttäuscht. Es gab kein Brot und die Suppe war kalt. So sehnte man sich nach der Familie und fragte sich, wo der Frieden sein sollte, dem man sich vom Kriegsende erhofft hatte.

Bei all dem Schmerz zu jener Zeit gab es aber auch Familien, die zu diesen Feiertagen wieder vereint waren. Ein weiterer späterer Bürgermeister, Henning Scherf, erzählt: „Der Vater, den man in den letzten Monaten noch eingezogen hatte und der unverletzt, aber tief deprimiert aus Krieg und Gefangenschaft zurückkehrt: Im schmutzigem Armeemantel stand er Weihnachten 1945 da und packte die Kekse und die Schokolade aus, die man ihm als Marschproviant mitgegeben hatte. Und weinte.“

Ungebrochene Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft 

Neben den Nöten und Ängsten in diesen Tagen erfuhr man aber doch von den Nachbarn, die kaum was hatten, ehrliche Hilfsbereitschaft. Der Glaube und die Nächstenliebe schienen ungebrochen und der Zusammenhalt untereinander machte es für viele leichter, diese Zeiten zu überstehen.

Der Mutmacher: Bürgermeister Wilhelm Kaisen bei seiner Ansprache an die Bremer Bevölkerung am 23. Dezember 1945.
Quelle: Wilhelm und Helene Kaisen-Stiftung

Bremen erlebte die Festtage unter amerikanischen und Besatzern. Nach der ersten Furcht vor den Soldaten, die zum Beispiel bei Wohnungsbeschlagnahmungen zum Teil sehr ruppigen Umgang pflegten, nahm man sie nun langsam nicht mehr nur „als Sieger und Besatzer, sondern auch als Ernährer, Arbeitgeber und Freunde“ wahr. So erinnern sich Bremerinnen, die 1988 für ein Buchprojekt interviewt worden waren. Es gab etliche Beispiele von Hilfsbereitschaft gegenüber der Bevölkerung, an die sich Zeitzeugen gern erinnern. Auch Freundschaften entwickelten sich, gesellige Treffen mit den Amerikanern bedeuteten auch mal eine warme Mahlzeit oder gar Fleisch und Wurst zu bekommen. In den Kindheits-Erinnerungen einiger Zeitzeugen ist immer wieder von Süßem und Kaugummi die Rede. „Ich glaube, dass die Bremer eigentlich ganz froh waren, unter amerikanische Besatzung geraten zu sein. Denn bei den Engländern war es ja so, dass die selbst völlig verarmt waren durch den Krieg. Bei den Amerikanern kam immer was rein.“

„Frieden auf Erden“

Das Weihnachtsfest auf dem Marktplatz am 23. Dezember 1945 hat wohl einen sehr großen Teil dazu beigetragen, dass man die Besatzer nicht mehr nur als Sieger, sondern auch als Helfer wahrnahm. Der Weser-Kurier schrieb damals von einem „lebendigen Sinnbild der Völkerverbundenheit“, so groß war die Menschenmenge. Weiter wurde von Geschenken berichtet. Von Fleisch, Äpfeln und Süßem, die an diesem Tag durch die amerikanische Militärregierung und den Bremer Senat an die Armen und Waisen verteilt worden seien. Es gab schwarzen Tee und Weihnachtsstollen für heimat- und elternlose Jugendliche und ebenso für die Flüchtlingsstelle, die kaum wusste, wie sie die riesigen Flüchtlingsströme von Vertriebenen aus dem Osten bewältigen sollte.

Die Ansprache des Bürgermeisters Wilhelm Kaisen war an diesem Tag geprägt vom Leitgedanken „Frieden auf Erden“. Man solle nicht müßig auf den bisher nur äußerlichen Frieden warten, sondern stetig daran arbeiten und auch den inneren erringen. Besonders die Jugend sollte aus der Vergangenheit lernen und ein „Reich der Freiheit, der Duldsamkeit und der sozialen Gerechtigkeit aufbauen“. Allen soll nach den Jahren der Qual und Verirrung bewusst werden: „Friede auf Erden“.

Als man schon wieder lachen konnte: Eine Familie feiert Weihnachten 1950 in der Waller Zietenstraße. Quelle: Kulturhaus Walle

Als man schon wieder lachen konnte: Eine Familie feiert Weihnachten 1950 in der Waller Zietenstraße.
Quelle: Kulturhaus Walle

Liebe Hörer! Mitbürger!

Einen Tag zuvor wurde von diesem Marktplatz aus ein weiterer Meilenstein der Bremer Geschichte gelegt: der Sender Radio Bremen. Im Oktober 1945 beschloss die amerikanische Militärregierung die Gründung eines Radiosenders für Bremen und konnte schon nach kurzer Zeit das erste Mal auf Sendung gehen.

Am 23. Dezember 1945, dem vierten Adventssonntag, hieß es: „Liebe Hörer! Mitbürger!“ Bürgermeister Wilhelm Kaisen wandte sich in seiner Eröffnungsrede an die Bremer und rief sie zu neuem Mut auf, diese Zeiten zu überstehen. Und mehr noch: das Beste aus ihnen zu machen. Gemeinsam an die Wohnungsknappheit zu bekämpfen und die eigene Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen. Des weiteren bedankte er sich für alles, was bereits getan worden sei und wurde nicht müde zu wiederholen, wie weit der Weg noch sein werde. Er schloss die Rede mit Worten, die ihre Wirkung nicht verfehlt haben dürften: „Bremen wird wieder erstehen, wenn sich die Kräfte seiner Bürger gegenseitig ergänzen und sich einigen in gemeinsamer Arbeit für das gemeinsame Ziel: Bremen wieder frei und stark zu gestalten.“

von Anna Häfermann

Kein frohes Fest: Das erste Nachkriegsweihnachten vor 70 Jahren stand noch ganz im Zeichen des erst im Mai 1945 zu Ende gegangenen Krieges. Bei einer Ansprache vom Rathausbalkon sprach Bürgermeister Wihlehlm Kaisen den Menschen Mut zu. Quellen: Archiv des Weser-Kuriers, Kulturhaus Walle, Wilhelm und Helene Kaisen-Stiftung

Kein frohes Fest: Das erste Nachkriegsweihnachten vor 70 Jahren stand noch ganz im Zeichen des erst im Mai 1945 zu Ende gegangenen Krieges. Bei einer Ansprache vom Rathausbalkon sprach Bürgermeister Wihlehlm Kaisen den Menschen Mut zu.
Quellen: Archiv des Weser-Kuriers, Kulturhaus Walle, Wilhelm und Helene Kaisen-Stiftung

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