Kein Wunder, dass der Bremer Hauptbahnhof ein beliebtes Fotomotiv ist: „Mit seiner Präsenz beherrscht er den Platz und besticht durch grandiose Ausformungen“, schwärmt Landeskonservator Professor Dr. Georg Skalecki über die Architektur im Stil der Neorenaissance.
Bahnhöfe, die wie das Exemplar in Bremen im 19. Jahrhundert gebaut wurden, sind nicht nur beeindruckend, sie sind auch „Symbolbauten der industriellen Revolution“ und „Kathedralen der Technik“, wie es Dr. Rolf Kirsch vom Landesamt für Denkmalpflege in der Schriftenreihe „Denkmalpflege in Bremen“ ausdrückt. Da Bahnhöfe entscheidende städtebauliche Impulse in exponierten Lagen geben, sind sie auch mehr als ein Jahrhundert später fast automatisch Gegenstand kontroverser Diskussionen – nicht nur in Bremen.
Historische Städte und Bahnhöfe waren sich nicht immer grün: Als Mitte des 19. Jahrhunderts die Eisenbahn nach Bremen kam, galten Bahnhöfe als etwas Heikles. „Die mochte man in der Stadt nicht haben“, sagt Landeskonservator Skalecki. Bahnhöfe bedeuteten Krach und Gestank. „Da fuhr man höchstens hin, um wegzufahren.“ Auch in der Hansestadt entstanden der Bahnhof und der Bahnhofsplatz weit entfernt vom Zentrum und boten viel Spielraum für die Stadtentwicklung.
Denn bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts lebten die Bremer innerhalb der Wallanlagen. Erst die Umgestaltung der Wehr- in eine Parkanlage sorgte für eine Öffnung der Stadt. Villen entstanden in der Contrescarpe, es folgten Häuser im heutigen Viertel. Dann kam die Eisenbahn und gab eine neue Richtung vor. Als 1847 der erste von insgesamt drei Bahnhöfen in Bremen gebaut wurde, entstand der Staatsbahnhof, der Hannoversche Bahnhof, wie er genannt wurde, zunächst auf der sprichwörtlich grünen Wiese.
Es bildete sich ein Platz
Das Gebäude bot das neue Ziel für die Stadtentwicklung. Pläne von 1861 zeigen, wie Straßen hingeführt sowie Grünanlagen angelegt wurden. „Der Platz davor war immer noch riesengroß und ungeordnet“, zeigt Skalecki anhand der alten Karte. Erst schrittweise folgte eine Bebauung in Richtung Bahnhof, gegenüber dem Gebäude entstanden Hotels – ein Platz bildete sich. In Richtung Westen und Osten blieb zunächst alles offen.
Nach dem Reisen und Schlafenkam die Hygiene: Die erste Bremer Badeanstalt öffnete etwa dort, wo derzeit die beiden Bauten nach Plänen des Architekten Max Dudler auf dem sogenannten Investorengrundstück entstehen. Während der Erdarbeiten für das Projekt sind Anfang 2015 Überreste des Kesselhauses des Breitenwegbads freigelegt worden. Bis zur teilweisen Zerstörung im Zweiten Weltkrieg konnten die Bremer dem Badevergnügen ungestört frönen. Ausgerichtet war das zweistöckige Gebäude mit dem riesigen Schornstein zum Breitenweg. Als die historische Badeanstalt 1877 entstand, befand sich der Hannoversche Bahnhof allerdings einige 100 Meter weiter westlich.
Dann wurde der Bahnhof in die Nähe des Bades nach Osten verlegt. Der Platz bekam ein völlig neues Gesicht. Der von Hubert Stier entworfene Centralbahnhof entstand von 1885 bis 1889 am heutigen Platz, mit dem Portal genau in der Achse zur Bahnhofsstraße. Dort ersetzte das „populärste Großbauwerks des Historismus in Bremen“, wie es Kirsch beschreibt, nicht nur den Hannoverschen Bahnhof, sondern auch den Hamburger beziehungsweise Venloer Bahnhof. Der war 1873 nördlich der heutigen Stadthalle von der Köln-Mindener Eisenbahn-Gesellschaft für die Hamburg-Venloer Bahn eröffnet worden.
Der Standortwechsel hatte Folgen. Der alte Platz zwischen dem Bahnhof und den Hotels war keiner mehr, vielmehr bot er nun Raum für das Überseemuseum, das seit 1896 die Schmalseite des neuen Bahnhofsplatzes nach Westen eindrucksvoll begrenzt. Im Osten dagegen gab es nichts Neues: Eine totale Öffnung wie auch im Norden: „Der Platz lief da einfach so aus entlang der Bahngleise“, bestätigt Skalecki auf Grundlage alter Pläne.
Die Zukunft begann am Bremer Hauptbahnhof
Für viele Millionen Deutsche, die der Armut entkommen und ihr Heil in Übersee suchen wollten, begann die Zukunft am Bremer Hauptbahnhof. Und so brachte die Auswanderungswelle Anfang des 20. Jahrhunderts die nächsten baulichen Veränderungen: Der Norddeutsche Lloyd ließ 1913 nördlich der Bahntrasse ein Gebäude für die Registrierung und Gepäckabfertigung der Auswanderer bauen. Heute ist der frühere Lloyd-Bahnhof ein Teil des Hotels Courtyard by Marriott.
Erst das Postamt im Osten, 1926 vollendet, gab dem Platz vor dem Bahnhof einen Rahmen. „Jetzt gab es vier Fronten“, sagt der Landeskonservator. „Aber insgesamt war die Gestaltung immer noch sehr offen.“ In diese Zeit fällt auch der Bau eines Werbe-und Ausstellungsturms, der im Juni 1925 in Nähe der Badeanstalt eröffnet wurde. Das auffällige Gebäude ging als Opel-Turm in den Sprachgebrauch der Bremer ein. Obwohl es den Zweiten Weltkrieg unbeschadet überstand, fiel es wie die Badeanstalt in den Nachkriegsjahren Neugestaltungsplänen zum Opfer.
In den 1930er Jahren veränderte sich der Platz zusätzlich durch eine neue Wegführung. Konnte man zuvor direkt vor das Bahnhofsportal fahren, musste der Individualverkehr neuen Parkflächen sowie Haltestellen für Omnibusse und Straßenbahnen weichen. Diese bestimmen noch heute das Bild des Bahnhofsplatzes zur Stadtseite. Die Trassen für die Busse und Bahnen des öffentlichen Personennahverkehrs wurden später zum großen zentralen Straßenbahn- und Busbahnhof verbreitert und die Parkflächen für Pkws auf die Nordseite des Bahnhofs verlegt. Außer dem InterCityHotel an der Ostseite des Bahnhofs und den jüngst eröffneten Bauten des Architekten Max Dudler entstanden an dem Platz nach dem Zweiten Weltkrieg nur temporäre Gebäude.
von Klaus Schmidt