Vor 70 Jahren wurde der städtebauliche Wettbewerb für den Neuen Bremer Westen entschieden
Während man sich östlich der Wallanlagen, etwa am Sielwall, in einem der quirligsten Bremer Quartiere befindet, steht man in seinem westlichen Gegenstück, etwa beim Haferkamp, in einem luftigen Stadtraum, der eher an die Vahr als an ein innenstadtnahes Wohnquartier erinnert. Wir sind in der westlichen Vorstadt, dem heutigen Ortsteil Utbremen. Ein nächtlicher Luftangriff am 18. August 1944 hatte nicht nur die Häfen, sondern auch die Wohnquartiere des Bremer Westens schwer getroffen. Mehr als 1000 Menschen kamen ums Leben. Als die Trümmer abgeräumt waren, reichte das freie Sichtfeld vom Wall bis zu Roland-Mühle.
Aufgrund der desolaten wirtschaftlichen Situation der Stadt nach dem Krieg war an einen baldigen Wiederaufbau nicht zu denken. Die größten Anstrengungen galten zunächst dem Aufbau der wirtschaftlichen Infrastruktur. „Erst der Hafen, dann die Stadt“ soll Bürgermeister Wilhelm Kaisen gefordert haben. Und die Häfen sollten zugleich modernisiert werden. Vor dem Zweiten Weltkrieg endeten die Wohnstraßen knapp vor den Hafenbecken. Nachdem der Senat eine Erweiterung der Hafenflächen bereits Ende der 1940er-Jahre beschlossen hatte, war Wohnen südlich der Nordstraße nicht mehr vorgesehen. Die verbleibende Fläche des zerstörten Stadtteils zwischen Nordstraße und den Bahntrassen im Norden und Osten sowie der Linie Columbus-, Bremerhavener- und Grenzstraße im Westen war mit 110 Hektar immer noch gewaltig. Rund 33 000 Menschen hatten hier vor dem Krieg gelebt.
Kein Zurück zum beengten Wohnen
Als die Bauverwaltung im Frühjahr 1950 einen beschränkten städtebaulichen Wettbewerb für die Neugestaltung dieses Gebiets ausschrieb, waren sich die Fachleute einig, dass ein bloßer straßenweiser Wiederaufbau nicht sinnvoll sei. Der rasch mit der Entwicklung der Häfen Ende des 19. Jahrhunderts gewachsene Stadtteil spiegelte mit seinen eng an eng stehenden länglichen Blocks mit Bremer Häusern, die nur knappe, teils auch gar keine Vorbereiche und ebenfalls nur enge Hofbereiche besaßen, eher die wirtschaftlichen Interessen der Investoren wider als das Ergebnis einer sinnvollen Stadtplanung.
In dem gesamten Bereich gab es keine öffentliche Grünfläche. Zudem drängten sich zahlreiche Gewerbebetriebe in dem Wohngebiet. Solche Fehler sollten beim Neuaufbau des Stadtteils nicht wiederholt werden. Die in der Nachkriegszeit aktuellen Grundlagen modernen Städtebaus, die sich an der berühmten „Charta von Athen“ aus den frühen 1930er-Jahren orientierten und die nun auch im Bremer Westen Anwendung finden sollten, sahen eine klare Trennung der städtischen Funktionsbereiche Arbeit, Wohnen, Verkehr und Erholung vor.
Was den Verkehr anbelangte, war eine dreifache Abstufung in Hauptverkehrsstraßen, sogenannte Sammelstraßen und Wohnerschließungsstraßen vorgesehen. Zur ersten Kategorie zählte auch die Hansastraße (heute Hansestraße), die zum Zeitpunkt der Wettbewerbsausschreibung noch als Rampe für eine später zu bauende Hafenbrücke über die Weser gedacht war und als Hochstraße auf einem Damm verlaufen sollte. Aus Kostengründen sollten „unter Berücksichtigung des vorhandenen Kanalnetzes die vorhandenen Straßen weitgehend wiederverwendet“ werden.
Die Aufgabe für die sechs ausgewählten Architekturbüros (vier bremische und zwei auswärtige) lag vor allem in der Frage nach der Anordnung und Verteilung der Wohnbauten sowie im Konzept für die öffentlichen Grünflächen und die Verteilung der öffentlichen Einrichtungen. Am 25. Mai kam das Preisgericht einstimmig zu dem Urteil, die Arbeit des Bremer Architekturbüros Säume und Hafemann mit dem 1. Preis auszuzeichnen. Der 2. Preis ging an den niedersächsischen Architekten Aladar Rimner, der 3. Preis an Wilhelm Wortmann, Bremen.
Säume und Hafemann hatten den öffentlichen Grünraum als einen den neuen Stadtteil in seiner Längsachse mittig durchziehenden Streifen angelegt. An ihn sollten die öffentlichen Einrichtung – Schulen, Kirchen, Sportplätze – unmittelbar angrenzen. Das entsprach der von Gartendirektor Erich Ahlers schon zuvor angeregten Grünverbindung zwischen den Wallanlagen und dem Waller Park. Die Hälfte der Wohnbauten sollte als Bremer Häuser ausgeführt werden, die andere Hälfte als bis zu viergeschossigen Mietshauszeilen. Bei Wortmann lag der Schwerpunkt auf einer größeren Beibehaltung des traditionellen Bremer-Haus-Typus, und obwohl er beim zentralen Grünraum zu einer gänzlich anderen Lösung kam, beauftragte der Auslober die beiden Bremer Büros, zusammen mit der Baubehörde den Bebauungsplan zu erstellen.
Dessen Umsetzung erwies sich aber schon bald als schwierig aufgrund der komplexen Eigentumsverhältnisse im Bremer Westen. Bei den notwendigen Umlegungsverfahren verweigerten einige Grundbesitzer eine Zusammenarbeit mit der Planungsbehörde, andere waren in den Wirren der Nachkriegszeit nicht zu ermitteln, Erbengemeinschaften konnten sich nicht einigen. Und so schritt das Bauvorhaben nur langsam voran. Von den geplanten 5800 Wohneinheiten waren Ende 1952 erst 580 erstellt. Einen kurzfristigen Schub brachte das Wohnquartier zwischen St. Magnus- und Lutherstraße, die ECA-Siedlung mit rund 300 Wohneinheiten, die 1953 mit Hilfe von Mitteln aus dem US-amerikanischen Economic Cooperation Administration-Förderprogramm gebaut werden konnte.
Neuer Schwung
Schwung in die Angelegenheit kam erst, als Ende 1952 die Neue Heimat Hamburg, eine Schwestergesellschaft der Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft Bremen mbH (Gewoba), der Stadt einen Kommunalkredit von 10 Millionen DM vermittelte unter der Voraussetzung, dass die Gewoba hier für die Errichtung von Wohnungen im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus zum Zuge komme. Da aber in konservativen Kreisen das Eigenheim in der Tradition der Bremer Hauses als Gegenpool zum als „seelenlos“ empfundenen „Massenwohnungsbau“ galt, war augenblicklich die Konkurrenz auf dem Plan, um eine Einseitigkeit in der städtebaulichen Ausrichtung zu verhindern. Man befürchtete einen Präzedenzfall für die weitere Ausrichtung der Wiederaufbauplanung in Bremen. Deshalb unterbreiteten die Bremer Treuhandgesellschaft für Wohnungsbau und die Bremer Schoß Betreuungsgesellschaft für privaten Wohnungsbau ebenfalls Angebote über die Beschaffung ähnlicher Kommunaldarlehen. Die Bürgerschaft nahm am 4. Februar 1953 diese Angebote an. Die Bebauung des Neuen Bremer Westens konnte nun zügig durchgeführt werden.
Das Areal wurde unter den drei Gesellschaften aufgeteilt: Für die Treuhand lag der bauliche Schwerpunkt im östlichen Teil, die Bremer Schoß bebaute vor allem den nordwestlichen und südwestlichen Teil. Bei beiden überwog Reihenhausbebauung. Die Gewoba zeichnete für den Bereich rechts und links des zentralen Grünzuges verantwortlich. Hier überwog mehrgeschossiger Wohnungsbau, der höher und moderner ausfiel als im Wettbewerbsentwurf. Der Grünzug, an dem zahlreiche öffentliche Bauten platziert wurden, verkörperte das moderne städtebauliche Leitbild der aufgelockerten Stadt. Am Kreuzungspunkt von Grünzug und Hansestraße entstand als Wahrzeichen des neuen Stadtteils ein von Max Säume und Günter Hafemann entworfenes Wohnhochhaus, das erste in Bremen.