Bis zu 30.000 Autos und Lastwagen, 5500 Radfahrer sowie etliche Straßenbahnen und Busse durchfahren täglich den Stern. Fußgänger sind hier ebenfalls rund um die Uhr unterwegs. Im Jahr 1900, als der sternförmige Platz erstmals in den Planungen für das neue Parkviertel am Süd-Ost-Zipfel des Bürgerparks auftauchte, hatte sich wohl niemand ein derartiges Verkehrsaufkommen ausgemalt.
Zu jener Zeit erstreckten sich die Bürgerweide und der darauf befindliche Herdentorsfriedhof noch bis zur Straße An der Weide. Wo heute die Hohenlohe-, Slevogt-, Delbrück- und Goebenstraße verlaufen, befand sich eine Rennbahn für Radfahrer. Das Areal des Bürgerparks, der ab 1866 als Erholungswald auf der Bürgerweide angelegt worden war, reichte etwa bis zur Ecke Parkallee und Parkstraße. Die Parkallee wiederum war um 1890 auf einem zugeschütteten Abschnitt des Kuhgrabens entstanden. Im Jahr 1899 beschloss der bremische Senat, den südlichen Teil der Bürgerweide zu verkaufen. Der Bremer Kaufmann Franz Schütte beziehungsweise die von ihm gegründete Parkland-Actiengesellschaft erwarb die Fläche, um das sogenannte Parkviertel zu errichten. Im Vertrag zum Verkauf und zur Bebauung war genau festgelegt, wo und in welcher Art in dem Wohnviertel Straßen angelegt werden sollten. Mit dem Bau der Hermann-Böse-Straße, die ursprünglich Kaiser-Friedrich-Straße hieß, von der Parkallee bis zur Straße an der Gasanstalt – der heutigen Gustav-Deetjen-Allee – trafen an der Kreuzung Parkallee und Hollerallee mit der Wachmannstraße sechs Straßen aufeinander:
Ein neuer Verkehrsknotenpunkt war entstanden. „Die Kutschen fuhren dort zunächst so, wie sie wollten und konnten – links herum oder rechts herum“, beschreibt Stadtteilforscher Peter Strotmann vom Schwachhausen-Archiv die damalige Situation. Immerhin bemühte man sich, dem Platz eine Struktur zu geben: Strotmann hat in dem 1904 erschienen Buch „Das Gaswerk der Freien Hansestadt Bremen“ das Foto eines Kandelabers entdeckt, den die bremischen Erleuchtungs- und Wasserwerke im selben Jahr in der Mitte des Verkehrsknotenpunkts aufgestellt hatten. „Die Laterne diente zur Straßenbeleuchtung und wurde mit Steinkohlengas, auch bekannt als Leuchtgas, betrieben“, sagt Strotmann. Im Bildhintergrund ist die Wachmannstraße zu sehen. „Die Häuser auf der rechten Seite wurden ab 1902 bezugsfertig, beginnend mit der Wachmannstraße 3. Die vier Gebäude mir den Nummern 3 bis 9 wurden in den 1970er Jahren durch Neubauten ersetzt“, erläutert der Stadtteilforscher. 1901 sei außerdem mit dem Bau der Straßenbahnstrecke vom Gustav-Deetjen-Tunnel durch die Kaiser-Friedrich-Straße über die Parkallee bis zum Stern begonnen worden, der zunächst Endhaltestelle war. „Der schrittweise Ausbau erfolgte in den darauffolgenden Jahren, sodass ab 1911 die Wachmannstraße bis zur Schubertstraße per Straßenbahn erreichbar war.“
Der namenlose Platz wird spanisch
Wie lange der Kandelaber im Kreisel gestanden hat, lässt sich nach Aussage von Strotmann heute kaum noch ermitteln. „Er wird irgendwann durch eine elektrische Beleuchtung ersetzt worden sein. Zudem hätte er dort auch keinen Platz mehr, da die Straßenbahngleise seit Jahrzehnten durch die Mittelinsel geführt werden“, betont er. Was Strotmann zudem aufgefallen ist: Bis 1939 hatte der Platz keinen eingetragenen Namen. Erst im Juni 1939 sei das Rondell anlässlich der Rückkehr der Legion Condor aus Spanien Spanischer Platz genannt worden. „Die Legion Condor war eine verdeckt arbeitende deutsche Wehrmachtseinheit im spanischen Bürgerkrieg“, erläutert Strotmann den historischen Hintergrund. „Aufgebaut wurde sie 1936 als geheime Operation. Durch ihren Einsatz waren die Putschisten unter General Franco gegenüber der demokratisch gewählten Regierung siegreich.“ Die Legion Condor sei an allen entscheidenden Schlachten beteiligt gewesen und habe in einem rücksichtslosen Luftkrieg 1937 völkerrechtswidrig den Ort Guernica mit seiner wehrlosen Zivilbevölkerung zerstört. „Am 1. April 1939 verkündete Franco seinen Sieg und regierte diktatorisch.“ Die Legion Condor, die insbesondere der Luftwaffe zur Erprobung neuer Waffensysteme und Einsatztaktiken diente, sei damit aufgelöst worden.
Neben dem Stern seien im Parkviertel damals auch die Parkallee zwischen Tunnel und Stern in Franco-Allee und die Parkstraße von der Schwachhauser Heerstraße bis zur Parkallee in Legion-Condor-Straße umbenannt worden. Dies wurde nach 1945 wieder rückgängig gemacht. Von diesem Zeitpunkt an hieß der Stern „Am Stern“. Da die Bezeichnung „Spanischer Platz“ nicht in die Bremer Adressbücher aufgenommen worden war, fand laut Strotmann keine offizielle Rückbenennung statt. Der WESER-KURIER habe lange Jahre ‚Stern’ geschrieben, sagt der Stadtteilforscher. „Das ist eine Bezeichnung für eine Straßenkreuzung mit mehreren Armen – hier sechs. So ähnlich wie Wendeplatz oder Verkehrskreisel. Die haben meist auch keine Benennung. Der Platz ,Am Stern‘ wurde möglicherweise offiziell nie so benannt, obwohl jetzt Namensschilder angebracht sind.“ In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg stieg die Produktion privater Pkw sprunghaft an. „Ab 1948 lief der VW Käfer vom Band und der Lloyd LP 300 avancierte ab Mai 1950 zum Verkaufsschlager“, erläutert Strotmann. Dementsprechend stieg die Nachfrage nach Benzin – Esso ließ 1951 an der Ecke Hollerallee und Wachmannstraße von dem Bremer Architekten Armin Schöning am Stern eine für damalige Verhältnisse hochmoderne Tankstelle bauen.
Man habe zuerst den Einspruch der in der Nähe des Sterns wohnenden Anwohner erwartet, da die Tankstelle vielleicht das Straßenbild gefährden könnte, berichtete der WESER-KURIER am 2. April 1951. „Bei der gestrigen Einweihung konnten sich jedoch die Vertreter der Behörden und der Konkurrenz von der vorbildlichen architektonischen Lösung überzeugen.“ Ein Bremer hatte allerdings im Vorfeld in einem am 13. September 1950 im WESER-KURIER zitierten Leserbrief gewarnt: „Ich kann nicht beurteilen, ob für den Bau einer Tankstation eine Notwendigkeit vorliegt, doch muss darauf hingewiesen werden, dass bei der Dichte des Verkehrs an diesem Kreuzungspunkt besonders für Schulkinder große Gefahr besteht.“ Das Verkehrsaufkommen am Stern spielte im Bewusstsein der Öffentlichkeit von nun an eine wachsende Rolle. Zumal 1955 das 530 Meter lange Teilstück der Hollerallee zwischen Schwachhauser Heerstraße und dem Kreisel ausgebaut wurde. Dadurch sollte der aus Hastedt kommende Kraftverkehr über die sogenannte Nordumgehung (Bismarckstraße – Graf-Moltke-Straße – Hollerallee – Eickedorfer Straße – Utbremer Ring) zur Ausfallstraße nach Bremen-Nord und Bremerhaven gelangen. Im Zug dieser Arbeiten sorgte zudem eine Umgestaltung des Sterns für eine bessere Übersicht. „Als der ‚Stern’ in seiner neuen Gestalt dem Verkehr übergeben wurde, entsprach seine zwölf Meter breite Fahrbahn durchaus den Anforderungen“, schrieb der WESER-KURIER am 17. Mai 1958. „Es dauerte zwar seine Zeit, bis sich die Kraftfahrer an die Gesetze des Kreisverkehrs gewöhnt hatten, aber dann klappte alles reibungslos.“
Ein Kreisel mit Straßenbahn
Allerdings wuchsen die Verkehrsströme und damit auch die Rückstaus am Stern stetig an. 1974 wurde deshalb ernsthaft erwogen, den Kreisverkehr in eine ampelgesteuerte Kreuzung zu verwandeln. Doch die Entwicklung nahm eine komplett andere Richtung: Der Knotenpunkt erhielt im Sommer 1983 eine eigene rotgepflasterte Vorfahrtsspur für Radfahrer – bis dahin wurden Fahrräder dort eher geschoben. Nach diesem Umbau wurde er von Fernsehteams gefilmt, in der Verkehrsfachliteratur behandelt, war Gegenstand von Symposien und galt international als einmaliges Pilotprojekt: Ein Kreisel mit Straßenbahn, in dem Radfahrern an vielen Bereichen Vorrang gewährt wird – diese Bremensie sorgte vor rund 35 Jahren selbst bei Verkehrsplanern in Berlin oder München für Aufsehen. Auch die zum Wintersemester 1971/72 eröffnete Universität Bremen sorgte für mehr Verkehr – besonders aufgrund eines Trends mit dem Motto „Daumen raus“.
Lange Zeit wurde zwischen Stern und Uni getrampt, anfangs gab es keine durchgehende Straßenbahnlinie in diese Richtung. Man stellte sich am Stern an die Parkallee und wurde meist innerhalb weniger Minuten mitgenommen. Heute muss kein Studierender mehr trampen: Im Oktober 1998 wurde die Straßenbahnlinie 6 über den bisherigen Endpunkt am Riensberger Friedhof um 2,2 Kilometer bis zur Universität verlängert. Die Verkehrsführung am Stern war und ist immer wieder in der Diskussion. Mehrmals im Gespräch war der Vorschlag, den abgesetzten Fahrradstreifen aufzulösen und stattdessen eine gemeinsame Spur für Fahrräder und Autos anzulegen. Gleichzeitig dachte man über Maßnahmen nach, wie der Stern für alle Verkehrsteilnehmer, insbesondere für Fußgänger, sicherer und übersichtlicher zu gestalten wäre. Im kommenden Jahr nun soll der Kreisel für rund 640.000 Euro erneut umgebaut werden.
von Anne Gerling