Von Anbiet bis Zuckerklatsche
„Erst der Hafen, dann ist die Stadt“
Im Magazin „Erst der Hafen, dann ist die Stadt“ über Bremen und seine Häfen gehen wir in vielen historischen Bildern auf Zeitreise durch die maritime Vergangenheit unserer Hansestadt. Wie entwickelten sich die Häfen in Bremen vom Mittelalter bis heute? Wie sah die Arbeit zwischen Ladeluke, Kaje und Schuppen aus? Was hatte es mit den Anbiethallen auf sich? Und wie veränderte die Containerschifffahrt die Häfen? Wir blicken auf die Gründung der Freihäfen um 1900 und den Strukturwandel rund 100 Jahre später. Wir erzählen von Schmugglern und Zöllnern, von Bremens großen Werften sowie Abenteuern, Sex und Alkohol an der Küste – dem Rotlichtviertel am Hafen.
Zur Niederschlagung der Räterepublik: Neue Erkenntnisse zu den Gefechten am 4. Februar 1919
Auf das Freikorps Caspari war Altbürgermeister Wilhelm Kaisen (SPD) nicht gut zu sprechen. Die Niederschlagung der Bremer Räterepublik am 4. Februar 1919 wäre vielleicht „ohne viel Blutvergießen abgegangen“, wenn sich nicht das Freikorps eingemischt hätte, schrieb er in seinen 1967 publizierten Memoiren. Die Furcht vor der Rache dieser „Weißgardisten“ habe die bewaffneten Arbeiter zum äußersten Widerstand angespornt. Das Ergebnis: 83 Tote, darunter auch etliche unbeteiligte Zivilisten.
Ein Bild mit Symbolwert: Angehörige der Division vor dem Bismarck-Denkmal.
Quelle: Staatsarchiv Bremen
In Kaisens Augen hätte sich die provisorische Reichsregierung allein auf die regulären Truppen verlassen sollen, die 3000 Mann starke Division Gerstenberg, einen eilig zusammengestellten Kampfverband unter dem Kommando von Oberst Wilhelm Gerstenberg. Viele Menschenleben wären laut Kaisen verschont geblieben, „wenn die Division Gerstenberg einfach einmarschiert wäre und die Stadt besetzt hätte, und zwar ohne Casparis Hilfe“.
Historiker sollen entscheiden
Dass es dazu auch gegenläufige Ansichten gab, war Kaisen natürlich vollkommen bewusst. „Wer mit seiner Auffassung recht hat, mag einmal der Historiker entscheiden.“
Nun hat sich ein Historiker der Sache angenommen. Im neuen Bremischen Jahrbuch befasst sich Jörn Brinkhus unter dem Titel „Die gewaltsame Liquidierung der Bremer Räterepublik“ mit den politischen, militärischen und sozialgeschichtlichen Voraussetzungen der blutigen Intervention. Dabei versucht der 44-Jährige, im Anschluss an die Forschungen zum 100. Jahrestag der Novemberrevolution 1918/19 noch offene Fragen rund um das Ende des kurzlebigen Politexperiments zu klären.
Eine davon dreht sich um das Freikorps Caspari. Ganz korrekt ist die landläufige Bezeichnung nicht, weil die Einheit damals als „Freiabteilung Caspari“ in Erscheinung trat. Ein kleiner, aber feiner Unterschied. Erst später habe sich die Selbstbezeichnung „Freikorps“ durchgesetzt, betont Brinkhus. Offenbar, um eine historische Kontinuität zu den Freikorps der anti-napoleonischen Befreiungskriege herzustellen.
Die über 300 Mann starke Einheit unter Führung von Major Walter Caspari spielte unumstritten eine Schlüsselrolle bei der Niederschlagung der Bremer Räterepublik. Schon allein dieser Umstand verdient eine nähere Beleuchtung. Denn warum trug das gut ausgerüstete, aber relativ kleine Freikorps die Hauptlast des Angriffs, warum nicht die zehn Mal stärkere Division Gerstenberg?
Eigentlich war es anders vorgesehen. In den ersten Gefechtsplanungen sollten die Landesschützen als Teil der Division Gerstenberg den Sturm auf die Neustadt übernehmen und sich nach dem Übergang über die Weser auf dem Markt mit dem von Osten vorrückenden Angriffskeil vereinigen. „Casparis Männer bildeten nur die Reserve, sie sollten nur punktuell als Verstärkung eingesetzt werden“, so Brinkhus.
Ging gegen die Räterepublik vor: Major Walter Caspari.
Quelle: Staatsarchiv Bremen
Zweifel an Zuverlässigkeit
Doch es gab Zweifel an der Zuverlässigkeit der Landesschützen. Das war einer der Gründe, weshalb der zuständige Stabsoffizier kurzfristig umdisponierte. Mit den zentralen Gefechtsaufgaben wurden nun Caspari und seine Freiwilligen betraut. „Von der Reserveeinheit zur eigentlichen Speerspitze“, bringt Brinkhus die neue Aufgabe auf den Punkt.
Unter militärischen Gesichtspunkten eine nachvollziehbare Entscheidung. Das Freikorps setzte sich in der Hauptsache aus kampferprobten Bremer Bürgersöhnen zusammen, sie galten als eingeschworene Gemeinschaft. Ein weiterer Vorteil: Die einheimischen Freikorpskämpfer verfügten über ausgezeichnete Ortskenntnisse. Nicht zu vergessen auch Casparis Führungsqualitäten als erprobter Frontoffizier.
Bleibt die Frage, ob Caspari seine Männer zu Gewaltakten anstachelte. Brinkhus verneint das. In Bremen habe es keinen „exzessiven Gewalteinsatz“ gegeben. Zwar sieht er Caspari als wenig zimperlichen Berufssoldaten, aber nicht als brutalen Schlächter. Als effektiv und rücksichtslos beurteilt Brinkhus das Vorgehen des Freikorps, „dabei aber kontrolliert und keineswegs enthemmt“.
Dennoch kam es auch in Bremen zu mindestens zwei Gefangenenerschießungen. Wie Brinkhus darlegt, gingen sie jedoch nicht auf das Konto des Freikorps Caspari. Vielmehr wurden die widerrechtlichen Exekutionen von Angehörigen der 1. Marinebrigade begangen, einem Teil der regulären Truppen der Division Gerstenberg.
Beim Begriff „Marinebrigade“ denkt man unwillkürlich an die Marinebrigade Ehrhardt, eine berüchtigte Formation unter den damaligen Freikorps-Verbänden. Bei der Niederschlagung der Münchner Räterepublik im Mai 1919 richtete die Brigade ein beispielloses Blutbad an, beim Kapp-Putsch im März 1920 zierten Hakenkreuze ihre Helme.
Doch die in Bremen eingesetzte Marinebrigade war kein irregulärer Verband. Sondern eine Freiwilligen-Einheit, die im Dezember 1918 auf Betreiben des sozialdemokratischen Volksbeauftragten Gustav Noske aus Marinesoldaten gebildet worden war. Weshalb die Brigade eine laut Brinkhus „besonders enge Verbindung“ zu dem späteren Reichswehrminister unterhielt. Brinkhus spricht von „politisierten, unterbürgerlichen Berufssoldaten, die in ihrer Mehrzahl Noske und der MSPD nahestanden“.
Keine Erfahrung im Landkrieg
Das klingt schon fast nach Bruderkampf – die beiden Gefangenenmorde als Ausdruck einer emotional aufgeladenen Atmosphäre unter einstigen Weggefährten, die jetzt erbitterte Feinde waren. Dass die Marinesoldaten keinerlei Erfahrung im Landkrieg hatten, könnte Brinkhus zufolge auch eine Rolle gespielt haben.
Hätten sich die Verteidiger der Räterepublik also mehr vor der Division Gerstenberg fürchten müssen als vorm Freikorps Caspari? Zumindest ein Aspekt, der zum Nachdenken anregt. Sicher ist: Nach der Unterdrückung des Berliner Januaraufstands wollte die Reichsregierung in Bremen ein Exempel statuieren. Dass die Rätepolitiker den Weg zur parlamentarischen Demokratie schon freigemacht hatten, fiel nicht ins Gewicht. Es ging um Staatsräson – darum, die eigene Handlungsfähigkeit unter Beweis zu stellen.
Die Ruhe nach dem Sturm: die Sieger vor dem Westportal des Rathauses, links das Kaiser-Wilhelm-Denkmal.
Quelle: Staatsarchiv Bremen