Ein Blick in die Geschichte (199): Scheinbar sorglose Passanten im August 1944
Wäre da nicht die Trümmerlandschaft, man könnte glauben, es herrschte tiefster Frieden: Scheinbar sorglos flanieren sommerlich gekleidete Menschen über die Straße, ohne Eile gehen sie ihrer Wege. Doch von Sorglosigkeit konnte natürlich keine Rede sein. Denn entstanden ist die Aufnahme im Zweiten Weltkrieg, kurz nach dem verheerenden Luftangriff auf Bremen am 18./19. August 1944. Der deutsche Siegeszug der frühen Kriegsjahre gehörte damals schon längst der Vergangenheit an, mit der Invasion in der Normandie am 6. Juni 1944 hatten die alliierten Truppen den Krieg im Westen eröffnet. Damit intensivierten sich auch wieder die Luftangriffe auf Bremen, nachdem im ersten Halbjahr 1944 weitgehend Ruhe geherrscht hatte.
Beim berüchtigten „Feuersturm“ am 18./19. August 1944 kamen 1059 Menschen ums Leben – zwei mehr als im gesamten Luftkriegsjahr 1943. Dabei versank nicht nur der Bremer Westen in Schutt und Asche, schwere Zerstörungen gab es auch links der Weser in Rablinghausen und Woltmershausen sowie im Bereich der Bahnhofsvorstadt. Dabei wurden mehrere bekannte Hotels zerstört: das Hotel Europäischer Hof am Herdentorsteinweg, das Columbus-Hotel am Bahnhofsplatz und das Hotel Alberti an der Bahnhofstraße. Kaum zu erkennen ist über dem ausgebrannten Portal noch die Aufschrift „Hotel Alberti“.
Einen Eindruck davon vermittelt die Aufnahme mit den flanierenden Menschen. Das Paar in der Bildmitte spaziert auf dem Breitenweg, gekreuzt wird er von der Bahnhofstraße. Eine Perspektive, die es seit dem Bau der Hochstraße 1968 nicht mehr gibt. Links ist die Ruine des ausgebrannten Hotels Alberti an der Bahnhofstraße 27/28 zu sehen. Der Namen erinnerte an den Mann, der das Hotel aus der Taufe gehoben hatte, Heinrich August Alberti. Im Zuge des Baubooms nach dem Eisenbahnanschluss Bremens 1847 waren eine ganze Reihe von Hotels in Bahnhofsnähe aus dem Boden geschossen. Darunter das spätere Hotel Europäischer Hof, damals dem Zeitgeschmack gemäß unter dem Namen „Hotel de lʼEurope“. Zusammen mit C. A. Schulze hatte Alberti das Hotel de lʼEurope und den Rheinischen Bierkeller am Herdentorsteinweg betrieben, ab Mai 1864 ging er mit „Albertis Hotel“ eigene Wege.
Der Hotelname blieb erhalten
Der einmal eingeführte Name blieb auch später erhalten, als das Hotel in den Besitz des Gastronoms Heinrich Wilhelm Eicke (1860-1941) überging. Zuvor hatte er das Restaurant Börsenhalle am Wall betrieben. Alte Postkarten aus der Kaiserzeit zeigen das Hotelgebäude mit drei statt vier Geschossen wie zum Zeitpunkt seiner Zerstörung – der Bau muss also zwischenzeitlich aufgestockt worden sein. Dem Adressbuch zufolge waltete Heinrich Wilhelm Eicke bis 1925 allein über die Geschicke des Hauses, danach wird auch sein Sohn Wilhelm Eicke (1892-1967) genannt.
Zu seinem Glück erlebte der Vater das Ende des Hotels nicht mehr, er starb 1941 im gesegneten Alter von 81 Jahren. Danach scheint sein Sohn Wilhelm das Hotel in Eigenregie weitergeführt zu haben, bis es nur drei Jahre später im Bombenkrieg zerstört wurde. In Horn besaß die Familie laut Michael Koppel, Verfasser des Horn-Lehe-Lexikons, ein respektables Landhaus auf dem Grundstück eines früheren Bauernhofs, mit den Produkten der verbliebenen Landwirtschaft belieferte Tochter Frieda Eicke das Hotel. Frieda Eicke (1893-1979) war eine lang Zeit vergessene Künstlerin, mit ihrer Schwester Louise Eicke (1896-1984) gründete sie 1970 die Geschwister Eicke-Stiftung zur Förderung der Aus- und Weiterbildung zum Kinder- und Jugendpsychotherapeuten.
Im rechten Kreuzungsbereich befand sich ein stattliches Geschäfts- und Bürogebäude, die Anschrift lautete Bahnhofstraße 26. In den oberen Etagen residierten die Volksfürsorge Versicherungen, mit einiger Mühe kann man den Schriftzug über den Fenstern des ersten Obergeschosses gerade eben noch entziffern. Vom Reklameband der Anzeigen- und Anschlagvermittlung Werbelloyd eine Etage höher sind dagegen nur noch die Buchstaben „oyd“ heil geblieben. Im Erdgeschoss befand sich das Zigarrengeschäft von August Huhs, seine „Cigarren“-Reklame überstand die Bombennacht relativ schadlos. Neben diversen anderen Geschäften hatte sich in dem Gebäude auch die parteiamtliche Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums eingemietet.
Nicht zu sehen sind der Opelturm und das Breitenwegbad, die sich im vorderen Bildbereich weiter rechts angeschlossen hätten. Dafür sind beim Blick in den Breitenweg ein ordentliches Stück straßenabwärts auf der rechten Seite die Schmuckgiebel der ebenfalls schwer in Mitleidenschaft gezogenen Staatsbibliothek deutlich auszumachen. Entworfen hat das historistische Gebäude im Stil der Neorenaissance der Architekt Johann Georg Poppe, auf seinem Reißbrett ist auch das Lloydgebäude in der Innenstadt entstanden. 1897 wurde in dem Poppe-Bau die Stadtbibliothek eröffnet, seit 1927 nannte sie sich Staatsbibliothek. Aus dem Bombenkrieg ging das Bauwerk schwer beschädigt hervor, erst 1997 wurde es abgerissen.