Eine Wanderung durch die Geschichte: Der Ostertorsteinweg – Vom Ostertor bis zum Steintor (1)
Unsere Wanderung beginnt am Ostertor, wir gehen ein Stück in die Wallanlagen hinein, am Goetheplatz vorbei und sind am Ostertorsteinweg. Um ihn herum ist früher wie heute das ganz lebendige „Viertel“. Doch dieses Ostertorviertel hätte es nach dem Willen der Stadt- und Verkehrsplaner in dieser Form nicht mehr gegeben. Aber lesen Sie es selbst…
Die Bauten in den Wallanlagen
In einem früheren Bremen History-Beitrag hatten wir die „Wanderung durch die Geschichte“ begonnen. Der Weg führte uns vom Herdentor zum Bischofstor und weiter zum Ostertor. An dem Punkt sind wir nach links abgebogen. Auf der der rechten Seite kamen wir an der Kunsthalle vorbei, deren erster Bau aus dem Jahre 1849 stammt. Die Kunsthalle ist im Laufe der Zeit immer mal wieder umgebaut und vergrößert worden.
Ein paar Schritte weiter haben wir auf der rechten Seite die ehemalige Ostertorwache, heute Gerhard-Marcks-Haus, sowie auf der linken Seite das ehemalige Wachhaus und Gefängnis, heute Wilhelm-Wagenfeld-Haus hinter uns gelassen. Damit ist auch die Straße Am Wall zu Ende. Das ist der Punkt, an dem bis 1848 eine nächtliche Torsperre bestand und ein Sperrgeld zu entrichten war.
Wo stand das Ostertor?
Doch spätestens jetzt sollten wir fragen: Wo hat das eigentliche Ostertor gestanden und wie hat es ausgesehen? Dazu müssen wir uns noch einmal umdrehen – und sehen kein Tor mehr. Deshalb sei hier beschrieben, wie es ausgesehen hat. An der Stadtmauer der Altstadt stand bereits ein Torturm. Dort wurde in dem Jahren 1512 bis 1514 der Ostertorzwinger errichtet. Während des Dreißigjährigen Krieges (1618 bis 1648) wurde davor noch die Ostertorbastion gesetzt.
Der Zwinger mit seinen massiven Mauern mit Sprengstofflager, Gefängnis und Folterkammer, Schießscharten für Kanonen machte einen wehrhaften Eindruck.
Doch 1624 entzündete ein Blitz den eingelagerten Sprengstoff und zerstörte den Zwinger. Als 1802 vom Bremer Rat beschlossen wurde, die Stadt zu entfestigen, kam auch das Aus für das Ostertor und den Zwinger. Dieser wurde 1826 abgerissen.
Das gesamte Ostertor reichte etwa vom ehemaligen Polizeihaus bis zur Kunsthalle.
Die Geschichte des Ostertorsteinwegs
Schon im Mittelalter führte ein Handelsweg in West-Ost Richtung. Er begann zunächst an Bremens Siedlungskern, dem Dom. Der Weg verlief auf den Dünen entlang in Richtung Verden. 1050 wurde auf einem Dünenhügel das St.-Paul-Kloster errichtet. Einige Straßennamen im Ostertor erinnern noch heute daran. Das Kloster wurde 1523 abgetragen. Auf dem Stich von Merian aus dem Jahre 1640 ist das Ostertor, die Straße bis zum Landwehr am Dobben, dem Steintor, markiert.
Nach der Entfestigung der Stadt 1802/04 wurde die Straße vom Ostertor zum Steintor begradigt. Es entstanden ein- bis zwei – geschossige Giebelhäuser. Nach und nach wurden die alten Giebelhäuser durch traufenständige, zwei- bis sechs- stöckige Neubauten im Stil des Historismus ersetzt. Diese hatten durchweg im Erdgeschoss Ladengeschäfte. Ein letzter Vertreter für ein Giebelhaus ist das Haus Caesar, Ostertorsteinweg 13. Aus dem Straßennamen „Ostertorsteinweg“ kann man entnehmen, dass dieser Weg mit Steinen gepflastert war. Das wird etwas Besonders gewesen sein, da die Straßen und Wege vor Jahrhunderten ungepflastert waren.
Aus dem Bremer Schauspielhaus wird das Theater am Goetheplatz
Bei unserer Wanderung zum Ostertorsteinweg sind wir an der Contrescarpe angekommen, die nach rechts und links abgeht. Auf der rechten Seite geht sie in die Bleicherstraße über. Auf der linken Seite verläuft sie parallel zum Wallgraben.
Das Bremer Schauspielhaus wurde 1912/13 erbaut. Eröffnet wurde es 1913 mit Oscar Wildes Stück „ Eine Frau ohne Bedeutung“. Der Goetheplatz, früher ein Teil der Altenwall-Contrescarpe, wurde 1949 im Goethejahr (Goethe lebte von 1749 bis 1832) angelegt. Das Bremer Schauspielhaus hatte große Kriegsschäden erlitten. Im Jahre 1950 stand die Wiedereröffnung an und das Haus bekam den Namen „Theater am Goetheplatz“. Die erste Spielzeit war die von 1950/51. Das erste dort gespielte Stück war der „Egmont“ von Johann Wolfgang von Goethe. Das Gebäude mit seiner neoklassizistischen Säulenfront steht heute unter Denkmalschutz. In früheren Jahren hatte das Theater sogar eine Bedarfshaltestelle. Dort hielten die Straßenbahnen der Linien 2 und 3 vor der Vorstellung, damit die Gäste nur noch einen kurzen Weg zum Theater hatten.
Damit verlassen wir die sogenannte Kulturmeile und begeben uns schnurstracks zum Ostertorsteinweg.
Der Ostertorsteinweg ist eine wichtige Einkaufsstraße in Bremen. Tatsächlich ist in jedem Haus ein Ladengeschäft. Manchmal sind es sogar zwei. So kommen wir bei einer Straßenlänge von 500 Metern und etwa 104 Häusern auf rund 113 Geschäfte. Nicht einmal eine Handvoll Geschäftslokale steht vorübergehend leer. Das sind Traumbedingungen, die jeden anderen Standort erblassen lassen. Aber wir wollen nicht vorausgreifen, sondern die Wanderung systematisch beginnen.
Dazu gehört der Hinweis, dass die Hausnummern Am Dobben mit der Nummer 1 beginnend (linke Seite) bis zur Nummer 50 zur Contrescarpe gehen. Auf der rechten Seite beginnen sie mit der Nummer 53 und enden am Sielwall mit der Nummer 107.
Ostertorsteinweg 50
Die Geschichte von Cigarren M. Niemeyer, „Fedden‘s Künstlerstuben“, „Deutsches Haus“, Puls-Eck“, zum „Platzhirsch“
Das Endhaus Ostertorsteinweg 50 hat schon mehrere Umgestaltungen erfahren. Der alte giebelständige Bau wurde Ende der 1890er-Jahre abgerissen und 1899 entstand ein Wohn- und Geschäftshaus im Stil des Historismus. In den Eckladen zog Cigarren M. Niemeyer ein.
Im Jahre 1919 wurde im Erdgeschoss „Fedden‘s Künstlerstuben“ eröffnet. Die Lage war hervorragend, insbesondere da im Jahre 1913 das Schauspielhaus direkt gegenüber eröffnet hatte. Dieses „Deutsche Haus“ wurde 1955 abgerissen. Noch im gleichen Jahr eröffnete die Lebensmittel- und Einhandelsfirma Gebr. Puls, ihr Geschäft. Das sogenannte „Puls-Eck“ war kein Selbstbedienungsladen. Am 31. Dezember 1979 schloss das Puls-Eck seine Pforten. Als Grund wurde genannt, dass Puls seit Anfang der 1960er Jahre vergebens auf die Durchführung der Ostertor-Sanierung gewartet habe.
Danach befanden sich in den Räumen unter anderem das Licht-Studio am Goetheplatz, Möbel Elfers, das Restaurant „Bremische Wirtschaft“. Seit 2014 ist das Restaurant „Platzhirsch“ ins Haus eingezogen. Unter den Arkaden sind ebenfalls Tische und Stühle aufgestellt.
Pferdebrunnen
Eines der beiden Denkmäler am Ostertorsteinweg
Auf dem kleinen, baumbestandenem Platz, vor dem Haus Ostertorsteinweg 50 zur Contrescarpe hin, steht ein sogenannter Pferdebrunnen. Es ist ein Tränkbrunnen aus Gusseisen, der 1960 restauriert und wieder aufgestellt wurde. Es ist eine Tränke gleichzeitig für Hunde (unten), Pferde (Mitte) und Vögel (oben).
Wenn wir weiter den Ostertorsteinweg hochgehen gibt es auf der rechten Seite eine Querstraße: die Mozartstraße. Ab hier wäre das Viertel dem Erdboden gleichgemacht worden, denn die Stadt plante den Bau einer neuen Hauptverkehrsader, der Mozarttrasse.
Die Mozarttrasse: ein Wahnsinnsprojekt
Die Stadt-und Verkehrsplaner sahen, dass die Bremer Altstadt für den immer stärker werdenden Automobilverkehr nicht geeignet war. Deshalb planten sie bereits Ende der 1920er Jahre den Bau von sogenannten Tangenten. Ein Teilstück – die sogenannte Nordtangente – wurde im Jahre 1939 dem Verkehr übergeben, nämlich die Westbrücke, heute Stephanibrücke.
Doch die Planung blieb kriegsbedingt liegen. Da „halfen“ die durch die Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg zerstörten Gebiete im Bahnhofs-, Remberti- und Ostertorviertel für einen möglichen Weiterbau. Prompt wurde ein Bau- und Sanierungsstopp verhängt. Das heißt, im Gebiet der geplanten Trasse durften keine Baumaßnahmen genehmigt werden, nicht für Umbauten und Neubauten. Aber die vorhandene Bausubstanz verfiel dadurch und es wurde fleißig abgerissen.
Der Ausbau des Breitenwegs war auch Teil einer neuen Verkehrsplanung, die 1959 vom Senat genehmigt wurde. Die Hochstraße wurde 1969 eingeweiht. Der Rembertikreisel war bereits 1967 fertiggestellt worden. Wenn man ihn ansieht, kann man sich vorstellen, wie die Osttangente, die sogenannte „Mozarttrasse“, ausgesehen hätte: Es wäre eine 120 Meter breite Schneise neben der Mozartstraße geworden. Hinzugekommen wäre eine Brücke über die Weser mit Anschluss an die Südtangente, der Neuenlander Straße.
Für den Bereich durch das Ostertor waren sowohl Hochstraßen als auch Tunnellösungen in Planung. Entlang der Mozarttrasse war eine Hochhausbebauung mit bis zu 28 Stockwerken vorgesehen. Außerdem verdichtete Wohnbauten à la Osterholz-Tenever, auch „Klein Manhattan“ genannt.
1971 wurde ein „Sanierungskonzept Ostertorviertel“ erstellt. Erst nach langer Diskussion stimmte die Mehrheit in der Bremischen Bürgerschaft Ende 1973 gegen das Projekt. Danach dauerte es noch Jahre, bis endlich die Sanierung des Gebietes begann. Einige Geschäfte, wie zum Beispiel das Puls-Eck, hatten bereits aufgegeben. Heute sind nahezu alle Wunden geschlossen. Nur der gigantische Rembertikreisel steht noch als Beispiel für eine Verkehrsplanung der 1960er Jahre.
Die Mozarttrasse ist tot, es lebe das Ostertor-Viertel
Und mittendrin liegt der Ostertorsteinweg. Den wollen wir jetzt mit anderen Augen sehen. Der Ostertorsteinweg ist einer der Straßen, die man nicht künstlich erzeugen könnte. Die Straße ist in sich einzigartig. Obwohl Geschäfte aufgegeben werden und neue hinzukommen, bildet sich irgendwie ein Gleichgewicht aus. Überall spürt man die Geschichte der Straße. Man liebt die Straße und bewahrt sie auch – vielleicht ganz unbewusst. Es gibt hier zahlreiche Dinge des alltäglichen Bedarfs zu kaufen, man kann sich in kleinen Cafés aufhalten, in Schaufenster sehen, so wie es sonst in der ganzen Stadt kaum möglich ist. Also auf zu einem unverbindlichen Schaufensterbummel. Wobei wir uns hier auf ganz wenige Highlights beschränken müssen.
Ostertorsteinweg 53 bis 107: Vom Goetheplatz bis Sielwall
Auf der rechten Seite, in Richtung Sielwall gesehen, passieren wir das alteingesessene Spielwarengeschäft Wichlein (Nummer 57), dann das „Casa“, das früher Casablanca hieß (Nummer 59) und überqueren die Mozartstraße. Anschließend schreiten wir an Mode aus Berlin (Nummer 60) vorbei, und lassen die Mittelstraße rechts liegen. Gleich an der Ecke befindet sich ein Schuster, danach kommt das Eckhaus (Nummer 68/69), ein Jugendstilbau von 1905. Nur ein kleines Stückchen weiter stoßen wir auf Betten Wührmann junior (Nummer 72), überqueren die Poststraße und erreichen dann Korsett Friedel (Nummer 73).
Die weiteren Stationen lauten: Restaurant „Don Carlos“ (Nummer 74/75), irische Gaststätte „Hegarty‘s“, früher „Vosteen“ (Nummer 80), Photo Dose (Nummer 79) und Möbel Flamme (Nummer 84/85). Nach Überquerung von Weber- und Schildstraße kommen wir zum Cinema am Ostertor (Nummer 105) und sind nun am Sielwall angelangt. Insgesamt gibt es etwa 66 Geschäfte auf dieser Straßenseite. Unter Denkmalschutz stehen das Haus 68/69 sowie die Denkmalgruppen 73 bis 75, 86 bis 90A und 100 bis 107.
Ostertorsteinweg 50 bis 1: Von der Contrescarpe zur Straße Am Dobben
Nach dem Restaurant „Platzhirsch“ (Nummer 50) und dem Café Engel (Nummer 31/33) überqueren wir den Hohenpfad, kommen zum Penny Markt (Nummer 28/29) und sind auf dem Ulrichsplatz, überqueren die Wulwesstraße und erreichen Caesar – Alles für den Haushalt – (Nummer 13). Danach überschreiten wir die Blumenstraße, lassen Kauert Raumausstattung (Nummer 10) hinter uns, überqueren die Bauernstraße, kommen zu Holtorfs Havenhaus (Nummer 6) und schließlich zum Geschäftshaus Beye und Fahl (Nummer 1-2) mit dem Titus-Skateshop und Coffee Corner. Wir sind jetzt an der Straße am Dobben angelangt. Insgesamt sind es um die 47 Geschäfte auf dieser Straßenseite. Unter Denkmalschutz stehen das Haus Ostertorsteinweg 1-2 sowie Nummer 6.
Am Ostertorsteinweg gibt es nur einen großen Platz, und zwar auf der linken Straßenseite, den Ulrichsplatz.
Der Ulrichsplatz – ein Platz mit vielfältiger Nutzung
Dieser Platz hat erst mit einem Senatsbeschluss vom 18. Dezember 2001 seinen Namen bekommen: Ulrichsplatz. Er hat sich ergeben, da der Hohepfad und die Wulwesstraße zu Sackgassen gemacht und dadurch verkehrsberuhigt wurden. Durch eine neue Pflasterung und ein paar Bäume fühlt man sich hier richtig wohl. Der Namensgeber dieses Platzes ist der Jurist Karl Heinrich Ulrichs (1825 bis 1895). Ulrichs gilt als einer der ersten bekannten Vorkämpfer für die rechtliche Gleichstellung von Homosexuellen. Auf dem Platz steht zudem das Denkmal „Ottilie“. Diese Bronzeplastik, aufgestellt 1987, gedenkt der Bremer Pädagogin Ottilie Hoffmann (1835 bis 1925). Sie kämpfte ab 1900 für ein Leben in Abstinenz und gründete alkoholfreie Speisehäuser.
von Peter Strotmann