Zur 473. Schaffermahlzeit: Der Zwang zum Frack – ein neuer Blick auf altes Brauchtum
So richtig euphorisch scheint der Philosoph Martin Heidegger nicht gewesen zu sein, als ihn die Einladung zur Schaffermahlzeit von 1962 erreichte. Sein Freund und Bewunderer Heinrich Wiegand Petzet berichtet, er habe Zweifel und Bedenken Heideggers erst beschwichtigen müssen, bevor der sein Kommen zusagte. Nur in einer Sache ließ die Geistesgröße aus Freiburg keinerlei Kompromissbereitschaft erkennen: Er lehnte den vorgeschriebenen Frack strikt ab. Natürlich sehr zum Kummer des ersten Schaffers Eddo Blaum, Direktor der Atlas-Werke, der ihn als Repräsentanten des geistigen Lebens unbedingt dabei haben wollte.
Erst viel gutes Zureden scheint geholfen zu haben, letztlich gab Heidegger doch klein bei. Ganz im Gegensatz zu Bürgermeister Wilhelm Kaisen, der sich bis zuletzt beharrlich weigerte, den feinen Zwirn anzulegen.
Doch was wie ein eklatanter Regelverstoß wirkt, war in Wahrheit überhaupt keiner. Vielmehr hat es den Anschein, als ob vielmehr die Stiftung Haus Seefahrt als Veranstalter die Etikette sträflich missachtet. Steht doch im Knigge unmissverständlich geschrieben, ein Frack werde „grundsätzlich nur am Abend, nach 18:00 Uhr, zu sehr festlichen Anlässen getragen“. Als „sehr festlichen Anlass“ kann man die Schaffermahlzeit ohne weiteres durchgehen lassen. Nur beginnt das Brudermahl schon um 14.25 Uhr und nicht erst nach 18 Uhr.
Schwarze Fliege nur fürs Personal
Und das ist noch nicht einmal alles. Hält man sich an den Knigge, haben Weste und Fliege weiß zu sein, einzig als Berufskleidung seien eine schwarze Weste und eine schwarze Fliege zulässig, etwa bei Kellnern oder Saaldienern. Der Vorteil: „Irrtümer, ob jemand Gast oder Kellner ist, sind also ausgeschlossen.“ Anders indessen bei der Schaffermahlzeit, bei der altgediente Stiftungsmitglieder eine schwarze Fliege anlegen. Streng genommen besteht damit Verwechslungsgefahr, unbedarfte Gäste könnten die ehrwürdigen Herren für Personal halten.
Man möchte meinen, der Frackzwang bei der Schaffermahlzeit habe schon immer bestanden. Oder zumindest sehr lange. Eine alte Tradition eben, an der nicht zu rütteln ist. Doch die Blaum-Papiere sprechen eine andere Sprache. Von wegen uralter Brauch, von dem es kein Entrinnen gibt. Dem man sich einfach zu fügen hat, weil sich schon die Ahnen in den Frack zwangen.
Alles Unfug, wie jetzt der Nachlass des damaligen ersten Schaffers enthüllt. Denn dem Protokoll der vorbereitenden Sitzung vom 14. November 1961 ist unzweifelhaft zu entnehmen, dass erst beim Brudermahl von 1962 der Frack obligatorisch wurde. Entschieden sich die Sitzungsteilnehmer doch erst damals, auf den Einladungskarten eine wegweisende Änderung vorzunehmen: Statt „möglichst Frack“ sollte es künftig nur noch „Frack“ heißen.
Bei Kaisen machte man eine Ausnahme. Später war man dazu anscheinend nicht mehr geneigt. Weshalb der nordrhein-westfälische Arbeitsminister Friedhelm Farthmann es im Februar 1979 vorzog, zu Hause zu bleiben. Daran konnte auch die Intervention seines SPD-Parteifreundes, des Bremer Senators Horst Werner Franke, nichts ändern. Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel zitierte den Unbeugsamen so: „Der Smoking ist das höchste der Gefühle, in einen Frack kriegt mich keiner rein.“
von Frank Hethey