Von den Stadtmusikanten in Richtung Landesbank: früher der Standort einer öffentlichen Toilette im Neuen Rathaus. Foto: Frank Hethey

Von den Stadtmusikanten in Richtung Landesbank: früher der Standort einer öffentlichen Toilette im Neuen Rathaus.
Foto: Frank Hethey

„Kopf hoch!“ – die neue Serie: das Rätsel der drei Büsten am Neuen Rathaus

Der eine oder andere Bremer wird sich nach dem Passieren der Stadtmusikanten in Richtung Bremer Landesbank schon mal gefragt haben, was denn wohl die drei Büsten am Neuen Rathaus über den Fenstern des Ratskeller-Wein-Kontors bedeuten bzw. wen sie eigentlich darstellen.

Das fragte sich natürlich auch der Autor dieser Miszelle, als er vor drei Jahren das Buch über das Neue Rathaus schrieb. Er glaubte damals zunächst, die drei Herrschaften, von denen zwei gar gekrönt sind, hätten mit dem Ratskellerwein zu tun. Denn den kann man ja hinter den Fenstern unterhalb der gekrönten Häupter bekanntlich kaufen.

Doch dem war nicht so.

Er spekulierte daher damals: „Es bleibt das Geheimnis Gabriel von Seidls, welchen Kaiser oder König er mit seiner Büste meint? Einen bestimmten Kaiser oder den Kaiser nebst Familie an sich. Allerdings beherbergen die Räume hinter Kaiser und Kaiserin ursprünglich nicht das Kontor des Ratskellers.

An dieser Stelle befanden sich vielmehr die Räume, in denen sich die Bürger gewisser körperlicher Sorgen entledigen konnten und der Fernsprechraum, anders ausgedrückt: Hier war der Fernsprecher und das Örtchen, „wo auch der Kaiser zu Fuß hingeht.“ Die Majestäten deuten also auf sehr demokratische Orte hin, denn nicht nur vor Gericht, sondern auch am Fernsprecher wie auf dem WC sind alle Menschen gleich. Deshalb könnte die dritte Büste auch die eines simplen Bürgers sein. Denn sie trägt weder Diadem noch Krone.“

Die drei Büsten der römischen Kaiserfamilie: ein Scherz des Architekten Gabriel von Seidl? Foto: Frank Hethey

Die drei Büsten der römischen Kaiserfamilie: ein Scherz des Architekten Gabriel von Seidl?
Foto: Frank Hethey

Zündende Idee nach der Drucklegung

Motzte gegen seinen alten Herrn: der Kaisersohn Titus. Foto: Frank Hethey

Motzte gegen seinen alten Herrn: der Kaisersohn Titus.
Foto: Frank Hethey

Zugegeben, das war nicht sehr befriedigend. Das fand der Autor selbst. Deshalb dachte er nach Drucklegung des Buches weiter über die drei Köpfe nach und irgendwann kam ihm die zündende Idee, die er für weit stichhaltiger hält.

Er fragte sich nämlich: Könnte es sich nicht um die Familie des Kaisers Vespasian handeln?

Der wird ja bekanntlich mit dem Zitat „pecunia non olet“, auf Deutsch: „Geld stinkt nicht“, in Verbindung gebracht.

Das gekrönte Haupt wäre somit der römische Kaiser Vespasian (69 bis 79 n. Chr.) bzw. der Imperator Caesar Vespasianus Augustus mit Geburtsnamen, Titus Flavius Vespasianus, die Dame seine Frau, die Kaiserin Flavia Domitilla, und der junge Mann des Kaisers Sohn Titus.

Als der Kaiser in den öffentlichen Latrinen Roms eine Steuer einführt, mokiert sich sein ältester Sohn Titus darüber. Darauf hält ihm der kaiserliche Vater eine Münze aus Steuereinnahmen unter die Nase und fragt ihn, ob ihn der Geruch störe. Als Titus verneint, entgegnet der Vater atqui e lotio est – „und doch ist es Urin“. Aus dieser Begebenheit entwickelt sich die allseits bekannte und gern gebrauchte Redewendung: pecunia non olet, Geld stinkt nicht.

Davon war der römische Kaiser Vespasian nämlich zutiefst überzeugt, als er die Latrinensteuer einführte, und zwar um, Pardon, Scheiße zu Geld zu machen, wie es eine Redewendung nahe legt, also quasi mit Urin den Staatssäckel aufzufüllen.

Kam auch zu Ehren: die Kaisergattin Flavia. Foto: Frank Hethey

Kam auch zu Ehren: die Kaisergattin Flavia.
Foto: Frank Hethey

Eine gelungene Form von Recycling

Genau genommen eine clevere, ja äußerst moderne, geradezu nachhaltige Idee.

Das im alten Rom auch in Pipivasen, Pardon, Urinlatrinen auf belebten Straßen und Kreuzungen gesammelte Urin verschaffte nämlich nicht nur jenen Erleichterung, die dringend mal „mussten“, sondern sorgte auch noch für saubere Wäsche und gegerbtes Leder. Die vollen Vasen wurden nämlich von Urinsammlern in Wäschereien oder Gerbereien gebracht, wo man die übelriechende Flüssigkeit gut gebrauchen konnte. Das Ammoniak half, sowohl Flecken aus der Kleidung zu entfernen wie auch das Leder zu gerben.

Zugegeben, eine gelungene Form von Recycling. Und die römische Latrinensteuer ist im Grunde genommen eine stinknormale Rohstoffsteuer. Da der Besuch der Bremer Rathaus-Latrinen vermutlich gebührenpflichtig war, erlaubte sich, so vermutet der Autor dieser Zeilen, der Münchener Architekt Gabriel von Seidl den kleinen Scherz, den Bremern mittels der kaiserlichen Vespasian-Familie klar zu machen, dass eine Gebührenpflicht für derartige „Geschäfte“ schon seit der Zeit der Alten Römer üblich war. Kein Grund also, sich darüber in irgendeiner Weise zu echauffieren.

von Wilhelm Tacke

Reagierte angefressen auf die Kritik seines Sohnes: der römische Kaiser Vespasian, hier als Büste am Neuen Rathaus. Foto: Frank Hethey

Reagierte angefressen auf die Kritik seines Sohnes: der römische Kaiser Vespasian, hier als Büste am Neuen Rathaus.
Foto: Frank Hethey

Von Anbiet bis Zuckerklatsche

„Erst der Hafen, dann ist die Stadt“

Im Magazin „Erst der Hafen, dann ist die Stadt“ über Bremen und seine Häfen gehen wir in vielen historischen Bildern auf Zeitreise durch die maritime Vergangenheit unserer Hansestadt. Wie entwickelten sich die Häfen in Bremen vom Mittelalter bis heute? Wie sah die Arbeit zwischen Ladeluke, Kaje und Schuppen aus? Was hatte es mit den Anbiethallen auf sich? Und wie veränderte die Containerschifffahrt die Häfen? Wir blicken auf die Gründung der Freihäfen um 1900 und den Strukturwandel rund 100 Jahre später. Wir erzählen von Schmugglern und Zöllnern, von Bremens großen Werften sowie Abenteuern, Sex und Alkohol an der Küste – dem Rotlichtviertel am Hafen.

Jetzt bestellen