Vor 70 Jahren wurden die Überreste von Hillmanns Hotel gesprengt / 1847 eröffneter Prachtbau setzte neue Maßstäbe
Nur noch wenige Bremer werden den Prachtbau vor Augen haben, der fast 100 Jahre lang am Herdentor stand. Über Generationen galt „Hillmanns Hotel“ als Top-Adresse in Bremen. Nicht nur auswärtigen Gästen gefiel das Ambiente, auch das Bremer Publikum ließ sich gern im Café mit Blick auf die Wallanlagen nieder. Zuvor befand sich auf dem Gelände eine Reitbahn, in Zeiten des Freimarkts gaben Varietés ihre Gastspiele. Im Oktober 1944 zerstörten Bomben das Hotelgebäude. Vor ziemlich genau 70 Jahren, im September 1945, wurde die Ruine auf Anordnung der Militärregierung gesprengt.
Als ich als Knabe heranwuchs, hörte ich die Tagebaren, also die alteingesessenen Bremer, wie sie schwärmten: „Hillmanns Hotel, ja das war ein ein prächtiges und das beste Hotel Bremens. Die Lage am Herdentor, direkt am Wallgraben, war einmalig. Es ist sehr schade, dass es das nicht mehr gibt.“ In der Stadtbibliothek fand ich Bücher und sah, wie das Hotel einmal ausgesehen hatte. Als Nachkriegsgeborener kannte ich nämlich nur die Hillmann Passage mit dem Hillmann Café. Diese Bauten wurden später abgerissen und nach langer Planung und Bauverzögerung entstand ein Hotelkomplex, der jetzt als Swissôtel betrieben wird. In meinem Beitrag möchte ich nunmehr von der ganzen Geschichte dieses Grundstücks berichten.
Das Herdentor war eines von zuletzt fünf Stadttoren auf der Altstadtseite und entstand 1229 mit dem Bau der Stadtmauer. Es war das Tor, durch das die Viehherden aus der Stadt über den Herdentorsteinweg auf die Bürgerweide und wieder zurück getrieben wurden. Aber außerhalb des Herdentores lagen auch die Parzellen der Gemüsebauern. Anfang des 19. Jahrhunderts gab es hier mehr als 40 kleinere Häuser.
Mit der Schleifung der Stadtbefestigung von 1803 bis 1811 und der Umgestaltung der Wallanlagen zu einem englischen Park wurde der Torturm des Herdentores 1802/04 abgebrochen. Der Herdentorsteinweg bekam eine neue Aufgabe, als während der französischen Besatzungszeit (1806 bis 1814) ab 1812 der Herdentorsfriedhof angelegt wurde. Zu der Zeit und noch bis 1903 wurde Herdentor als Heerden Thor geschrieben. 1819 entstand vor dem Herdentor, stadtauswärts links an der Contrescarpe gesehen, eine Reitbahn. Und 1847 an gleicher Stelle Hillmanns Hotel. Ebenfalls 1847, mit der Eröffnung des Hannoverschen Bahnhofs, benannte man die Straße Schafskoben in Bahnhofsstraße um. Aus der Straße Hinterm kleinen Barkhof, die davor Wasserlöse hieß, wurde die Birkenstraße.
Eine Reitbahn vor dem Herdentor
1819 ließ sich Johann Christoph Hildenbrock (auch Hillenbrock), ein Pferdebereiter, vor dem Herdentor auf ehemaligen Gemüsebeeten eine Reitbahn bauen. Auf dem trapezförmigen Grundstück gab es ein festes Gebäude für Veranstaltungen, Stallungen und Auslauf für die Pferde. Jahr für Jahr waren hier Zirkusse und Varieté-Theater aller Art zu Gast. 1829 kam es zu einem einmaligen Gastspiel des Wiener Zirkus de Bach. Während des Freimarkts zeigte er seine viel gelobten Darbietungen. Für das Programm reiste er mit 60 Personen und 40 Pferden an. Als Höhepunkt galt der Sprung eines Pferdes über drei Pferde. Mit dem geplanten Bau von Hillmanns Hotel erfolgte 1845 der Abriss der Reitbahn.
Noch zwei Jahre sollten es damals sein, bis Bremen mit der Eisenbahn erreichbar sein würde. Da beschloss der als unternehmungslustig beschriebene Johann Hinrich Hillmann (1801 bis 1867) groß ins Hotelwesen einzusteigen. Er fand einen Bauplatz in schönster und bester Lage direkt vor dem Herdentor. Mit den drei Söhnen des verstorbenen Reitbahnbesitzers Hildenbrock wurde er sich schnell einig und ließ die Rennbahn abreißen. Johann Heinrich Hillmann wusste, was er wollte. Von seinem Vater Carsten Hillmann hatte er in der Neustadt das an der Westerstraße 5 gelegene Hotel „Die Traube“ übernommen und betrieb es auch. Er kannte also das Gasthofgeschäft. Jetzt wollte er das vornehmste Hotel Bremens bauen lassen.
Der Hotelbau als Erstlingswerk des Architekten Heinrich Müller
Mit dem Bau beauftragte Hillmann den Architekten Heinrich Müller (1819 bis 1890). Es war sein Erstlingswerk und er wurde damit in den folgenden Jahren zu einem der vielbeschäftigsten Architekten Bremens. Der trapezförmige Bauplatz maß 13 Meter am Herdentor, streckte sich an den Wallanlagen 50 Meter entlang und hatte eine hintere Breite von 39 Metern. Am Herdentor entstand der Haupteingang mit einer dreiachsigen Rundbogenarkade. Der Hauptbau war gleichmäßig gestaltet und mit einem kräftigen Dachgesims bekrönt. Zu den Wallanlagen hin erstreckte sich ein eingeschossiger Vorbau mit einer langen Kaffeeterrasse. Die Wallansicht schloss mit einen staatlichen Turm ab.
1847, mit der Eröffnung des Hannoverschen Bahnhofs, konnte das Hillmanns Hotel die Gäste in seinen 108 Zimmern aufnehmen. Im Hochparterre waren für bremische Verhältnisse bisher nicht gekannte luxuriös ausgestattete Gesellschaftsräume, Restaurants etc. entstanden. Auch die Bremer suchten „Hillmann“ auf, um mittags oder abends in gepflegtem Rahmen zu essen oder zu feiern. Insbesondere das Café mit Blick auf die Wallanlagen war sehr beliebt. Als Johann Hinrich Hillmann im Jahre 1867 66-jährig starb, übernahmen dessen Witwe und Sohn Carsten die Betriebsführung.
Seinerzeit galt Französisch als vornehm und gebildet. Man schrieb nicht Hotel, sondern setzte das kleine Dach, also dem Accent Circonflex, über das „O“ von Hôtel. Man sprach von „Logis“, „Déjeuner“ oder „Diner à la carte“. Gleich neben Hillmanns stand das „Hotel de l’Europe“, in der Bahnhofsstraße ein „Grand Hotel“ und ein „Hotel Bellevue“.
Der erste Bau wird verändert
Anfang der 1890er entsprach der eigentlich vornehme, schlichte Bau nicht mehr der „Mode“ der Zeit. Somit wurde die Fassade komplett im neoklassizistischen Stil des ausgehenden 19. Jahrhunderts umgestaltet. Zu allen Zeiten baute man das Hotel im Inneren laufend um. Im Souterrain gab es eine Anzahl Torftoiletten. Diese wurden 1903 durch WC’s ersetzt und an das Kanalsystem angeschlossen. In den Zimmern selbst waren keine Toiletten. 1923 hatte man in wenige Zimmer je Etage Badezimmer eingebaut, also Badewanne, Waschbecken und WC. Für den Großteil der Zimmer gab es nur Gemeinschaftsbadezimmer. Erst zu diesem Zeitpunkt bekamen die Zimmer auch Waschbecken.
1908 wurde das Hotel für zehn Jahre an eine Berliner Betriebsgesellschaft verpachtet. Der jährliche Pachtzins betrug 130.000 Mark. 1918 kaufte eine Bremer Betriebsgesellschaft das Hotel. Ende der 1920er wurde der Herdentorsteinweg verbreitert. Das gab den Anlass, den Eingangsbereich des Hotels mit dem säulenartigen Vorbau zu entfernen und durch einen schlichten Eingang zu ersetzen. Im August 1934 wurde die Gaststätte „Bürgerkeller“ eröffnet. Mit dem „Café zur Mühle“, im Oktober 1934 eröffnet, konnten die Gäste auch draußen am Haus ebenerdig bewirtet werden. Durch fortlaufende Umbauten und Erweiterungen hatte das Hotel zuletzt 300 Zimmer. Beim verheerenden Bombenangriff vom 6. Oktober 1944 wurde Hillmanns Hotel zerstört und die Ruine auf Anordnung der amerikanischen Militär-Regierung am 10. September 1945 gesprengt.
Fragt man einen Immobilienmakler, was denn wohl das Wichtigste an einem Grundstück sei, dann wird er antworten: 1. die Lage, 2. die Lage, 3. die Lage. So war war auch bei dem Grundstück vor dem Herdentor, und zwar dort, wo bald ein Jahrhundert Hillmanns Hotel gestanden hatte. Nach Kriegsende lag dort ein großer Haufen Schutt.
Der Standort sollte seine Wirtschaftlichkeit unter Beweis stellen
Die Hillmann’sche Hotelbetriebsgesellschaft wollte das Areal nicht bis zum Bau eines neuen Hotels brach liegen lassen. Schon ab 1946 plante man als Zwischenlösung eine Ladenpassage und ein Café. Um die Wirtschaftlichkeit des Standorts zu beweisen, errichtete man 1948 auf dem Gelände provisorisch einen kleinen Keramik- und Geschenkartikelladen ein. Da alle Erwartungen übertroffen wurden, stand dem Bau einer ganzen Ladenstraße nichts mehr im Wege.
Aber erst einmal mussten Trümmer beseitigt werden: 10.000 Kubikmeter Schutt und 200 Tonnen Stahl sollen es gewesen sein. Die Planung des Neubaus hatte man in die Hand des Architekten Friedrich Schröder gelegt, der auch schon an dem früheren „Hillmann Hotel“ diverse Umbauten durchgeführt hatte. Die Bauherren gaben einen äußerst ehrgeizigen Plan vor: Die Ladenpassage und das Café so schnell wie möglich in Betrieb zu nehmen. Dort sollten nämlich 22 alteingesessene Bremer Firmen unterkommen, deren Verkaufsräume ausgebombt oder zur Zeit ungünstig gelegen waren. Und das Café sollte an die schönen Zeiten in Hillmanns Hotel anknüpfen.
von Peter Strotmann