Vor 70 Jahren erhielt der frühere Werbeturm am Bahnhofsplatz einen neuen Namen
Von der einstigen Eleganz des früheren Opelturms (mehr dazu hier) war im Herbst 1952 nicht mehr viel zu sehen. Als Ausstellungsraum für Limousinen hatte das markante Gebäude am Bahnhofsplatz längst ausgedient. Stattdessen beherbergte es nun als „Haus Helgoland“ eines „der größten und modernsten Fischrestaurants“, wie der WESER-KURIER zu berichten wusste. Um ausreichend Platz zu schaffen, hatte Inhaber Karl Gerstorff das zweistöckige Haus kurzerhand um ein Geschoss aufstocken lassen. Mit dem Ergebnis, dass der turmartige Charakter des Bauwerks mit einem Schlag verloren ging, es wirkte jetzt gedrungen und unproportioniert. Eine echte Metamorphose für ein Bauwerk, das einst als moderner Werbeturm ein Zeichen gesetzt hatte.
Die Anfänge des Opelturms reichen zurück bis 1923. Damals schrieb die Stadt einen Wettbewerb für einen Ausstellungsbau am Bahnhof aus. Direkt neben dem damals noch stehenden Breitenwegbad, an der Ecke Bahnhofstraße/Breitenweg, sollte das Gebäude errichtet werden. Den Wettbewerb entschied der bekannte Reformarchitekt Heinz Stoffregen für sich. In Bremen hatte er sich mit Wohn- und Miethäusern einen Namen gemacht, von ihm stammt die weitläufige Wohnanlage an der Hamburger Straße. Als seine bekannteste Schöpfung gilt das Rathaus in Delmenhorst.
Stoffregen musste sich zu diesem Zeitpunkt gerade neu erfinden. So wie bisher konnte er nicht weitermachen, sein Vorkriegsstil war nicht mehr gefragt. Ab 1925 habe er zu einem neuen, eigenen Stil gefunden, schreibt der Architekturhistoriker Nils Aschenbeck. Wie Fritz Höger oder Fritz Schumacher verlegte er sich ausschließlich auf die Verwendung roten Backsteins. Der Neuen Sachlichkeit verlieh Stoffregen eine expressionistische Note. Dass er den Anschluss an die Moderne nicht mehr fand, steht auf einem anderen Blatt. „Die Architektur des Bremer Ausstellungsturms erscheint infolge der Klinkerbauweise eher traditionell als modern“, schreibt Aschenbeck in seiner Stoffregen-Biografie.
Für das architektonisch ziemlich konservative Bremen war das Bauwerk in so exponierter Lage dennoch ein Meilenstein. Auf eine 13 mal 13 Meter große quadratische Grundform mit zwei Stockwerken setzte Stoffregen einen Klinkerblock, die eigentliche Werbefläche. „In diesem Turm werden 160 Großplakate auf allen vier Seiten dem Vorübergehenden dauernd abwechselnd durch mechanisch-elektrische Auslösung von morgens bis in die Nacht gezeigt“, hieß es in einer Fachzeitschrift. „Es ist eine ganz neue, noch niemals angewendete Art der Reklame.“ Insgesamt kam der Turm auf eine Höhe von 23 Metern. Die Fassade des Erdgeschosses war mit Sandsteinplatten verkleidet, weiter oben folgten Klinkersteine.
Pünktlich zur Tagung des Deutschen Werkbundes in Bremen im Juni 1925 ging der Werbeturm in Betrieb. Fünf Jahre später mietete die Bremer Opel-Vertretung den Turm an. Nun war Schluss mit den wechselnden Werbebotschaften, es gab nur noch eine fest installierte Opel-Werbung. Aus dieser Zeit stammt die volkstümliche Bezeichnung „Opelturm“, bis zuletzt hat sie sich erhalten. Bereits im Zweiten Weltkrieg wurde der Turm zweckentfremdet – wegen des Bombenhagels fehlten intakte Räumlichkeiten. Drei Läden machten sich ab 1944 im früheren Ausstellungsbereich breit.
Insofern knüpfte Gerstorff an eine schon vorher eingeschlagene Linie an, als er kurz nach Kriegsende 1946 ein Fischrestaurant im nahezu unbeschädigten Opelturm eröffnete. Ein Anfänger war der damals 42-Jährige keineswegs, bereits 1934 hatte er an der Hutfilterstraße eine Fischbratküche betrieben. Später verlegte er sein Lokal als „Fischbäckerei Roland“ in die Faulenstraße. Mit 350 Plätzen bot es reichlich Platz. Dabei kopierte der gelernte Bankkaufmann sogenannte „Fried Fish Shops“, die er in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika kennengelernt hatte. Das Angebot: eisgekühlter Kartoffelsalat und kross gebackene Fische. Im Grunde eine frühe Form des Schnellrestaurants.
Weil sein Restaurant 1944 zerstört wurde, musste sich Gerstorff eine andere Bleibe suchen. Schnell etablierte sich das Lokal am neuen Standort, es war in jenen Jahren das einzige Fischrestaurant in Bremen. Ein feines Gespür für den Geist der Zeit bewies der Gastronom, als er bei der Erweiterung vor 70 Jahren den Namen Haus Helgoland wählte. Helgoland war damals ein beherrschendes Thema, die Vertreibung der Inselbevölkerung und die Sprengung der Bunkeranlagen durch britisches Militär sorgten auch in Bremen für Solidaritätsbekundungen (mehr dazu hier). Erst im März 1952 wurde Helgoland an die Bundesrepublik zurückgegeben.
Kaum ein Zufall also, dass Gerstorff auf den Namen der beliebten Hochseeinsel setzte. Im Innenbereich dominierten die Helgoländer Farben Grün-Rot-Weiß, während das Café im Obergeschoss wie das Inselplateau „Oberland“ hieß und das eigentliche Restaurant „Unterland“. Hinzu kam ab Februar 1953 eine Bar: die „Düne“ nach der Nebeninsel. Auch später hielt sich Gerstorff an Helgoland als Markenbegriff: 1954 eröffnete er den Helgoland Keller, bald darauf das Tanzlokal Helgoland Ahoi in der ersten Etage. Fetzige Töne bekam das Publikum dabei nicht zu hören. „Täglich Tanz ohne Jazz im gemütlichen Haus Helgoland“, hieß es in einer Werbeanzeige.
Nach dem Abriss des Breitenwegbads 1952 wirkte der Opelturm in seiner einsamen Ecklage merkwürdig deplatziert und verloren. In seinen späten Jahren war er kaum noch wieder zu erkennen. Auch der letzte Rest der Klinkerfassade im ersten Stock verschwand unter einer weißen Putzschicht. Nur der durch das zusätzliche Stockwerk stark verkürzte Turmaufbau verbreitete nach wie vor Werbebotschaften, zuletzt für zwei Bremer Vorzeigefirmen: den Autohersteller Borgward und die Brauerei Dressler. Seit 1956 zierte eine gewaltige Weltkugel mit Werbestreifen den Opelturm. Doch schon damals deutete sich das Ende des Turms an: Die Stadt wollte den Bahnhofsplatz neu gestalten, der Stoffregen-Bau behinderte die Pläne.
Zu Beginn der 1960er-Jahre räumte Gerstorff den Opelturm und verlegte seine Aktivitäten in die Altstadt. Dabei blieb er bei seinem Erfolgsrezept, einer Mischung aus Unterhaltungs- und Gastronomieangebot. An der Herdentorswallstraße eröffnete er 1958 das Tanzlokal „Ball Paradox“ und kurz darauf in einem benachbarten Neubau den „Ball der einsamen Herzen“, 1969 folgte die Tanzgaststätte „Bal paré“. Gerstorff starb 1975 im Alter von 71 Jahren. Zu diesem Zeitpunkt war der Opelturm schon Geschichte. Nach Gerstorffs Auszug stand das Gebäude entweder leer oder diente als provisorische Behördenunterkunft, im Herbst 1967 wurde es schließlich abgerissen.