Vor 65 Jahren: Am 6. Oktober 1950 wurde das neue „Astoria“ eröffnet / Altes Varietégebäude an der Katharinenstraße im Bombenkrieg zerstört

Der Verlust des alten „Astoria“ im Bombenkrieg war für Emil Fritz ein herber Schlag. Sein Lebenswerk – zerstört in einer einzigen Nacht. Doch der Varietébetreiber ließ sich nicht unterkriegen, genau sechs Jahre später öffnete das neue „Astoria“ seine Pforten: Der 6. Oktober 1950 sollte vergessen machen, was am 6. Oktober 1944 geschehen war. Damit begann die zweite Blütezeit des international renommierten Varietés an der Katharinenstraße.  

Schluss mit lustig: Am 6. Oktober 1944 wurde das alte „Astoria“ an der Katharinenstraße komplett zerstört. Im Hintergrund der ausgebrannte Turm der Liebfrauenkirche. Quelle: 50 Jahre Astoria Theater Bremen

Schluss mit lustig: Am 6. Oktober 1944 wurde das alte „Astoria“ an der Katharinenstraße komplett zerstört. Im Hintergrund der ausgebrannte Turm der Liebfrauenkirche.
Quelle: 50 Jahre Astoria Theater Bremen

Mit stolzgeschwellter Brust wedelte Varietédirektor Emil Fritz mit einem Schreiben des Bürgermeisters. Zwar konnte Wilhelm Kaisen an diesem 6. Oktober 1950 wegen Krankheit nicht persönlich zum Umtrunk ein paar Stunden vor der abendlichen Eröffnung erscheinen. Doch in einem langen Brief sprach er Fritz seine Glückwünsche zur Wiedereröffnung des „Astoria“ aus. Zu seiner eigenen Überraschung werde er im Ausland immer wieder auf das Varieté an der Katharinenstraße angesprochen, ließ Kaisen wissen. Für Fritz ganz sicher eine schöne Genugtuung. Musste er sich doch in seinen frühen Tagen als Varietébetreiber in Bremen allerlei anhören. Da war von Sittenlosigkeit die Rede und beträchtlichen Gefahren für die Jugend. Und nun das: der Ritterschlag durch das Stadtoberhaupt.

Dass das „Astoria“ ausgerechnet an einem 6. Oktober seine Pforten öffnete, war alles andere als ein Zufall. Vielmehr hatte Fritz den Termin der Wiedereröffnung mit Bedacht gewählt, es war ein symbolisches Datum. War doch der Vorgängerbau an gleicher Stelle genau sechs Jahre zuvor, am 6. Oktober 1944, durch einen Bombenangriff völlig zerstört worden.

Und das war noch nicht einmal alles gewesen, was Emil Fritz an diesem verhängnisvollen Tag hatte einstecken müssen: Denn in der gleichen Nacht wurde auch sein zweites Aushängeschild, das „Atlantic-Café“ an der Knochenhauerstraße, dem Erdboden gleichgemacht.

Wurde in der gleichen Nacht ein Raub der Flammen wie das „Astoria“: das zweite Standbein von Emil Fritz, das „Atlantic-Café“ an der Knochenhauerstraße. Hinten zu erkennen: der markante Turm des Lloyd-Gebäudes. Quelle: 50 Jahre Astoria Theater Bremen

Wurde in der gleichen Nacht ein Raub der Flammen wie das „Astoria“: das zweite Standbein von Emil Fritz, das „Atlantic-Café“ an der Knochenhauerstraße. Hinten zu erkennen: der markante Turm des Lloyd-Gebäudes.
Quelle: 50 Jahre Astoria Theater Bremen

Also ein Doppelschlag, der Fritz zweifellos schwer zu schaffen machte. Sein ganzes Lebenswerk – zerstört in einer einzigen Bombennacht. Wahrlich eine schwere Prüfung für die badische Frohnatur, für den stets optimistischen und jovialen Machertyp.

Der schwer Gebeutelte zog sich in sein Jagdhaus nach Sottrum zurück. Dort habe der „passionierte Waidmann Ruhe und Trost“ gefunden, heißt es in der Jubiläumsschrift zum 50-jährigen Bestehen. Der Verlust beider Häuser am gleichen Tag war der Schlusspunkt einer Reihe schwerer Schicksalsschläge. Erst musste Emil Fritz den Tod seiner beiden ersten Frauen verkraften, dann starb sein halbwüchsiger Sohn bei einem Autounfall. Ein heranbrausendes Fahrzeug erfasste ihn, als er auf dem Heimweg von der Schule die Straße überqueren wollte.

Doch Trübsal zu blasen kam für Emil Fritz nicht in Frage. Auch sein fortgeschrittenes Alter hinderte ihn nicht, den Blick nach vorn zu richten. Trotzig fasste er den Entschluss, das „Astoria“ an alter Stelle neu aufzubauen. Und zwar nicht nur als bloße Wiederherstellung des alten Bauwerks. Nein, der Neubau sollte nach eigenem Bekunden „noch schöner als früher“ sein.

Alles auf eine Karte gesetzt

Dabei setzte der Varietébetreiber alles auf eine einzige Karte: Nur das „Astoria“ sollte wiedererstehen, nicht das „Atlantic“. Sein Enkel Michael Fritz kennt den tieferen Grund. „Mein Großvater hatte Angst, dass die Knochenhauerstraße früher oder später verbreitert werden würde.“ Eine nur allzu berechtigte Befürchtung, wie sich alsbald zeigen sollte – im Zuge des Wiederaufbaus trat genau dieses Szenario ein. Womöglich gehörte es ohnehin zum Masterplan, auf das eine zu verzichten, um das andere zu ermöglichen. „Ich denke, dass er das ‚Atlantic‘ verkauft hat, um den Wiederaufbau des ‚Astoria‘ zu finanzieren“, sagt Michael Fritz.

Als noch alles gut war: das alte „Astoria“. Quelle: 50 Jahre Astoria Theater Bremen

Als noch alles gut war: das alte „Astoria“.
Quelle: 50 Jahre Astoria Theater Bremen

Weil das alte Grundstück schuldenfrei war, gab es auch keine Probleme mit der Kreditwürdigkeit. Finanzspritzen guter Freunde dürften ein Übriges getan haben. Alte Verbindungen erwiesen sich ohnehin als hilfreich bei der reibungslosen Wiederaufnahme des Varietébetriebs. Nicht nur zu den Künstlern war der Kontakt nie ganz abgebrochen. Auch frühere Geschäftspartner ließen sich auf unkonventionelle Zahlungsmodalitäten ein. „Die Spirituosen erhielt er als Vorschuss“, so sein Enkel. Es sei dann alles pünktlich zurückerstattet worden. „Mein Großvater war ein Ehrenmann.“

Als Architekten engagierte Emil Fritz einen alten Bekannten: Joseph Ostwald, der schon 1908 das nun zerstörte „Astoria“ gestaltet und auch den Umbau von 1928 geleitet hatte. Die Bauleitung vor Ort übernahm Leopold Ellerbeck, der sich ein paar Jahre später als Architekt weiterer Lichtspielhäuser profilierte. In Bremen war Ostwald schon lange ein gefragter Mann, wenn es um die Errichtung von Vergnügungsstätten ging. Zahlreiche Tanztheater und Kinos entstanden unter seiner Regie, so auch der Europa-Palast am Herdentorsteinweg oder die „Schauburg“ im Steintorviertel. Das neue „Astoria“ sollte sein letztes Werk sein. Zwei Monate nach der Eröffnung starb Ostwald 71-jährig im Dezember 1950. Angeblich aus Gram über seinen Misserfolg beim Wettbewerb um den Bau des Columbus-Hotels.

Ein Neubau im modernen Stil

Den Entwurf muss Ostwald in äußerster Eile angefertigt haben. Wie Monika Felsing in ihrem Buch „Unser Astoria“ schreibt, erhielt der Architekt den Auftrag erst im Januar 1950. Bereits am 4. April wurde aber schon der Grundstein gelegt und am 1. Juli das Richtfest gefeiert. Nach mehrfachen Umbauten war schon der Altbau kein typisch historistisches Gebäude gewesen.

Einladung an die alten Freunde: Mit dieser großfoprmatigen Anzeige lud Emil Fritz zur Neueröffnung des „Astoria“ ein. Quelle: Archiv des Weser-Kuriers

Einladung an die alten Freunde: Mit dieser großfoprmatigen Anzeige lud Emil Fritz zur Neueröffnung des „Astoria“ ein.
Quelle: Archiv des Weser-Kuriers

Da lag es auf der Hand, dass auch der Neubau nicht traditionalistisch daherkommen würde. In der Jubiläumsschrift heißt es, die  „Gesetze modernen Bauens“ hätten die Konzeption bestimmt. Tatsächlich nahm sich der Neubau durchaus unkonventionell aus, statt einer geschlossenen Straßenfront überragte der großzügig angelegte Eckbereich den Rest des Baukörpers, statt des sonst üblichen Schrägdaches hatte das neue „Astoria“ ein Flachdach, statt einer durchgängig verputzten oder verklinkerten Fassade gab es eine Mischform. Alles nicht revolutionär, aber ein moderner Stil.

Der Weser-Kurier bedachte die feierliche Wiedereröffnung mit der Bemerkung, der Eröffnungsglanz solle die „Erinnerung an den Oktobertag der Zerstörung“ überstrahlen und auslöschen. Emil Fritz selbst brachte noch einen weiteren Aspekt ins Spiel: nämlich den Oktober als Freimarktsmonat. Dazu muss man wissen, dass in Bremen traditionell nur zu Freimarktszeiten in der Innenstadt Varietéveranstaltungen gegeben wurden.Erst das „Astoria“ machte damit 1908 Schluss, erst jetzt hatte Bremen ein ständiges Varieté.

Und das erlangte schon bald internationale Bekanntheit. In der Welt der Artisten und Unterhaltungskünstler genoss das Etablissement einen ausgezeichneten Ruf, zahlreiche Prominente gaben sich auf der Bühne oder im Zuschauerraum des  „Astoria“ die Klinke in die Hand, darunter Leinwandlegenden wie Hans Albers und Hildegard Knef, die Sängerinnen Zarah Leander und Marika Rökk, der Boxer Max Schmeling und viele andere.

Zahlreiche Bars und Gesellschaftsräume auch im neuen „Astoria“

Zu viel versprochen hatte Emil Fritz nicht, das neue „Astoria“ knüpfte nahtlos an den Vorgängerbau an, allein der große Saal bot Platz für 750 Gäste. Wie früher gab es auch im Neubau zahlreiche Bars und Gesellschaftsräume. Schon das alte Gebäude hatte laut Astoria-Experte Rolf Wolle aus einem „Labyrinth von Räumen und Sälen“ bestanden: Neben dem großen Theatersaal gab es noch den Spiegelsaal und den Goldsaal, den Arizona-Keller, das Jagdzimmer, den Klosterkeller und den Gesellschaftssaal.

Setzte alles auf eine einzige Karte: Varietébetreiber Emil Fritz. Quelle: 50 Jahre Astoria Theater Bremen

Setzte alles auf eine einzige Karte: Varietébetreiber Emil Fritz.
Quelle: 50 Jahre Astoria Theater Bremen

Zumindest teilweise wurden die gewohnten Bezeichnungen auch im Neubau berücksichtigt. Abermals gab es einen Klosterkeller als Speise-Restaurant, abermals kam der US-Bundesstaat Arizona als Namensgeber ins Spiel, diesmal freilich als Bezeichnung eines Nachtkabaretts mit Tanzfläche samt einer Texas-Bar für Globetrotter. Erstmals um die Gunst der Gäste buhlte die Orientbar.

Im Laufe der Zeit kamen noch weitere Anlaufstationen hinzu: die Teestube „Tschai-Gong“, die Hafenkneipe „Zum Goldenen Anker“ sowie die Nachtlokale „Zigeunerkeller“ und „Bodega“. Eine echte Besonderheit war der Raum „El Tukan“, so benannt nach dem gleichnamigen Vogel mit dem farbenprächtigen Schnabel. Ein lebendes Exemplar konnte dort hinter Glas bewundert werden. „Heute wäre das wahrscheinlich gar nicht mehr erlaubt“, meint Michael Fritz schmunzelnd. Die rustikale „Halali-Bar“ mit ihren Geweihen und Trophäen zollte der Jagdleidenschaft des Eigentümers Tribut. Erst nach dem Tod des Varietégründers nahm 1958 die „Pilsener Urquell Stube“ ihren Betrieb auf. Alle Gastronomieeinrichtungen firmierten gemeinsam als „Emil Fritz-Betriebe“.

Die Neueröffnung des „Astoria“ bereitete Emil Fritz generalstabsmäßig vor, schon zwei Tage vor dem großen Ereignis sprach er per Zeitungsinserat eine öffentliche Einladung aus, am Eröffnungstag selbst folgten ganzseitige Anzeigen im Weser-Kurier. Die Überschrift „Phönix aus der Asche“ traf den Nagel auf den Kopf – nicht nur im übertragenen, sondern auch im wörtlichen Sinne war das „Astoria“ aus der Asche wiederauferstanden. Der Varietébetreiber war außer sich vor Freude, schon beim Richtfest hatte er am liebsten eine Salto mortale schlagen wollen. Bei der Eröffnung ließ der 73-Jährige dann wissen: „Was hier geschaffen ist, übertrifft das alte Astoria bei weitem.“

Der Varietébesuch sollte für jedermann erschwinglich sein

Doch den gebürtigen Badener trieben noch andere Motive an als nur der Wunsch, ein erfolgreiches Varieté zu betreiben.

Als endlich wieder das Geld in der Kasse klingelte: „Astoria“-Rechnung, vermutlich vom Oktober 1958. Quelle: Privat

Als endlich wieder das Geld in der Kasse klingelte: „Astoria“-Rechnung, vermutlich vom Oktober 1958.
Quelle: Privat

Im Manuskript seiner Eröffnungsrede ist nachzulesen, er habe der Stadt Bremen keine Ruine hinterlassen wollen, sondern ein weltstädtisches Unternehmen als „Zierde in seinen Mauern“. Und zwar ein Unternehmen mit erschwinglichen Preisen für jedermann. Ein sehr sozialer Gedanke – der Varietébesuch sollte allen Bevölkerungsschichten möglich sein. Wilhelm Kaisen fand allerdings auch nach überstandener Krankheit niemals den Weg ins „Astoria“. Die Welt des Varietés war wohl seine Sache nicht.

Nach dem Tod des Varietégründers am 25. Juli 1954 traten seine dritte Frau Elisabeth und der erst 22-jährige Sohn Wolfgang Fritz aus zweiter Ehe die Nachfolge an. Ab 1959 ging Fritz eigene Wege. Im Laufe seines Lebens leitete der ehemals jüngste Varietédirektor Deutschlands etliche Gastronomiebetriebe, darunter das „Atlantic City“ im Europahaus und das Gourmet-Restaurant „Schnoor 2“. Derweil führte seine Stiefmutter den Betrieb bis zur Silvesternacht 1967/68 weiter, als das „Astoria“ wegen rückläufiger Besucherzahlen seinen Betrieb einstellte.

Das Gebäude verkaufte Elisabeth Fritz an die Brauerei Beck’s. Zumindest die gastronomische Nutzung fand damit eine Fortsetzung: Fortan fungierte das frühere Varietégebäude als „Alt-Bremer Brauhaus“. Im Untergeschoss fanden „Remmers Bierstuben“ als „Remmerkeller“ eine neue Heimat – ein nicht ganz freiwilliger Umzug, weil das Lloyd-Gebäude als alte Unterkunft 1968 an den Kaufhauskonzern Horten verkauft und 1969 abgerissen wurde. Ein Schicksal, das 1994 auch das frühere „Astoria“-Gebäude ereilte, als die Bremer Landesbank als neue Eigentümerin am traditionellen Varietéstandort ein modernes Gebäude errichten ließ.

von Frank Hethey

Wie ein Phönix aus der Asche: das neue „Astoria“ in den 1950er Jahren. Am Standort des zerstörten Vorgängerbaus ließ Varietébetreiber Emil Fritz den Neubau errichten. Quelle: 50 Jahre Astoria Theater Bremen

Wie ein Phönix aus der Asche: das neue „Astoria“ in den 1950er Jahren. Am Standort des zerstörten Vorgängerbaus ließ Varietébetreiber Emil Fritz den Neubau errichten.
Quelle: 50 Jahre Astoria Theater Bremen

Jung, aber mit viel Geschichte

50 Jahre
Universität Bremen

50 Jahre sind seit der Gründung der Universität Bremen vergangen. Auf dem Weg von der vermeintlichen roten Kaderschmiede zur Exzellenzuniversität ist viel passiert: Wir haben den ersten sowie den aktuellen Rektor interviewt und mit Absolventen gesprochen – zu denen auch Bürgermeister Andreas Bovenschulte gehört. Zudem hat uns ein Architekt über den Campus begleitet. Das Magazin der Reihe WK | Geschichte gibt es ab 18. September in den ­Kundenzentren des WESER-­KURIER, im Buch- und Zeitschriftenhandel, online unter www.weser-kurier.de/shop und unter 0421 / 36 71 66 16.

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