Vor 50 Jahren
Jahrzehntelang haben sie nur still Protest gehüstelt. Leicht tränenden Auges fügten sie sich ins Unvermeidliche: in Qualm, Gestank und umnebelter Atmosphäre. Aber die Zeit der stillen Resignation geht für die Nichtraucher zu Ende. Ermutigt durch die zunehmenden Proteste vieler Ärzte, fordert diese bisher rechtlose Gruppe ihr Recht. (WESER-KURIER, 19. März 1972)
Hintergrund
Nicht gerade ermutigend fiel im März 1972 eine Nachfrage des WESER-KURIER bei Behörden, Betrieben und Kammern aus. Eigene Räume für Nichtraucher gab es fast nirgends, sie erwiesen sich als „ganz große Ausnahme“. Bei den Verantwortlichen war auch keinerlei Bereitschaft zu erkennen, daran etwas zu ändern – in den Büros würde also weiterhin dicke Luft herrschen. Bei Streit zwischen Rauchern und Nichtrauchern helfe nur gegenseitige Rücksichtnahme, konstatierte der WESER-KURIER.
Die Zigarette war damals noch in aller Munde. Ob bei Politikerrunden, in Talkshows oder Gaststätten – der Glimmstängel gehörte einfach dazu. Dabei waren die Gesundheitsrisiken des Rauchens den Menschen keineswegs verborgen geblieben. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts hatten erste Mediziner davor gewarnt, noch vor dem Ersten Weltkrieg formierte sich in Deutschland im Fahrwasser der Lebensreformer eine Anti-Tabak-Bewegung. Freilich unter völkischen Vorzeichen – das Rauchen galt als Versündigung am deutschen Volkskörper.
Die „Rache des roten Mannes“
Das fand auch Adolf Hitler. Der bekennende Vegetarier und Nichtraucher geißelte den Tabak als „Rache des roten Mannes“. Ein rassenhygienisches Institut sollte die Gefahren des Tabakrauchens erforschen. Gegen das Rauchen in öffentlichen Gebäuden und am Arbeitsplatz zog der NS-Staat mit einer massiven Kampagne zu Felde, erstmals wurden Rauchverbote in Straßenbahnen, Bussen und S-Bahn erlassen. Wirklich geholfen hat das alles nicht, im Gegenteil: Der Zigarettenkonsum schnellte in die Höhe. Die Fertigzigarette spiegelte das Tempo der Moderne wider, die gemütliche Pfeife geriet ins Hintertreffen.
In den frühen Nachkriegsjahren avancierte die Zigarette zur Ersatzwährung für die wertlose Reichsmark. Kein Halten mehr gab es in den 1950er-Jahren, der Nikotinkonsum sprengte alle bisherigen Maßstäbe. Die Zigarettenindustrie entdeckte das weibliche Geschlecht als Zielgruppe. Anders als noch im Dritten Reich waren rauchende Frauen nicht mehr verpönt. Mit großflächigen Anzeigen umwarb die Bremer Tabakfabrik Brinkmann die Frauen als Konsumenten ihrer leichten Marke Lux.
Mitten in der Hochphase des blauen Dunstes gab es allerdings schon zu Beginn der 1960er-Jahre neuerliche Rauchverbote im öffentlichen Nahverkehr. Die Bremer Straßenbahn AG (BSAG) zierte sich eine Weile, schloss sich dem Trend aber im November 1961 an – seither gilt ein absolutes Rauchverbot in Straßenbahnen und Schnellbussen. Im WESER-KURIER schimpfte ein erzürnter Leser über den „rücksichtslosen Egoismus“ der Nichtraucher.
Für viel Aufmerksamkeit sorgte 1964 eine amerikanische Studie zum Zusammenhang von Rauchen und Lungenkrebs, das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ brachte das Thema auf den Titel. Auch die Gefahren des Passivrauchens rückten jetzt verstärkt in den Blickpunkt. Gleichwohl ließen gesetzliche Vorgaben auf sich warten, es blieb bei Selbstverpflichtungen der Tabakindustrie. Erst 1975 verbot der Bund die Tabakwerbung in Rundfunk und Fernsehen, 2003 folgte ein EU-Werbeverbot für Printmedien und Sportveranstaltungen.
Auf Bundesebene wurde der Nichtraucherschutz 2007 gesetzlich verankert, überall in Bus und Bahn galt nun ein Rauchverbot. Die Länder zogen nach, auch Bremen verabschiedete zum 1. Januar 2008 sein erstes Gesetz zum Schutz der Nichtraucher. Damit wurde die bisherige Situation umgekehrt. „Bisher musste man Nichtraucherbereiche suchen, wenn man Tabakrauch meiden wollte“, teilte die Gesundheitsbehörde mit. Jetzt müssten sich Raucher nach extra ausgewiesenen Bereichen umsehen. Prinzipiell gilt das Verbot auch für die Gastronomie, es gibt aber Ausnahmeregelungen.
Zwar ist der Nikotinkonsum bundesweit auf dem Rückzug, in Bremen raucht laut Landesgesundheitsbericht aber noch immer jeder vierte Mann und jede fünfte Frau. In keinem anderen Bundesland rauchen so viele Frauen wie in Bremen, seit 2013 ist die Tendenz sogar leicht gestiegen. Der rot-grün-rote Senat hat im Koalitionsvertrag von 2019 angekündigt, das Nichtraucherschutzgesetz zu verschärfen. Künftig soll das Rauchen auch an Haltestellen des ÖPNV verboten sein.