Polizeipräsident Johannes Schroers: vom 26. bis 30. April 1945 als Regierender Bürgermeister im Amt / Nach dem Zweiten Weltkrieg in der FDP aktiv
Seinen Aufstieg zum Polizeipräsidenten verdankte Johannes Schroers einem Missgeschick seines Vorgängers: Weil der versehentlich eine nahe Verwandte von Hitler-Stellvertreter Rudolf Hess verhaftete, musste er seinen Stuhl räumen. Im regionalen NS-Machtgefüge war der karrierebewusste Schroers eine feste Größe, ein ruppiger Mann, der sich zu behaupten wusste. In der Endphase des Krieges soll er sogar Umsturzpläne gewälzt haben. Vier Tage lang vertraute ihm die Siegermacht als Stadtoberhaupt. Dann stolperte er über seine SS-Vergangenheit.
Die Geschichte besaß alles, was zu einem handfesten Skandal gehört: Nachtclubs und leichte Damen, unfähige aber geltungssüchtige Politiker sowie ein Zugang zur hohen Politik. Aber der Reihe nach.
Erst seit wenigen Tagen hatte Bremen mit SS-Oberführer Carl Oberg einen neuen Polizeipräsidenten, als es unter seiner Führung Mitte April 1941 zu einer Razzia im „Café Atlantik“ kommen sollte. Das Haus an der Knochenhauerstraße war ein beliebter Treffpunkt für Damen aus dem Milieu und wurde daher in unregelmäßigen Abständen durch die Polizei kontrolliert, so auch im April 1941. In seiner überheblichen Art riss Oberg die Führung der Aktion an sich und sorgte dafür, dass zahlreiche im „Café Atlantik“ aufgegriffene Frauen im Polizeipräsidium einer ärztlichen Zwangsuntersuchung unterzogen wurden.
Was Oberg leider nicht ahnen konnte war, dass sich unter den Betroffenen auch eine nahe Verwandte von Rudolf Hess befand. Diese legte umgehend scharfen Protest ein und als Folge hatte Oberg am 15. April 1941 seinen Hut zu nehmen. Nutznießer dieses Skandals war Johannes Schroers, seit dem 3. Februar 1940 Bremens stellvertretender Polizeipräsident. Ein eigenwilliger und temperamentvoller Mann, dessen mitunter impulsives Handeln nicht immer auf Gegenliebe traf. Sein unbestritten hohes fachliches Können sowie seine organisatorischen Fähigkeiten ließen diese Eigenschaften aber zumeist entschuldigen.
Deutschlands jüngster Gewerbekommissar
Geboren am 7. Januar 1885 in Langenberg bei Mettmann, hatte Schroers nach Ende der Gymnasialzeit für sich beschlossen, die Polizeilaufbahn einzuschlagen. Seine ersten Schritte im Polizeidienst machte er ab 1910 als Deutschlands jüngster Gewerbekommissar in Krefeld. Nach Ende des Ersten Weltkriegs, welchen er als Reserveoffizier auf verschiedenen Kriegsschauplätzen erlebte, wechselte er 1921 nach Odenhausen. Zwischen 1922 und 1928 war er in Mülheim an der Ruhr und Oberhausen tätig.
Nachdem er am 1. April 1928 zum Major ernannt worden war, besuchte er die Polizeischule in Münster. Die nun folgenden Jahre waren gekennzeichnet von einem ständigen beruflichen Aufstieg. Am 6. Mai 1933 übernahm er das Kommando der Schutzpolizei in Hamm/Westfalen, etwas später in Essen bzw. Duisburg-Hamborn, am 1. April 1934 wurde er nach Potsdam versetzt und am 1. Januar 1935 ging er als Stabsleiter nach Berlin. Doch auch dort blieb er nicht lange, denn am 1. April 1937 wechselte er erneut, indem er das Kommando der Kölner Schutzpolizei übernahm.
Parallel zu seiner beruflichen Karriere engagierte sich Schroers immer wieder für verschiedene konservative Parteien. Zunächst von 1919 bis 1922 als Mitglied der Deutschen Volkspartei (DVP), später dann für die NSDAP. Inwiefern dahinter allerdings echte Überzeugung stand oder ob er die politischen Beziehungen zur Verbesserung seiner beruflichen Karriere nutzen wollte, wissen wir nicht. Sein Eintritt in die NSDAP, nur einen Tag nach deren überwältigenden Wahlerfolg vom 31. Juli 1932, legt diesen Verdacht zumindest nahe.
Ohrfeigen für SA-Männer
Hierzu passt es auch, dass seine Haltung gegenüber der NS-Ideologie nicht frei war von Widersprüchen. So soll er im September 1935 Ohrfeigen an SA-Männer verteilt haben, als sich diese an einer nicht genehmigten antijüdischen Demonstration beteiligten. Geschadet hat ihm diese Haltung jedoch nicht. Am 14. Dezember 1935 wurde er auf fünf Jahre zum ehrenamtlichen Mitglied des Volksgerichtshofes ernannt.
Ein Amt, das später nochmals verlängert werden sollte.
Am 1. Mai 1938 übernahm Schroers schließlich das Kommando der Schutzpolizei in Bremen. Damit gelangte er in jene Stadt, die für die kommenden Jahre sein Leben bestimmen sollte.
Es sollte nicht lange dauern, bis es ihm gelang, nicht zuletzt durch sein organisatorisches Geschick, das gepaart war mit einem selbstherrlichen und teilweise sehr ruppigen Auftreten, Kompetenzen an sich zu binden und Einfluss auf die bremische Polizei auszuüben. Dies viel ihm sicherlich umso leichter, als sein Vorgesetzter, Polizeipräsident Kurt Ludwig, der nahezu zeitgleich sein Amt angetreten hatte, unfähig war, dieses ordnungsgemäß auszufüllen.
Sollte es dann doch einmal zu kritischen Situationen kommen, konnte er auf die Unterstützung einflussreicher Förderer zählen, zu denen auch Bürgermeister Heinrich Böhmcker gehörte.
Kreisleiter Blanke als Intimfeind
Da schadete es auch nicht, dass er immer wieder mit Kreisleiter Blanke aneinandergeriet und sich zwischen den beiden, bis zu Blankes Versetzung im Juli 1943, allmählich eine Art Intimfeindschaft herausbildete, die gekennzeichnet war durch gegenseitige Schmähungen.
Große Anerkennung erwarb sich Schroers vor allem bei der Organisation des Bremer Luftschutzes. Unter seiner Leitung erfuhr insbesondere der Bunkerbau oberste Priorität, was dazu führte, dass für knapp 85 Prozent der Bremer ausreichender Schutzraum vorhanden war. Angesichts der zahlreichen Luftangriffe blieb die Zahl der Todesopfer darum vergleichsweise gering. Als Anerkennung für seine Leistungen erhielt er am 6. Januar 1942 das Kriegsverdienstkreuz 1. Klasse und dann am 18. Mai 1944 noch zusätzlich das Luftschutzehrenzeichen 1. Klasse.
Zuvor war er bereits am 3. Februar 1940 zum stellvertretenden Polizeipräsidenten ernannt worden. Nach Carl Obergs unrühmlichem Abschied übernahm er am 14. April 1941 zunächst kommissarisch das Amt des Polizeipräsidenten, ab dem 2. Juni 1943 bekleidete er es dann endgültig.
Nachdem sich eine Wende des Krieges immer sichtbarer abzeichnete, begann die NS-Führung, Planungen für mögliche Luftlandeunternehmungen des Gegners oder innere Unruhen zu entwerfen. Besonders die vielen Zwangs- und Fremdarbeiter, von denen es in Bremer etwa 30.000 gab, bereiteten den NS-Funktionären dabei Kopfzerbrechen, da man von ihnen am ehesten Aufstände erwartete. Ab Mai 1944 erhielt Schroers darum vom Höheren SS- und Polizeiführer Georg Graf von Bassewitz-Behr die Aufgabe, sich auch hierum zu kümmern und für einen solchen Fall Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen.
Schroers als Umstürzler: Fakt oder Fantasie?
Als die britischen Truppen sich unaufhaltsam auf Bremen zubewegten, wurde auch Schroers klar, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen war und eine Fortführung der Kämpfe nur noch unnützes Leid hervorrufen würde. In verschiedenen Runden der Bremer Führungsorgane setzte er sich daher für eine kampflose Übergabe der Stadt ein. Wohl schon seit längerer Zeit besaß er Kontakt zu bürgerlichen Oppositionsgruppen, zu denen der Präses der Gauwirtschaftskammer, Karl Bollmeyer, zählte, aber ebenso auch Jules Eberhard Noltenius sowie Dr. Karl Pohl.
Über diese Schlussphase des Krieges bildete sich ein nicht ganz durchschaubares Gemisch unterschiedlichster Aussagen, von denen rückblickend nicht immer ganz eindeutig ist, ob sie der Wirklichkeit oder doch eher dem Wunsch nach Rechtfertigung entsprachen.
So erwog Schroers angeblich, die Kreisleitung verhaften und den Kampfkommandanten, Generalleutnant Becker, erschießen zu lassen. Ebenso soll er Bremens stellvertretenden Bürgermeister, Richard Duckwitz, Polizeischutz zur Seite gestellt haben, als dieser am 22. April 1945 vom Bremer SD wegen seines Eintretens für ein Ende der Kämpfe bei den übergeordneten Hamburger Stellen angezeigt wurde.
Es fällt schwer, die Glaubwürdigkeit all dieser Berichte anzuerkennen. Über viele Jahre haben diese Personen das NS-System gestützt und für den eigenen Vorteil zu nutzen gewusst. Wie viel innere Überzeugung und wie viel Opportunismus spielten bei diesen Handlungen und insbesondere späteren Aussagen eine Rolle?
Die Entsendung des Wachtmeisters Dietrich Röper als Parlamentär zum englischen Stab in Tedinghausen durch Schroers fand aber zweifelsfrei statt. Allerdings schätzten die Briten wohl weitaus realistischer die tatsächlichen Machtverhältnisse in der Hansestadt ein. Denn die Macht lag in der Endphase beim Militär und nicht mehr bei zivilen Stellen, weshalb diesem Versuch auch kein Erfolg beschieden war.
Von der Ernennung zum Regierenden Bürgermeister selbst überrascht
In den Morgenstunden des 26. April 1945 rückten die britischen Besatzungssoldaten auf das Bremer Polizeihaus vor, nahmen den anwesenden Polizisten die Waffen ab und marschierten gemeinsam mit ihnen und Schroers zum Bahnhofsvorplatz, wo ein anwesender britischer Offizier sie über das Ende der Kampfhandlungen informierte.
Für ihn völlig überraschend wurde er am gleichen Tag von den britischen Besatzungsbehörden zum Regierenden Bürgermeister ernannt. Allerdings behielt er sein Amt nur für vier Tage, da zwischenzeitlich seine Zugehörigkeit zur SS bekannt geworden war.
Bis 1949 blieb er nun im Internierungslager Wildeshausen-Aumühle. Doch ging wider Erwarten das anschließende Verfahren vor dem Bielefelder Spruchgericht für ihn relativ glimpflich aus.
Obwohl man ihn für seine Zugehörigkeit zur SS und sein Wissen um die NS-Verbrechen zur Rechenschaft gezogen hatte, wurde er lediglich zu einer Geldstrafe in Höhe von 5000 DM verurteilt.
„Der Angeklagte sei nicht vom Geist der SS erfaßt gewesen, sondern habe sich innerlich im Gegensatz dazu befunden. Es könne auch nicht unbeachtet bleiben, daß Polizeipräsident Schroers sich in den letzten Kriegstagen geweigert habe, von ihm geforderte Sprengungen durchführen zu lassen“, so das Spruchgericht in seiner Urteilsbegründung.
Nach Bremen kehrte er 1951 zurück. Politisch engagierte er sich als Mitglied der FDP, hielt sich sonst aber aus dem öffentlichen Leben zurück. Am 18. Juni 1960 verstarb er im Alter von 75 Jahren. Seine letzte Ruhe fand er unter Anteilnahme eines Polizeimusikkorps auf dem Riensberger Friedhof.
von Sönke Ehmen