Ein Blick in die Geschichte (188): Beim Zweiten Deutschen Bundesschießen von 1865 waren Sonderdrucke in Umlauf
Einen famosen Ausblick hatten im Juli 1865 die Besucher des Zweiten Deutschen Bundesschießens auf der Bürgerweide. Von der Galerie der Fahnen- und Sängerhalle aus entfaltete sich die Silhouette der Gastgeberstadt Bremen mit seinen markanten Kirchtürmen: links zeigte sich der Dom, seit dem Einsturz des Südturms im 17. Jahrhundert nur noch mit dem Nordturm, daneben erhoben sich die Türme der Liebfrauen- und Martinikirche und schließlich rechts als damals höchster Kirchturm Bremens der Turm der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Ansgarii-Kirche.
Das Bundesschießen gehörte zum Reigen der Nationalfeste, die seit dem Schillerfest von 1859 wieder in Mode kamen. Ihre Wurzeln reichen zurück bis zum Wartburgfest von 1817 und dem Hambacher Fest von 1832. Das erste gesamtdeutsche Schützenfest war 1862 in der alten Krönungsstadt Frankfurt am Main abgehalten worden, in Bremen sollte nun das zweite folgen. Allen diesen Festen gemein war der Drang nach nationaler Identitätsstiftung. In einer Zeit, als die deutsche Einigung noch ein politischer Wunschtraum und keine Realität war, wollten die Veranstalter ihre Forderung nach einem deutschen Nationalstaat bekräftigen. Nach der gescheiterten Revolution von 1848 auch unter Verzicht auf zentrale freiheitliche Forderungen der bürgerlichen Emanzipationsbewegung.
Erhalten blieben indessen die Farben der Revolution, die schwarz-rot-goldene Trikolore, die auf dem kolorierten Holzstich deutlich zu erkennen ist. Munter flatterten die nationalen Farben auf den Festbauten beiderseits des großen Festplatzes. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde Schwarz-Rot-Gold in der Gunst der Deutschen vom kaiserlichen Schwarz-Weiß-Rot verdrängt, um dann als Nationalflagge der Weimarer Republik wie auch der Bundesrepublik und der DDR ein Comeback zu erleben.
Keine massiven Festbauten
Dass die Festbauten nicht etwa massiv, sondern aus Holz waren, ist ihnen kaum anzusehen – ein beeindruckendes Zeugnis heimischer Handwerkskunst. Die Entwürfe hatte der renommierte Architekt Heinrich Müller geliefert, nach dessen Plänen später unter anderem die Neue Börse am Marktplatz sowie etliche Bauten im Bürgerpark entstanden.
Um den zahlreichen Gästen aus ganz Deutschland ein würdiges Spektakel zu bieten, hatte sich zur Finanzierung ein Aktienverein gegründet. Der Senat hielt sich als Geldgeber zurück und beschränkte sich darauf, die Bürgerweide als Veranstaltungsgelände zur Verfügung zu stellen. Seit Menschengedenken hatten die Bremer ihr Vieh auf die Bürgerweide getrieben, doch schon seit dem 18. Jahrhundert wurde sie auch anderweitig genutzt, seit 1863 befand sich ein Schießplatz in Höhe der heutigen Polizeistation.
Nur acht Tage währte das Schützenfest, das zugleich als Leistungsschau zahlreiche Erzeugnisse aus Bremen präsentierte. Daneben konnten die geneigten Besucher auch Teile des noch längst nicht fertiggestellten Hermannsdenkmals in Augenschein nehmen. Ein patriotisches Fest als Rahmen für ein patriotisches Großprojekt, das passte vortrefflich zusammen.
Freilich verlief das Schützenfest nicht ohne Misstöne, so manch ein Gast schlug kräftig über die Stränge. Der Alkohol floss in Strömen, beim Festumzug säumten etliche Schnapsleichen die Straßen – eine Festivität zwischen Euphorie und Exzessen. Wegen der enormen Hitze war sogar ein Todesopfer zu beklagen. Nicht wenige Bremer beschwerten sich über die Ausschweifungen der Gäste, während zahlreiche Gäste sich von den Bremer Gastgebern ausgenommen fühlten. Neben Hoteliers und Gastwirten machten auch Verleger ordentlich Kasse. In erklecklichen Mengen wurden Darstellungen des Zweiten Bundesschießens produziert, die Drucke dürften manch eine gute Stube geziert haben.
Das Schützenfest war letztlich so etwas wie der Startschuss für die „Umwidmung“ der Bürgerweide: Ab Juli 1866 wurde auf dem weitläufigen Areal der Bürgerpark angelegt. Mit den Großveranstaltungen war es allerdings noch lange nicht vorbei. 1890 fand im Bürgerpark die Nordwestdeutsche Gewerbe- und Industrieausstellung statt, in den frühen Nachkriegsjahren die Ausstellung „Landwirtschaft und Wirtschaft“.
von Frank Hethey