Die Niederschlagung beginnt
Kalt ist es an dem Morgen, an dem das Freikorps und die Division Gerstenberg kurz nach Sonnenaufgang losmarschieren. Vormittags scheint zwar die Sonne, am Nachmittag aber schneit es. Die Angreifer stoßen von beiden Seiten der Weser auf Bremen vor.
Die Räteregierung harrt bis zwölf Uhr im Rathaus aus. Danach veröffentlicht sie ein Flugblatt, das zum Ende des Widerstands aufruft und in dem sie ihre Anhänger auffordern, ihre Waffen beim Rathaus abzugeben. Nur wenige befolgen die Order. Am Brill verbrennen Revolutionäre die Extraausgaben der Bremer Nachrichten, die den Beschluss abgedruckt haben.
Um zehn Uhr beginnen die Kämpfe. Casparis Einheiten stoßen bei leichtem Widerstand über Arsten durch Huckelriede in die Neustadt vor. Im Buntentorsteinweg rast ein Panzerwagen, auf dem ein um sich feuerndes Maschinengewehr montiert ist, die Straße entlang. Die Verteidiger erwidern das Feuer mit einem Geschütz, das hinter einer Bretterbarrikade aufgebaut ist. Eine vom Freikorps abgefeuerte Granate detoniert vor einem Kolonialwarengeschäft. Splitter treffen den Besitzer Hans Kieselhorst, der wie sein Sohn Dietrich an seinen Verwundungen stirbt. Um 13 Uhr erreicht das Freikorps die Weser.
Vor allem die Einnahme der Großen Weserbrücke fordert starke Verluste. Schon in der heutigen Langemarckstraße in der Neustadt stoßen die vorrückenden Kämpfer auf starken Widerstand: Arbeiter haben sich hinter Möbelwagen aufgereiht und schießen aus Vorgärten auf ihre Gegner. An der Weser verschanzen sie sich in Packhäusern auf dem Teerhof. Wiederholt rückt ein Panzerwagen gegen die Stellungen vor. Irgendwann springen die Angreifer aus dem Wagen und werfen mit Handgranaten um sich.
Doch alle Vorstöße scheitern, drei Freikorps-Kämpfer sterben, darunter ein Richter und ein Journalist. Die Zahl der Verwundeten ist so hoch, dass Feuerwehrwagen zu ihrem Abtransport beschlagnahmt werden. Auch Verbandsmaterial gibt es bald keines mehr. Daraufhin wird eine Feuerpause vereinbart, nach der die Verteidiger das Ende des Widerstands verkünden. Als Casparis Truppen über die Brücke marschieren, werden sie dennoch beschossen. Die Freikorpseinheiten erreichen erst zur Dämmerung die rechte Weserseite und nähern sich über die scherbenübersäte Wachtstraße dem Marktplatz.
Der Widerstand bricht zusammen
Die Division Gerstenberg stößt von Borgfeld in einem weiten Bogen zum Bremer Zentrum vor. Vor allem in Sebaldsbrück kommt es zu harten Gefechten, bei denen Arbeiter einen Panzerwagen ausschalten. Betty Franke, die in der Sebaldsbrücker Heerstraße wohnt, hält sich in ihrem Wohnzimmer auf, als eine Kugel sie tödlich ins Herz trifft. Um 15 Uhr brechen die Gerstenberger zum Osterdeich durch, fünf Verteidiger lassen ihr Leben. Ein auf der Altmannshöhe postiertes Geschütz nimmt die Angreifer unter Feuer. Um 17 Uhr besetzen die Truppen der Division Gerstenberg das Ostertorviertel und beschießen den Marktplatz mit Schrapnellen und Minen. Der nördliche Domturm wird getroffen, die Börse teilweise zerstört.
Ohne auf Gegenwehr zu stoßen, ziehen andere Truppen durch Schwachhausen zum Bahnhof. Um 18.30 Uhr läuten die Domglocken, um die Truppen und die provisorischen Regierungsmitglieder von der MSPD zu begrüßen. Eine ältere Frau reicht den Eroberern Essen. Die Kämpfe in der Neustadt aber dauern noch an. Die Zivilistin Anna Tasche stirbt, weil eine Kugel ein Fenster und eine Tür durchdringt, bevor sie die zweifache Mutter trifft. Rund um die Kaiserbrücke, der heutigen Bürgermeister-Smidt-Brücke, rattern die Maschinengewehre der Arbeiter bis in den Abend hinein.
Erst um 22 Uhr erlischt mit den abgefeuerten Leuchtkugeln endgültig der Widerstand. Mindestens 83 Menschen haben ihr Leben verloren oder sterben in den folgenden Tagen. 28 von ihnen gehören zu den Verteidigern, 26 zum Freikorps Caspari und der Division Gerstenberg, 29 sind Zivilisten, darunter fünf Frauen und drei Kinder. Mehr als 150 Menschen sind verwundet. Der letzte Tote ist der Räterepublikaner Heinrich Friedrich Bollmann: Seine beiden Bewacher, die in Diensten der Division Gerstenberg stehen, erschießen ihn beim angeblichen Fluchtversuch. Ihr Befehlshaber schickt Nachrichten nach Berlin und Weimar, in denen er die Eroberung der Bremer Altstadt verkündet. Oberst Gerstenberg löst die Räteregierung und den Soldatenrat auf; der Arbeiterrat bleibt bestehen, ist aber handlungsunfähig.
Einige Räterepublikaner ziehen weiter, sie wollen nach Bremerhaven oder Cuxhaven, um den Kampf um die Revolution fortzusetzen. Nach und nach legen sie aber ihre Waffen nieder und kehren nach Bremen zurück. In eine Stadt, an deren Rathaus eine schwarz-weiß-rote Fahne weht, wo kurz zuvor ihre rote Fahne hing. Es sind die Farben des alten Kaiserreichs.
Zur Person: Gustav Noske (1868-1946)
Gustav Noske gehört zum rechten Flügel der SPD. In den Wirren der Novemberrevolution vermittelt der gelernte Korbmacher zwischen Soldaten und Befehlshabern. Im Januar 1919 steigt er zum Volksbeauftragten des Heeres und der Marine auf und lässt in ganz Deutschland Aufstände von links – so auch in Bremen – niederschlagen, was ihm den Spitznamen „Bluthund“ einbringt. Später wird er erster Reichswehrminister der Weimarer Republik.
Gegen Ende der NS-Zeit kommt er in Haft, weil er in Widerstandspläne gegen die Regierung eingeweiht war. Er stirbt ein Jahr nach Kriegsende. Laut Noske war die Niederschlagung der Bremer Räterepublik die „Voraussetzung für die folgende Ausrichtung der Reichsgewalt in den übrigen Teilen Deutschlands“.
Hier lesen Sie den ersten Teil der Serie zur „Niederschlagung der Bremer Räterepublik“
Hier lesen Sie den zweiten Teil der Serie zur „Niederschlagung der Bremer Räterepublik“
von Helge Hommers