Vor 50 Jahren

Mit großer Mehrheit haben sich gestern abend die Delegierten des Unterbezirks Bremen der SPD in der Stadthalle gegen eine erneute Kandidatur des in der Baulandaffäre stark betroffenen früheren Fraktionsvorsitzenden Richard Boljahn für die Bürgerschaftswahl 1971 ausgesprochen. Von 336 Delegierten stimmten 194 für eine entsprechende Empfehlung des Ortsvereins Neustadt. 126 Delegierte stimmten dagegen, während sich 14 der Stimme enthielten. (WESER-KURIER, 5./6. September 1970)

Hintergrund

Sein Rückhalt in der Partei war schon länger gebröckelt, doch offenbar hatte der einstige SPD-Fraktionschef Richard Boljahn nicht im Ernst damit gerechnet, bei der Nominierung für die kommende Bürgerschaftswahl übergangen zu werden. Erzürnt drohte der damals 57-Jährige, mit bisher unbekannten „Tatsachen“ aus der Bauland-Affäre an die Öffentlichkeit zu gehen. Ein weiterer Meilenstein einer Entfremdung, die bereits am 29. Januar 1968 mit seinem Rücktritt vom Fraktionsvorsitz ihren Höhepunkt erreicht hatte.

Der Zweiklang von Partei- und Gewerkschaftsarbeit prägte seine politische Laufbahn nach Kriegsende. Bereits seit 1946 gehörte Boljahn der Bürgerschaft an, im April 1951 wurde er im Alter von 38 Jahren als Nachfolger des verstorbenen Carl Stockhinger zum SPD-Fraktionsvorsitzenden gewählt. Nur wenig später übernahm Boljahn auch den Posten des Bremer DGB-Vorsitzenden, zugleich saß er seit 1953 dem Aufsichtsrat der gewerkschaftseigenen Wohnungsbaugesellschaft Gewoba vor. In diesen Funktionen trieb er maßgeblich den sozialen Wohnungsbau voran, der Bau der Neuen Vahr ab 1957 ist ganz wesentlich Boljahns Verdienst. Seine Ämterfülle brachte ihm den Beinamen „König Richard“ ein.

Um einen Posten als Senator hat sich der Vollblutpolitiker nie gerissen. „Dat mach ich im Hintergrund zehnmal besser“, wird er im Nachruf des WESER-KURIER zitiert. Seine kantige Art gefiel indes nicht jedem. Den letzten Anstoß für seinen Rückzug von der Fraktionsspitze gaben widersprüchliche Aussagen als SPD- und Gewerkschaftsfunktionär. Als der WESER-KURIER 1969 auch noch seine Verstrickung in dubiose Grundstückskäufe im Hollerland publik machte, musste Boljahn auf Druck aus den eigenen Reihen seine Parteiämter ruhen lassen. Weil er sich weigerte, sein Bürgerschaftsmandat aufzugeben, wurde sogar ein Parteiordnungsverfahren gegen ihn eingeleitet.

Mit Ablauf der Wahlperiode schied der leidenschaftliche Pfeifenraucher im Herbst 1971 aus der Bürgerschaft aus, bereits im Februar hatte er den DGB-Kreisvorsitz aufgegeben. Im Oktober 1992 starb Boljahn kurz vor seinem 80. Geburtstag – hoch verschuldet, wie später herauskam, er hatte sich mit Grundstücksspekulationen übernommen. Posthum gab es noch mal einigen Wirbel, als im Januar 1994 in der Neuen Vahr ein Teil der Franz-Schütte-Allee in Richard-Boljahn-Allee umbenannt wurde. Nicht nur, weil Zweifel an seiner Eignung als Namenspatron laut wurden. Sondern auch, weil der vorgesehene Ehrengast – seine damals 46-jährige Witwe Hilde Boljahn – kurz zuvor als Mitglied einer Kokainbande verhaftet worden war.

Bekam zunehmend Gegenwind: Richard Boljahn (SPD).
Foto: Leonhard Kull

Von Anbiet bis Zuckerklatsche

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