Birgt manch ein Geheimnis: der Bremer Dom, hier im Jahr 1532.
Foto: Wikimedia

Der Wappenstein vom Herdentor: Nachbildungen des Originals von 1562 finden sich an Schulen und Privathäusern – und geben zu denken

Bei meinen Erkundungen in den Bremer Stadtteilen habe ich auch Nachbildungen des schon fast berühmten Wappensteins von 1562 entdeckt. Das Original war im
ehemaligen Herdentor angebracht. Und wird heute im Focke-Museum verwahrt.
Doch welche Bedeutung mag der in niederdeutsch verfasste Text wohl haben?

Der Wappenstein von 1562

Links neben dem Haupteingang der Oberschule am Barkhof (erbaut von 1903 bis 1906) ist ein Wappenstein eingemauert, der die folgende derbe niederdeutsche Inschrift trägt:

BREMEN WES GHEDECHTICH/ LATE NEICT MER IN/ DV BEIST ÖHRER
MECHTICH/ ANNO DOMINI 1562

Die Übertragung lautet:

„Bremen sei bedächtig, lass nicht mehr ein, du seiest ihrer mächtig.

Anno Domini 1562.“

oder

„Bremen, denk’ dran, lass nicht mehr (Leute) rein, als du verkraften kannst.

Im Jahre des Herrn 1562.“

Der Ausdruck „anno domino“ ist lateinisch und bedeutet im Jahres des Herrn, n.
Chr.- nach Christi.

Die gleichen oder ähnliche Wappensteine sind unter anderem auch der Schule Mainstraße,
der Schule an der Kleinen Helle und an Privathäusern, wie an der Richard-Wagner-Straße
11/13, angebracht (dort Anno 1950, das Jahr, an dem das Haus erbaut wurde).

Was war 1562 in Bremen los?

Der Wappenstein vom Bremer Herdentor zeigt außer der Inschrift noch zwei Löwen, die ein Schild mit dem Bremer Schlüssel halten. Das Herdentor wurde bereits von 1802 bis 1804 abgerissen. Der Wappenstein wurde verwahrt und ist heute im Bestand des Focke-Museums. Der Stein an der Oberschule am Barkhof und an anderen Orten wurde vom Original-Wappenstein nachgebildet.

Wappen der Familie von Büren am Eingang zur Egestorff-Stiftung in Osterholz-Tenever. In Bremen ist seit 1863 die Daniel-von-Büren-Straße nach von Büren benannt.
Quelle: Wikimedia

Der Text vom Herdentor ist der meist zitierte von allen Bremer Stadttoren. Oft wird er dahin gedeutet, dass die Bremer eine eher zurückhaltende Art gegenüber Fremden hätten.

Aber diesem derben niederdeutschen Reim liegt wohl eher ein innerstädtischer Religionsstreit zugrunde. Nach Luthers Thesenanschlag von 1517 in Wittenberg hatte sich Bremen voll zum Protestantismus bekannt. Nun aber stritten sich Lutheraner und Reformierte, und zwar vorwiegend darum, wie das Abendmahl zu gestalten und das Innere die Kirchen auszustatten sei.

1561 eskalierte der Streit. Domprediger Hardenberg von den Reformierten musste die Stadt verlassen, weil der Rat die lutherische Richtung bevorzugte. Aber viele einfache Bürger, einige Ratsmitglieder und einer der vier Bürgermeister, Daniel von Büren der Jüngere, unterstützen die reformierte Richtung. Daraufhin flohen 1562 ein Großteil der Ratsmitglieder, fünf Priester und sogar drei Bürgermeister, die alle der lutherischen Richtung angehörten, aus der Stadt.

Somit erklärt sich das Jahr 1562 auf dem Wappenstein, der auf Anregung von Bürens gesetzt wurde. Veranlasst durch diese Vorgänge, wurde Bremen von 1563 bis 1576 aus der Hanse ausgeschlossen (Verhansung).

Nach Vermittlung durch von Büren kehrten die Lutheraner 1568 nach Bremen zurück. Sie waren aber danach politisch und theologisch ohne Bedeutung. 1581 kam es zu einer Schlichtung und die Stadtgemeinden bekannten sich zum reformierten Bekenntnis. Das heißt, man konzentrierte sich auf die Auslegung der Bibel, Bilder und Schmuck wurden aus den Kirchen entfernt. Trotzdem arbeitete man mit den den Lutheranern weiter zusammen. Sie erhielten den ab 1561 geschlossenen Dom 1638 als lutherische Pfarrkirche. Bis zum Ende des 18. Jahrhundert blieb Bremen eine reformierte Stadt.

Der Wappenstein von 1562 im Focke-Museum.
Sandsteinrelief, angefertigt vom Bildhauer Szervas,
ehemals bemalt mit vergoldeter Inschrift.
Quelle: Wikimedia

Was hat die Bremische evangelische Kirche aus der Geschichte gelernt?

In der BEK – der Bremischen Evangelischen Kirche – haben sich heute die überwiegende Anzahl der Gemeinden zusammengeschlossen. Ihre Gemeinden sind weitgehend selbständig, denn sie genießen Glaubens-, Gewissens- und Lehrfreiheit. Denn evangelisch ist nicht gleich evangelisch. Es herrscht freie Gemeindewahl. Die BEK wird von keinem Bischof geleitet noch gibt es eine kirchliche Hierarchie. In einer Gemeinde obliegt die Leitung nicht nur Pastorinnen und Pastoren, sondern allen engagierten, evangelischen Christinnen und Christen.

Steckt hinter dem Spruch „Bremen sei bedächtig“ nicht noch eine Bremer Eigenart?

Dazu müssen wir weit in die Geschichte zurück gehen. Die ersten Siedler auf Bremer Boden waren Bauern. Dann kamen die Friesen, ein hartnäckiger und ausdauernder, aber auch verschlossener Volksstamm. Diese Mischung brachte laut Heinrich Maas in Bremen einen realistischen, nüchternen, praktisch denkenden, sparsamen, bedächtigen, auf alle Fälle vorsichtig operierenden, alles Neue bedächtig überprüfenden, eher wortkargen Menschenschlag hervor.

Bremen widersetzte sich lange Zeit dem Zuzug von Fremden, sei es der Bevölkerung aus dem Umland, als auch Glaubensflüchtlingen. Aber wenn die Bremer erst einen Entschluss gefasst haben, dann – so heißt es – wird rasch gehandelt und die Sache erstklassig ausgeführt. Mit erst „wägen“, dann „wagen“ sei der Bremer immer gut durchgekommen: „buten un binnen – wagen un winnen“ (Draußen und drinnen, wagen und gewinnen).

Warum wurden die Wappensteine an den Schulen angebracht?

Wie bereits zu Anfang erwähnt, handelt es sich bei den Wappensteinen an den Schulen um eine verkleinerte Nachbildung (circa 46 x 46 cm) des originalen Wappensteins. Es ließ sich bisher nicht herausfinden, wann und an welchen Schulen die Wappensteine gesetzt wurden. Böse Zungen mögen behaupten, dass die Lehrer die Steine gesetzt hätten, um damit auf ihren Wunsch nach kleinen Klassen hinzuweisen. Wer noch Wappensteine an anderen Schulen kennt, möge sich beim Autor oder Bremen History melden.

Ist „sei bedächtig“ auch heute noch angesagt?

Dazu folgen einige Beispiele, die aber eher nicht den ursprünglichen Sinn darstellen:

Sei bedächtig, wag’ nicht mehr, als du bist mächtig.

Sei bedächtig, lad nicht mehr (zum Trinken) ein, als du (mit deinem Portmonee) bist ihrer mächtig.

Sei bedächtig und gewitzt, eh’ du in der Tinte sitzt.

von Peter Strotmann

Bildquelle Dom: Jürgen Howaldt, cut Ulamm, Bremen Dom 1532 im Rathaus, CC BY-SA 3.0 DE

Bildquelle Wappenstein Focke-Museum: Till F. Teenck, Coat of arms of Bremen – 1567, CC BY 3.0

Bildquelle Familienwappen von Büren: Jürgen Howaldt, EgestorffStiftung-Gutshaus WappenBuren, CC BY-SA 3.0 DE

Nachbildung des Wappensteins vom Herdentor,
angebracht an der linken Seite des Haupteingangs der Oberschule am Barkhof,
darunter Gymnasium (griechisch: ein Ort der körperlichen und geistigen Ertüchtigung)
Foto: Peter Strotmann

Jung, aber mit viel Geschichte

50 Jahre
Universität Bremen

50 Jahre sind seit der Gründung der Universität Bremen vergangen. Auf dem Weg von der vermeintlichen roten Kaderschmiede zur Exzellenzuniversität ist viel passiert: Wir haben den ersten sowie den aktuellen Rektor interviewt und mit Absolventen gesprochen – zu denen auch Bürgermeister Andreas Bovenschulte gehört. Zudem hat uns ein Architekt über den Campus begleitet. Das Magazin der Reihe WK | Geschichte gibt es ab 18. September in den ­Kundenzentren des WESER-­KURIER, im Buch- und Zeitschriftenhandel, online unter www.weser-kurier.de/shop und unter 0421 / 36 71 66 16.

Jetzt bestellen