Neue Erkenntnisse zur Biografie des Bremer Malers und Schauspielers Karl Dannemann

Karl Dannemann hat einen festen Platz mitten in Bremens Herz. Wer eine Rathausführung mitmacht, begegnet gleich im ersten Raum den expressiven Farben seines Gemäldes „Das Hindenburgbankett“. Wer gar den Bacchus-Saal im Ratskeller für eine Gesellschaft mietet, darf seine Fresken an den Wänden bestaunen und ein paar Schritte weiter finden sich im Restaurant D’Oro in der Glocke noch mehr seiner Wandmalereien.

Wer war dieser blonde, groß gewachsene Mann, der etwas missmutig im großen Saal der Bremer Kunsthalle ganz oben links als Selbstbildnis hängt und auf uns schaut? Offensichtlich ein Multitalent, denn Anfang der 1930er wechselte Dannemann zur Bühne, dann sogleich zum Film und konnte sich als erfolgreicher Nebendarsteller etablieren, 1941 zudem einen Kurzfilm als Regisseur realisieren.

Als Maler hat Karl Dannemann (hier im Selbstporträt) etliche Spuren in Bremen hinterlassen. Seit 1932 gehörte er der NSDAP an. 
Foto: Karen Blindow/Kunsthalle Bremen

Eine Ausstellung hat in der Kunsthalle 2008 ein erstes Schlaglicht auf ihn geworfen, nur ein wichtiges Detail wurde da nicht erwähnt: Dannemann war Nationalsozialist, kein Mann der ersten Stunde, aber doch Mitglied der Partei schon ein Jahr vor der Machtübernahme Hitlers, er trat am 1. Januar 1932 ein, seine Nummer war 866.086.

Muss man seine Bilder nun mit anderen Augen betrachten? Einiges erscheint gewiss in einem anderen Licht. Es war bekannt, dass Dannemann am 4. Mai 1945 in Werder an der Havel Selbstmord begangen hatte, als die Sowjets kamen. Hatte er nur die Nerven verloren, wie Curt Riess schreibt, oder fürchtete er zurecht Repressalien wegen seiner niedrigen Mitgliedsnummer? Es ist schwer, in seinen Kopf zu blicken, ein Nachlass ist offenbar nicht vorhanden, zwei Briefkonvolute in der Kunsthalle und in der Max Slevogt Sammlung in Speyer sowie Dokumente der Reichsfilmkammer, mehr ist bisher nicht aufzufinden.

Dannemann, geboren 1896 in Bremen als Sohn eines Gastwirts, drängt früh zum Pinsel, macht eine Ausbildung als Bühnenmaler beim Bremer Theater, besucht auch die Kunstgewerbeschule. Im Juli 1916 wird er an die Ostfront eingezogen. 1920 heiratet er Erna Noeren, Tochter des Malers und Autors Heinrich Noeren. Noch entscheidender wird die Begegnung mit Max Slevogt, dessen Schüler er wird.

Dannemann malt im folgenden Weinkeller aus und entwirft Bühnenbilder, er illustriert zahlreiche Bücher, gibt grafische Mappen heraus. 1926 gestaltet Slevogt, der gute Beziehungen nach Bremen hat, einen Saal im Ratskeller, Dannemann bekommt dort den großen Bacchus-Saal als Spielwiese und darf die Ausmalung nach einem Brand 1930 wieder herstellen.

In der Rezeption bleibt der Schüler stets tief im Schatten seines Meisters, jenseits von Bremen hat die Kunstgeschichte bis heute nicht recht von ihm Kenntnis genommen. Dabei sind Dannemanns barocke, wirbelnde Gestalten in all ihren Verrenkungen ein Erlebnis. Eine gedämpfte Farbpalette und ein erdiger Ton fokussieren ganz den Blick auf die tanzenden Bacchanten im Ratskeller und zwei Jahre später auf die phantastischen Begebenheiten in der Glocke. Dannemanns unbändige Lust menschliche Körper mit kräftigen Strichen zu umreißen – er ritzt im Ratskeller ihre Umrisse tief in die Putzschicht ein – wirkt ansteckend. Auch seine Postkarten an Slevogt oder den Senator Sigmund Meyer sind oft launig mit lebendigen Figuren und Begebenheiten verziert. Etwas staatstragender und konventioneller ist das Hindenburgbankett geraten – soll man es als politisches Bekenntnis verstehen, dass die untere Bildhälfte zu einer Symphonie aus Schwarz-Weiß-Rot gerät?

Große Sorgen ums liebe Geld

Trotz dieser offiziellen Aufträge vom Senat – eine Brema-Allegorie von 1929 in der Bremer Börse wurde im Krieg zerstört – herrscht in Dannemanns Korrespondenz bald ein Ton vor: die Sorge ums liebe Geld. Ab 1930 versucht er offenbar stilistisch eigene Wege zu gehen, er stellt Aquarelle aus, 1932 noch einmal, die Kritik ist durchaus wohlwollend, die kommerzielle Resonanz jedoch verheerend, die Selbstzweifel wachsen.

Dannemann, der mittlerweile in Berlin wohnt, entscheidet sich für einen Brotberuf – ausgerechnet den des Schauspielers. Er ist 1,79 Meter groß, hat blaue Augen und hat tatsächlich sogleich Erfolg: Er wird ab 1932 im Theater besetzt, bekommt gute Kritiken, angeblich wird Heinrich George auf ihn aufmerksam, die ersten Filmrollen schließen sich an.

Kunstfertig: Wilhelm Hauff mit Ratsdiener im Bacchuskeller – eine Illustration von Karl Dannemann für die 1927 bei Hauschild erschienene
Jubiläumsausgabe der „Phantasien im
Bremer Ratskeller“ von Wilhelm Hauff.
Quelle: Archiv

Es klingt verlockend, Politik und Leben hier kurzzuschließen, allein, wenig deutet darauf hin. Dannemann reüssiert keineswegs in der Rolle des strahlenden arischen Helden auf der Leinwand. Er wird schnell ein prägnanter Nebendarsteller, der üblicherweise den gutwilligen, einfachen und anständigen Mann aus dem Volk verkörpert. Matrose, Gendarm, Werkmeister, Bauer, das bleibt sein Rollenspektrum, manchmal ist er der eine soziale Schicht tiefer angesiedelte, unverbrüchlich treue Sidekick des Protagonisten. Der „Filmkurier“ grübelt 1942, ob er jemals in einem Frack durchs Filmatelier schritt.

Freilich beginnt seine Karriere in drei Spielfilmen des Präsidenten der Reichsfilmkammer, Carl Froelich, Dannemann ist damit sogleich etabliert. Er zeigt keine Berührungsängste gegenüber der gewichtigen Rolle in Ich für dich – du für mich (1934), einem der in den 1930-ern noch seltenen propagandistischen Spielfilme, hier über den Reichsarbeitsdienst. Allerdings konnte eine Parteimitgliedschaft in einer so kostspieligen und auf der Gunst des Publikums beruhenden Industrie nicht zu einer Karriere verhelfen, sei es als Regisseur, sei es als Schauspieler. Vielleicht konnte man so eine kleine Rolle am Anfang ergattern, aber die Karrieren vieler Nationalsozialisten endeten in der Filmbranche nach 1933 im absoluten Nirgendwo.

Dannemann ist hingegen gefragt, in einer von Bühnenschauspielern überschwemmten Industrie wird er als eine frische, unverfälschte Kraft gesehen, Magazine porträtieren den Neuankömmling und greifen dankbar die interessante Geschichte des früheren Slevogt-Schülers auf wie die „Filmwelt“ 1935. Im selben Jahr ist er sieben Mal auf der Leinwand zu sehen, klagt trotzdem Anfang 1936 über die Rollenangebote, und erhält tatsächlich wieder prägnante Rollen in Arzt aus Leidenschaft (1936) oder Der Katzensteg (1937), eine Besetzung als Schurke in Die fremde Frau (1939) geht hingegen eher fehl. Jedenfalls verdient er bis 1939 zwischen 6000 und 11.000 Reichsmark (RM) pro Jahr, das vielfache des deutschen Durchschnittsgehalts, das sich parallel von 1700 hin zu 2000 RM entwickelte.

In einem bedenklichen Film nach dem anderen

Karl Dannemann als Werkmeister Aune in dem Ufa-Film „Stützen der Gesellschaft“ (1935).
Quelle: Archiv

Hitler griff Goebbels Dezember 1939 scharf an, weil es so wenig nationalsozialistische Filme gäbe. 1940/41 entstehen nun vermehrt teure propagandistische Spielfilme, für Dannemann resultiert daraus der größte Erfolg seiner Filmkarriere – und zugleich bestätigt Carl Peters (1941) auch seine Grenzen. Der Star des Biopics über den berüchtigten Kolonialverbrecher ist Hans Albers, auch blond und blauäugig. Dannemann bleibt wieder die Rolle des Sidekicks, mit knapp 16.000 RM verdient er mit diesem Film allein mehr als bisher in einem ganzen Jahr – aber der Durchbruch zu eigenen Hauptrollen bleibt aus, der steif inszenierte Film ist gewiss keine Hilfe.

Ende 1941 tritt Dannemann hinter die Kamera – mit bemerkenswerten Resultaten. Sein Kurzfilm nach einem Stück von Tschechow ist eine visuelle Tour de Force, der Maler überbordender Fresken setzt mit ähnlicher Verve in 20 Minuten alle denkbaren Stilmittel ein – in Zeiten eines damals vorherrschenden eher klassischen, unauffälligen Filmstils ist diese kleine Etüde eine frische Brise. Warum Dannemann trotz dieser bestechenden Kostprobe seines Regietalents nie einen Langspielfilm bekam, ist nicht bekannt und eigentlich nicht zu verstehen.

Mit 15.000 bis 30.000 RM pro Jahr findet Dannemann aber in den nächsten Jahren finanziell endgültig die Sicherheit, die er gesucht hat. Seine Tagesgage steigt von 300 über 400 auf 500 RM, er lässt bei den Verhandlungen in einem Brief an die Reichsfilmkammer fallen, dass er als Parteigenosse seit 1930 (sic!) sich gegenüber anderen Filmkollegen bezüglich der Gage benachteiligt fühlt. Jetzt in der Blütezeit der Spielfilmpropaganda nimmt er einen bedenklichen Film nach dem anderen an. Kaum ein Schauspieler kann sich leisten, allzu wählerisch zu sein und solche Filme in diesen Jahren umschiffen, aber Dannemann stürzt sich mit Gusto auf scharf antibritische Filme wie den pro-irischen Mein Leben für Irland (1941) oder die grotesk verzeichnete Titanic (1943), stramm nationalsozialistische Spionagefilme wie Die goldene Spinne (1943) oder den mit einigen antisemitischen Szenen angereicherten Rembrandt (1942).

Ein absoluter Tiefpunkt wird die kleine Rolle im Euthanasie-Film Ich klage an (1941). Dieses auch aus Sicht der Nazis heikle Thema wird – in seiner verbrecherischen Ausformung als Mord an Geisteskranken – in einer kleinen Nebenhandlung versteckt. Den Vater des „ganz idiotischen“ Kindes, das man angeblich besser „erlöst“ hätte, spielt Karl Dannemann, er wirft dem Arzt vor, dass er das nun schwerstbehinderte Kind doch hätte sterben lassen sollen, seine Frau bringt dann den Euthanasiewunsch vor. Ob Propagandafilme oder harmlose Unterhaltung, die Rollen Dannemanns werden in den letzten Jahren wieder eher uninteressanter, geben ihm wenig Spielraum.

Nachdem er mit Anfang 40 sich nun eine eigenständige Existenz aufgebaut hatte, kommt binnen weniger Jahre der totale Umschwung. Am 2. Mai 1944 notiert die Reichsfilmkammer, dass Dannemann durch einen Bombenangriff seine Berliner Wohnung verloren hat. Fast auf den Tag genau ein Jahr später der Suizid. Ob es vielleicht auch die Verzweiflung war, alles Erreichte wieder verloren zu haben? Die Bomben werden wohl auch einen potentiellen Nachlass oder noch existierende Gemälde zerstört haben. Seine Witwe lebte noch drei Jahrzehnte in Werder, bevor sie in einem Potsdamer Altenheim starb.

Warum NS-Parteimitglied?

Was ließ Dannemann zum Nationalsozialisten werden? Hinweise sind in einem Schreiben an den jüdischen Senator Meyer erhalten, in dem Dannemann sich Silvester 1931 über die Vertretung des gegenwärtigen Staates, moderne Architektur und die Neue Sachlichkeit beklagt, letzteres wenig überraschend bei so einem überbordenden Erzähler. Sehnte er sich nach einer neuen Zeit und glaubte sie in Hitler zu finden? Und fand er als mittelloser Künstler die zweite Hälfte des Wortes Nationalsozialismus verlockend? „Eine große Romantik fängt auf allen Gebieten an durchzuleuchten, und eine große Reaktion wird marschieren.“ Dieser Satz aus dem Brief ist kaum anders als ein Hinweis auf seine politische Wahl zu verstehen – nur mit Rücksicht auf Meyers Abstammung wird Dannemann wohl nicht deutlicher. Am nächsten Tag wurde er in die NSDAP aufgenommen.

Dass er nach Hitlers Machtübernahme mit Meyer weiter brieflich korrespondierte – kein Wort zu Meyer wegen seiner jetzt bedrängter Lage – , legt nur nahe, dass er kein lupenreiner Antisemit war.

Aber selbst Hitler schützte den alten jüdischen Arzt, der seine Mutter behandelt hatte.

Karl Dannemann hat sich spätestens 1931 entschlossen, die Demokratie zu bekämpfen – und sei es nur mit seinem Mitgliedsbeitrag. Der 1961 nach ihm benannte Weg in Bremen-Oberneuland ist sicher die falsche Art, seiner zu gedenken und sollte einen neuen Namenspaten finden. Die Auseinandersetzung mit seinen Filmen bietet aber einen interessanten Einblick in eine dunkle Zeit, die fast nur noch auf Filmrollen erfahrbar ist, während der Maler Karl Dannemann immer noch eines Kunsthistorikers harrt, der ihn hinreichend als eigenständigen Künstler würdigt.

Als Schauspieler wirkte Karl Dannemann in einer ganzen Reihe fragwürdiger Filme mit: hier (sitzend links) mit Hans Albers in dem Biopic „Carl Peters“ von 1942.
Quelle: Filmmuseum Berlin – Deutsche Kinemathek

200 Jahre Bremer Stadmusikanten

200 Jahre Bremer Stadtmusikanten

Das schönste Märchen über die Freundschaft

1819 haben die Brüder Grimm die Geschichte der Bremer Stadtmusikanten veröffentlicht. Unser Magazin zu diesem Geburtstag ist voller Geschichten rund um die berühmten Aussteiger – etwa eine Reportage über das Grimm-Museum in Kassel, über die Bedeutung des Märchens in Japan und vieles anderes mehr.

Jetzt bestellen