Ein Blick in die Geschichte (119): US-Fotograf lichtete im Herbst 1946 die Bischofsnadel ab
Was für ein bedrückender Anblick: Kein Stein stand mehr auf dem anderen, als der US-Fotograf Walter Sanders im Spätherbst 1946 diese Aufnahme von der Bischofsnadel machte. Beiderseits des alten Durchgangs nichts als Trümmer, nur der Dom reckt sich in der Ferne weitgehend unversehrt in die Höhe. Der Fokus liegt indessen nicht auf Tod und Zerstörung, sondern auf der Kinderschar. Man kann davon ausgehen, dass Sanders diese Einstellung mit Bedacht gewählt hat, die Perspektive soll Mut und Zuversicht vermitteln: die Jugend als neue Hoffnung auf eine demokratische Zukunft, es geht im wahrsten Wortsinne bergauf.
Ein zufälliger Schnappschuss ist die Aufnahme keineswegs, vielmehr handelt es sich um eine Auftragsarbeit. Als Fotograf des LIFE-Magazins sollte der 1933 aus Deutschland geflohene Sanders mit einer ganzen Fotoserie eine Story über die amerikanische Nachwuchsarbeit in den Bremen Boys Clubs illustrieren.
Die waren im Herbst 1945 nicht etwa auf Befehl von oben entstanden, sondern auf Privatinitiative einzelner US-Soldaten. Damit sollten die Jugendlichen von der Straße geholt werden, statt zu betteln oder Zigarettenkippen zu sammeln sollten sie spielerisch demokratische Tugenden lernen und so die alte NS-Indoktrinierung abstreifen. Auf dem Programm standen Ausflüge, Sport- und Freizeitaktivitäten in eigens dafür beschlagnahmten Häusern.
Eine führende Rolle spielte dabei Sergeant Pat Moriarty aus Minnesota, auf dem Foto in vorderster Reihe zu sehen. Der GI galt als Kumpeltyp, unter den Kindern erfreute er sich größter Beliebtheit. Dass es seinen Schützlingen anfangs vor allem um Nahrhaftes und warme Unterkünfte ging, räumte Moriarty gern ein. Doch nach einiger Zeit hätten sie Gefallen an den „strange new democratic ways“ gefunden, sagte er im Dezember 1946 dem LIFE-Magazin.
Schon bald galten die Bremen Boys Clubs als vorbildhaft, auch andernorts in der amerikanischen Zone eiferte man ab April 1946 dem guten Beispiel nach. Diesmal auf Betreiben der Militärführung, die den Anstoß von unten aufnahm und den Rahmen für eine großflächige Umsetzung lieferte. Als „German Youth Activity“-Programm machte das Bremer Beispiel Schule.
Auf der Strecke blieb freilich die weibliche Jugend. Alle drei Wochen würden die Mädchen zu einer Party eingeladen, hieß es dazu im LIFE-Bericht.
von Frank Hethey