Vor 50 Jahren wurde der SV Werder Bremen erstmals deutscher Meister / Einer der Erfolgsgaranten war Gerd Zebrowski
Als Titelfavorit startete der SV Werder nicht in die zweite Bundesligasaison. Doch dann wurde die Elf von der Weser souverän Meister: Schon zu Beginn der Rückrunde übernahm Werder endgültig die Tabellenführung und gab sie bis zum Schluss nicht mehr her – ein Durchmarsch nach Bayern-Manier. Zu den Erfolgsgaranten zählte auch das Eigengewächs Gerhard Zebrowski, ein „Waller Jung“. Als Profi hat der kleine Außenstürmer niemals woanders als in Bremen gespielt.
Von seinen Gegenspielern wurde Gerhard Zebrowski wegen seiner nicht gerade gardemäßigen Körpergröße von 1,70 Meter gern unterschätzt. Auch in der Meistersaison 1964/65, als der damals 24-Jährige insgesamt elf Treffer beisteuerte. „Zebro, was willst du denn hier, du Floh? Hau ab!“, pflaumte ihn der Duisburger Keeper Manfred Manglitz vor einem Eckball im Strafraum an. Im November 1964 war das, kurz vor Ende der Partie im Weserstadion. Das ließ sich Zebrowski nicht zweimal sagen – und nickte den Eckball aus einiger Entfernung zum spielentscheidenden 1:0 in der 88. Minute ein. Mit dem geschlagenen Torhüter musste er da natürlich noch ein Wörtchen reden. „Hättest du mich mal nicht weggeschickt, dann wäre das Spiel 0:0 ausgegangen.“
Auf den Mund gefallen ist Zebrowski ganz sicher nicht. Der gebürtige Bremer, dessen Großvater aus dem schlesischen Breslau nach Bremen zugewandert war, wusste sich schon damals zu wehren. Das dürfte wohl auch mit seiner Kindheit und Jugend zu tun haben.
Denn aufgewachsen ist Zebrowski in Walle. Allerdings nicht als klassisches Arbeiterkind: Sein Vater verdiente sein Brot als Zollbeamter im Hafen. Als Straßenfußballer hat der junge Zebrowski angefangen. „Von morgens bis abends haben wir auf der Straße gebolzt“, erinnert er sich. Zu den Jungs auf der Straße gehörte auch sein jüngerer Bruder Manfred, später ein erfolgreicher Fußballer bei den Werder-Amateuren. Der alte Herr hatte nichts daran auszusetzen. Im Gegenteil, als aktiver Fußballer beim TuS Walle förderte er die Karriere seiner Söhne nach Kräften. „Er wollte unbedingt, dass aus seinen Jungs was wird.“
Wo das am besten ging, war ihm vollkommen klar. 1953 meldete er den älteren seiner beiden Söhne bei Werder an. Tragisch nur, dass er dessen steile Karriere nicht mehr miterlebte. Im Alter von nur 43 Jahren starb er im Oktober 1954 – und zwar dort, wo er sich immer am wohlsten gefühlt hatte: auf dem Fußballplatz. „Er hatte ein Tor erzielt und ist dann an der Mittellinie zusammengebrochen.“ Anders als man vermuten könnte, war die Todesursache kein Herzinfarkt. Sondern ein vernarbter Herzmuskelriss, den er aus dem Russland-Krieg mitgebracht hatte. „Und dann hat er den Ball auch noch mit der Brust reingedrückt“, sagt Zebrowski.
Schwere Zeit nach dem Tod des Ernährers
Für die Familie begann nach dem Tod des Ernährers eine schwere Zeit, die Mutter musste wieder anfangen zu arbeiten, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. „Mein Bruder und ich, wir waren Schlüsselkinder“, sagt Zebrowski. Einen Halt gab ihm sein erfolgreicher Weg als Jugendfußballer beim SV Werder. Zebrowskis Karriere entspricht in erstaunlicher Weise der aktuellen Fußball-Philosophie. „Ich war der erste, der den Sprung von der Jugend in die erste Mannschaft geschafft hat“, sagt er.
Vertragsverhandlungen waren damals nicht angesagt. Zähe Vertragspoker mit ausgekochten Spielerberatern waren in den frühen Nachkriegsjahren eine völlig abwegige Vorstellung. Seinen ersten Kontrakt von 1959 habe er „blind unterschrieben“, sagt Zebrowski – so überwältigt sei er gewesen von der Aussicht, in der ersten Mannschaft spielen zu dürfen. „Ich hätte den auch unterschrieben, wenn ich gar nichts gekriegt hätte.“ Weil er als 19-Jähriger nach damaliger Gesetzeslage noch nicht volljährig war, musste auch die Mutter ihren Namen unter den Vertragstext setzen.
Sein Debüt in der ersten Mannschaft des SV Werder feierte Zebrowski noch zu Oberliga-Zeiten, der viergeteilten höchsten Spielklasse bis zur Einführung der Bundesliga 1963. Dabei gab es nicht nur Erfolge. Im August 1959 stand er bei der 1:9-Klatsche gegen Serienmeister Hamburger SV auf dem Feld. Für den Nachwuchsspieler war die erste Saison im Oberligakader dennoch ein Meilenstein. „Eben noch hatte ich mit der Tröte hinterm Tor gestanden und die Werder-Spieler angefeuert. Und auf einmal durfte ich mit denen spielen.“
Trainer Georg Knöpfle als Mentor
Eine entscheidende Rolle für seine Karriere spielte Trainerlegende Georg Knöpfle, der die Mannschaft von 1958 bis 1963 betreute. Der habe ihn eines Tages zur Seite genommen und erklärt: „In jeder Mannschaft gibt es Klopper, Techniker und ein bis zwei Renner. Du bist der Renner!“ Das habe er beherzigt, sagt Zebrowski. Mit seiner Schnelligkeit erst als Links- , später als Rechtsaußen düpierte er so manchen Gegenspieler. Bis heute verehrt er Knöpfle. „Für mich war der Mann ein Glücksgriff.“ Vielleicht ja auch, weil er für ihn so etwas wie eine Vaterfigur war – als Ersatz für den eigenen, so früh verstorbenen Vater.
„Beim Start der Bundesliga hat man mir dann nahegelegt, meinen Beruf als Speditionskaufmann aufzugeben“, sagt Zebrowski. Aus Vereinssicht verständlich: Die Bundesliga wurde 1963 als Profiliga ins Leben gerufen, mit Amateuren oder Halbprofis hätte Werder im Wettbewerb der besten bundesdeutschen Mannschaften kaum mithalten können. Eine Ausnahmeregelung gab’s nur für „Pico“ Schütz, Zebrowskis großes Vorbild. Weil der darauf bestand, im erlernten Beruf als Küper weiterhin tätig zu sein, musste er zum morgendlichen Training nicht erscheinen.
Für den damals 23-jährigen Zebrowski machte sich die Profikarriere bezahlt. Als Grundgehalt bekam er 400 Mark und für jeden gewonnenen Punkt noch einmal 300 Mark dazu. Zu Beginn der Meistersaison 1964/65 wurde das Grundgehalt kräftig aufgestockt, mit 1200 Mark gab es jetzt dreimal so viel wie zuvor und auch noch mal 100 Mark mehr für jeden Punktgewinn. Eine stark leistungsorientierte Bezahlung also, die sich im Falle sportlicher Erfolge durch klingende Münze bemerkbar machte: Im Mai 1965, dem Monat des Titelgewinns, kassierte Zebrowski 6000 Mark brutto – für damalige Verhältnisse eine ordentliche Stange Geld.
Drei Volltreffer auf dem Transfermarkt
Auch auf dem Spielermarkt investierte der Verein ansehnliche Summen. Mit dem 19-jährigen Horst-Dieter Höttges (Borussia Mönchengladbach) kam ein Abwehrtalent, mit Klaus Matischak (Schalke 04) ein etablierter Stürmer und mit Heinz Steinmann (1. FC Saarbücken) ein erprobter Verteidiger an die Weser. Entsprechend ehrgeizig waren die Ziele. In der eher durchwachsenen Auftaktsaison der neuen Bundesliga war Werder nur auf dem zehnten Platz gelandet. In der zweiten Spielzeit sollte mehr herausspringen. Deshalb widerspricht Zebrowski auch der verbreiteten Ansicht, Werder habe die Meisterschaft völlig überraschend gewonnen. Schon bei der erfolgreichen US-Reise vorm Saisonstart habe sich gezeigt, dass der Kader großes Potenzial hatte. „Die drei Neuzugänge passten wie die Faust aufs Auge.“
Tatsächlich spielte Werder von Anfang an ganz oben mit. Als Erfolgsgarant der Meisterelf von 1965 gilt die kompromisslose Abwehr mit Höttges, Sepp Piontek und Helmut Jagielski. Da machte es nichts, wenn die Trefferquote eher bescheiden ausfiel. „Wenn wir nur ein Tor gemacht haben, reichte es meistens für den Sieg“, sagt Zebrowski. Auch für ihn selbst war die Saison 1964/65 der Karrierehöhepunkt: Mit elf Treffern war Zebrowski nach Matischak der zweitbeste Torschütze im Meisterteam.
Den Titelgewinn schreibt Zebrowski nicht zuletzt dem früheren Coach Knöpfle zu, in der Meistersaison Trainer des Titelverteidigers 1. FC Köln. Gern erinnert er daran, dass Werder nur zwei Jahre nach dessen Weggang die Schale holte. „Da muss wohl noch ein bisschen übrig gewesen sein von dem, was er uns gelehrt hat.“ Und was ist mit dem eigentlichen Meistertrainer, mit Georg Multhaup? „Der legte viel Wert auf Eleganz“, sagt Zebrowski über den „Gentleman-Trainer“.
Zur Belohnung für den Titel gab es für alle Spieler eine goldene Uhr mit eingraviertem Werder-W auf der Rückseite. „Die funktioniert heute noch, weil ich sie so wenig getragen habe“, sagt Zebrowski. Natürlich nicht aus Geringschätzung, sondern um sie zu schonen.
Die Titelverteidigung scheiterte
Mit der Titelverteidigung hatte Werder allerdings schon damals kein Glück. In der Saison 1965/66 machte 1860 München das Rennen, Werder schaffte es nur noch auf den vierten Platz. Fast abgestiegen wäre der Verein eine Spielzeit später, nur mit Müh’ und Not reichte es für Platz 16 – das sichere Ufer, weil es damals keine Relegationsspiele um den Klassenerhalt gab.
In der Folgesaison 1967/68 dann die Rückkehr in die Spitzengruppe mit der Vizemeisterschaft. Noch heute trauert Zebrowski der verpassten Titelchance nach: „Hätten wir nicht so einen blöden Start gehabt, wären wir vielleicht wieder Meister geworden.“
Freilich knirschte es schon damals im Getriebe. Nach drei Niederlagen in Folge hatte Multhaup-Nachfolger Günter Brocker schon zu Saisonbeginn im September 1967 seinen Hut nehmen müssen.
Neuer starker Mann auf der Werderbank wurde „Feldwebel“ Fritz Langner, der frühere Trainer von Schalke 04. „Mit dem bin ich gar nicht klar gekommen“, sagt Zebrowski. Menschlich sei Langner unmöglich gewesen. Kopfschüttelnd erinnert er sich an eine Begebenheit, als er einmal ausgewechselt wurde – sehr zum Missfallen des Publikums, das gegen seinen Abgang lautstarken Protest erhob. Langner habe ihn daraufhin angeraunzt: „Kannst du nicht humpeln!?“
In seiner letzten Bundesliga-Saison 1968/69 lief es für Zebrowski nicht mehr optimal. In der Rückrunde kam er kaum noch zum Einsatz, erzielte insgesamt auch nur noch zwei Tore für Werder. Zwar verließ der ungeliebte Langner den Verein zum Saisonende, aber auch für den mittlerweile 29-jährigen Zebrowski gab es keine Zukunft mehr bei Werder. Damit verabschiedete sich ein Spieler, der lange Jahre eine feste Größe gewesen war bei den Grün-Weißen. In zehn Jahren hatte er 216 Spiele absolviert, 145 in der Bundesliga und 71 in der Oberliga Nord. Dabei hatte er 67 Tore geschossen: 40 in der Bundesliga, 27 in der Oberliga.
Als Vertragsspieler bei Bremerhaven 93
Als Vertragsspieler wechselte Zebrowski 1969 zu Bremerhaven 93 in die Regionalliga Nord, damals die zweithöchste Spielklasse. Zwei Spieler hatten die Bremerhavener an Werder abgegeben und dafür im Gegenzug den Meisterspieler bekommen. Versüßt wurde ihm sein Weggang durch einen sogenannten Treuevertrag. Den erhielten Spieler, die zehn Jahre oder länger in der ersten Mannschaft gespielt hatten. Zwei Jahre lang gab es monatlich 1000 Mark – zusätzlich zur Entlohnung als Speditionskaufmann. „Ich konnte wieder zurück in meinen erlernten Beruf“, sagt Zebrowski. Training gab es für ihn jetzt nur noch in den Abendstunden. Noch drei Jahre lief er für Bremerhaven auf und erzielte dabei in 91 Spielen 29 Tore.
1972 war dann endgültig Schluss mit dem Leistungssport. Zwar überredete ihn sein alter Mannschaftskamerad Helmut Schimeczek, beim SV Hemelingen seine Nachfolge als Spielertrainer anzutreten. Doch von langer Dauer war seine Tätigkeit nicht, das sei ihm einfach „zu stressig“ gewesen, sagt Zebrowski. Danach schob er eine ruhigere Kugel in der 3. Herren-Mannschaft des SV Werder. Nicht nur zusammen mit seinem Bruder Manfred, der ihn auch schon nach Bremerhaven und Hemelingen begleitet hatte und 1966 mit den Werder-Amateuren deutscher Amateurmeister geworden war. Auch etliche frühere Werder-Recken aus dem Profilager mischten mit. „Wir sind dann auch jedes Jahr aufgestiegen“, sagt Zebrowski schmunzelnd. Bis zum 50. Lebensjahr habe er das gemacht, dann sei Feierabend gewesen.
Beruflich bahnte sich mit seiner Rückkehr nach Bremen eine Neuorientierung an. Gemeinsam mit einem weiteren Mitglied der Meisterelf, Klaus Matischak, gab Zebrowski als Geschäftsführer einer Werbeagentur ab 1972 das Stadionmagazin „Werder-Echo“ heraus. Das hätte auch Günter Netzer gern getan, der 1971 als Mitglied der „Millionen-Elf“ fast nach Bremen gekommen wäre – es aber ließ, weil der Verein an Matischak festhielt. Bis zur Einstellung des „Werder-Echos“ 1996 blieb Zebrowski am Ball, seit Matischaks Umzug nach New York 1981 als alleiniger Chef. Und musste sich auch schon mal einen Wutanfall von Otto Rehhagel gefallen lassen, weil das „Werder-Echo“ allzu optimistisch einen hohen Rückspiel-Sieg im Europapokal gegen den norwegischen Vertreter prophezeit hatte. „Danach mussten wir ihm dann alle Artikel vor dem Druck vorlegen.“
Sitzplatzkarte auf Lebenszeit
Finanzielle Sorgen hat Zebrowski nicht, hatte er nie seit Beginn seiner Profikarriere. „Ich habe mein Geld gut angelegt“, sagt er. Vor allem in Immobilien – das schmucke Reihenhäuschen in Grolland gehört dazu. Trotz zwei neuer Hüften fühlt sich der frühere Werder-Star topfit, auch noch mit 75 Jahren. „Nie in meinem Leben war ich verletzt“, sagt er, nicht eine einzige Zerrung habe er sich in seiner aktiven Zeit zugezogen. Mit Tennisspielen hält er sich in Form.
Bis heute ist Zebrowski Vereinsmitglied – seit nunmehr 62 Jahren. Die Sitzplatzkarte auf Lebenszeit nimmt er allerdings nur noch sporadisch in Anspruch. Vorzugsweise dann, wenn Topmannschaften ins Weserstadion kommen. Was freilich nicht heißt, dass er die Spiele nicht mehr verfolgen würde. Das tut er immer noch, jetzt aber vor einem stattlichen Bildschirm im heimischen Wintergarten. „Da sieht man jede Einzelheit, und das ist auch viel bequemer.“
Vergessen ist er nicht. Noch immer erreichen ihn Autogrammwünsche. „Im Schnitt einmal pro Woche“, sagt er.
Das macht ihn schon ein wenig stolz. Zu recht.
von Frank Hethey