Der Riesen-Walfisch Jonas kam erstmals 1954 nach Bremen / Ausgeklügelte Werbestrategie lockte Publikum an
1954 war das die Attraktion in Bremen: Es gab einen echten Wal zu besichtigen. Heute wäre das wohl nicht mehr möglich, aber damals waren die Wale noch nicht unter Schutz gestellt. Geblieben ist die Faszination für die Wale. Man denke nur an das Gebäude des Bremer Universums. Man nennt es den „Wal“. In Bremen gibt es noch vielseitige Zeugnisse von Walen, auch aus der Zeit als die Walfänger in Vegesack beheimatet waren.
Es war das Jahr 1954. Da wird meine Mutter eine Anzeige im Weser-Kurier gelesen haben: Ein Riesen-Walfisch sollte ausgestellt werden. Einen Walfisch, das größte Tier der Welt, hatte sie bestimmt auch noch nicht gesehen. An einem sonnigen Nachmittag wurde meine Schwester in den Kinderwagen gelegt und schon ging es Richtung Herdentor. Gegenüber von Café Hillmann waren die Ruinen bereits abgeräumt und, da es wohl noch keinen Bebauungsplan gab, waren dort vorübergehend Parkplätze angelegt.
Organe in Glasbehältern
Auf der auf dem Luftfoto markierten Stelle stand ein riesig langer Tieflader mit eben diesem Riesen-Walfisch Jonas drauf. Nachdem wir das Eintrittsgeld entrichtet hatten, konnten wir das Tier bestaunen. Die Plane hatte man nur zur Vorderseite geöffnet, oben und die Hinterseite zur Straße blieben geschlossen. Wenn ich mich recht erinnere, hatte man im Maul des Wals einen Tisch mit drei Kartenspielern hineingesetzt. Das Herz und andere innere Organe standen in großen, mit Deckeln verschlossenen Glasbehältern längsseitlich am Wal. Von oben lief ständig irgendeine Konservierungs-Flüssigkeit über den Walfisch. Das alles hat mich als Kind sehr beeindruckt.
Es war alles sehr reißerisch aufgemacht. Auf Plakaten und Anzeigen stand geschrieben:
Länge 20 m-Gewicht 58.000 kg.
Welt-Sensation
Das größte Tier der Welt
Der Riese des Ozeans
58.000 kg Fanggewicht
gefangen bei Trondheim (Norwegen)
Tier im Gewicht von 1000 Menschen
Herz von 500 kg pumpte circa 100.000 Liter Blut in der Minute durch die Venen
Zunge wog 6.000 kg
Die Leber wog 120 Zentner
Zum ersten Mal ein ausgewachsener Wal konserviert.
Auf den größten Lastwagen der Welt
Der Riesen-Walfisch seit 1953 auf Tour
Dieser Wal ist ist nicht etwa irgendwo gestrandet. Sondern eine Gesellschaft managte ihn schon als er noch ein halbes Jahr zu schwimmen hatte. Da taten sich ein norwegischer Reeder, der Jonas harpunieren ließ, ein holländischer Spediteur, der den Lastwagen für ihn bauen ließ, und ein Schweizer Theateragent zusammen, der den Jonas perfekt managte. Nach dem Fang kam er in einem Stück aus dem Wasser und man präparierte ihn mit 8.000 Liter Formalin. Seit 1953 war er auf einer, perfekt auf den Tag im voraus geplanten, Tournee unterwegs. Tage voraus fuhr ein Werbefachmann in die jeweilige Stadt und drei Lastwagen mit 13 Personen folgten.
Und der Walfisch blieb ein Phänomen. In welcher Stadt er auch gezeigt wurde, überall strömten die Menschenmassen. In Paris sollen zum Invalidenplatz an einem Tag 55.000 Menschen gekommen sein. Alle wollten den Wal sehen, der nur noch in der äußeren Form einer war. In Wirklichkeit war er eine hart wie Stein gewordene chemische Substanz. Aber alles war perfekt inszeniert und sogar die verbogene Harpune, die auf einen Knochen traf, war zu besichtigen.
Ein werbewirksamer Name
Auch der Name „Jonas“ war werbewirksam gewählt, erinnerte er doch an den biblischen Jonas, der von einem Wal verschluckt, im Wal betete und nach drei Tagen und Nächten wieder unversehrt ausgespuckt wurde.
Der Begriff „Walfisch“ ist zoologisch unrichtig, weil ein Wal kein Fisch ist. Aber noch in den 1950ern wurde er selbst im Duden so genannt. Tatsächlich gehört er zu den Säugetieren. Nur die Art dieses „Jonas“ kann heute nicht mehr sicher bestimmt werden. Vermutlich war es ein Finnwal.
von Peter Strotmann