Hochwasser-Katastrophe: Interview mit Oberbaudirektor Ludwig Franzius über die Überschwemmungen von 1880/81 und die geplante Weserkorrektion, Teil 7

Peter Strotmann:

Guten Tag, sehr verehrter Herr Oberbaudirektor und Wasserbauingenieur Ludwig Franzius. Nach den verheerenden Überschwemmungen im Winter 1880 und Frühjahr 1881 möchten wir alle wissen, wie es dazu kommen konnte und wie die weitere Planung aussieht.

Die fiktiven Gesprächspartner: Oberbaudirektor Ludwig Franzius und Redakteur Peter Strotmann.
Fotomontage: Peter Strotmann

Ludwig Franzius:

Guten Tag, Herr Strotmann. Danke, dass ich die Gelegenheit bekomme, mich zu der Sachlage und gegen die mich erhobenen Vorwürfe zu äußern. Zuerst zum Deichbruch in Niederblockland am 29. Dezember 1880. Im Blockland sind alle Deiche zu niedrig und in einem desolaten Zustand. Das lag mit an der früheren Deichordnung. Da musste nämlich jeder Grundbesitzer als „Deichhalter“ an der Wümme sein Deichstück „Schlag“ selbst bauen und instand halten. Das überforderte den Einzelnen. Deshalb ist 1878 für das rechte Weserufer eine neue Deichordnung erlassen worden. Diese legt fest, dass nicht mehr der Deichhalter haftet, sondern alle Besitzer von zu schützenden Grundstücken. Für die linke Weserseite ist es schon 1876 in Kraft getreten. Die damit gegründeten Deichverbände finanzieren sich aus den Deichbeträgen und sind somit für die Deiche zuständig.

Peter Strotmann:

Und das Hochwasser vom 13. März 1881?

Ludwig Franzius:

Nach unseren Messungen ist noch nie soviel Wasser von der Oberweser gekommen wie jetzt. Das kann auch zukünftig wieder so sein. Deshalb ist es nun endlich zum Start der Weserkorrektion gekommen, damit das Wasser ablaufen kann. Aber wir brauchen auch ein Weserwehr, um das Oberwasser kontrolliert anlaufen zu lassen.

Große Pläne: Skizze zur Weserkorrektion u.a. zwischen Bremen und Vegesack, aufgestellt von Ludwig Franzius.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

Peter Strotmann:

Damit wären wir beim Hauptthema: der Weserkorrektion. Welche Aufgabe hatten Sie und was haben Sie im einzelnen gemacht?

Ludwig Franzius:

Seit 1875 bin ich im Amt und habe in diesen knapp sechs Jahren Jahren die gesamte Planung zur Weserkorrektur aufgestellt. Meine Aufgabe war und ist: Bremen soll zukünftig wieder mit Seeschiffen angelaufen werden können. Bremerhaven und auch Vegesack: das waren nur Zwischenlösungen. Aber der lukrative Handel soll wieder nach Bremen zurück, in Bremen sollen wieder Seeschiffe gebaut werden. Mit meiner Planung haben wir jetzt die Grundlage und können handeln. Jetzt muss Butter bei die Fische.

Peter Strotmann:

Was muss als Erstes gemacht werden?

Ludwig Franzius:

Die Weser verläuft in weiten Bereichen eigentlich noch durch das Urstromtal, das uns die Eiszeit zurückgelassen hat. Die Weser und ihre Nebenflüsse schlängeln sich durch die Landschaft und tragen ständig Sand und anderes mit sich, das sich an beruhigten Stellen ablagert. Wir müssen aus dieser Wasserwüste eine Schifffahrtsstraße machen. Das bedeutet baggern, baggern und nochmals baggern. Als erstes werden wir von 1883 bis 1886 die vollkommen versandete „lange Bucht“ bei Lankenau-Gröpelingen durchtrennen. Damit verliert Seehausen Land, das dann auf der rechten Weserseite vor Gröpelingen und Oslebshausen liegen wird.

Im Überblick: Skizze der „langen Bucht“ mit nachträglichen Eintragungen.
Quelle: Unterweserkorrektion, Ludwig Franzius, Staatsarchiv Bremen

Peter Strotmann:

Und dann soll die Weser auf fünf Meter vertieft werden?

Ludwig Franzius:

Bisher war noch eine Wassertiefe von einem Meter vorhanden, bei wenigen zehn Zentimetern Tide. Mein Konzept sieht vor, dass wir das Flussbett verengen und vorerst eine fünf Meter tiefe Fahrrinne ausbaggern. Schon bei dieser Arbeit erhöht sich die Fließgeschwindigkeit und schwemmt den Sand fort.  Somit brauchen wir nur halb so viel zu baggern, den Rest besorgt die Weser selbst. Das Hauptproblemstück ist der Streckenabschnitt bis Vegesack bzw. Brake. Dafür kommt am Vegesacker Steilufer auch noch ein ordentlich breiter Sandstrand hinzu.

Peter Strotmann:

Das ist enorm genial, Herr Oberbaudirektor.

Ludwig Franzius:

So werden wir das erste Teilstück von Bremen bis Vegesack ab 1887 vorantreiben, bis wir 1895 die Außenweser erreicht haben. Nach meiner Kalkulation könnte das wohl 60 Millionen Mark und mehr kosten. Und wir erwarten, dass sich Preußen und Oldenburg daran beteiligen. Ach ja, ich musste meine Pläne zeitweilig zurück halten, da von unterschiedlichen Seiten Anfeindungen kamen. Übrigens auch aus Bremerhaven.

Das Maß der Dinge: Brückenpegel an der Teerhofbrücke (Objekt 296), 2012.
Quelle: 350 Objekte in der Bremer Neustadt, Peter Strotmann, 2012

Peter Strotmann:

Sind auch Hafenanlagen in Bremen geplant?

Ludwig Franzius:

Ja, den Freihafen I (Europahafen) werden wir schon 1888 einweihen können. Wir brauchen ihn schon für die Binnenschifffahrt, da es die Schlachte als Hafen nicht mehr geben wird. Und das Weserwehr wird wahrscheinlich von 1906 bis 1913 gebaut werden. Es ist unbedingt nötig, um den Abtrag an der Flusssohle zu begrenzen.

Peter Strotmann:

Wird sich die Weserkorrektion auch auf die Tide, also die Gezeiten, am Bremer Pegel auswirken?

Ludwig Franzius:

Oh , ja. Der Höhenunterschied zwischen Ebbe und Flut wird gewaltig ansteigen. Ich erwarte, dass er nach dem Ausbau einen mittleren Tidenhub von 145 cm haben wird. Aber der 5-Meter Ausbau kann nur der Anfang sein. Damit auch noch größere Schiffe die Bremer Häfen anlaufen können, wird man die Weser immer tiefer ausbaggern müssen und sie damit letztlich kanalartig gestalten.

Peter Strotmann:

Sehr geehrter Herr Oberbaudirektor. Wir alle wünschen Ihnen viel Erfolg bei dieser Jahrhundertaufgabe.

Ludwig Franzius:

Ich habe zu danken. Jetzt wird der Bericht in den Bremer Nachrichten die Weserkorrektion weiter beflügeln.

Eifrig am Arbeiten: Rammarbeiten zur Weserkorrektion von 1887 bis 1895.
Quelle: Wikimedia Commons

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