Vor 50 Jahren

Der neue Vorsitzende des DGB-Kreises Bremen steht fest: In geheimer Abstimmung wählten gestern abend im Friedrich-Ebert-Saal des Gewerkschaftshauses die Delegierten der über 100.000 in den Gewerkschaften des DGB in Bremen organisierten Arbeitnehmer den 47jährigen Erwin Schmidt zum Nachfolger von Richard Boljahn, der am Vortage nach 25jähriger Tätigkeit verabschiedet worden war. Während für Schmidt 55 Stimmen abgegeben wurden, entfielen auf den einzigen Gegenkandidaten, den Leiter der DGB-Nebenstellen Bremen-Nord und Osterholz-Scharmbeck, Carl-Heinz Schmurr, 36 Stimmen. (WESER-KURIER, 27./28. März 1971)

Hintergrund

Vergebens sucht man den Namen Erwin Schmidt im Bremen-Lexikon von Herbert Schwarzwälder, dem WESER-KURIER war sein Tod nur eine dürre Meldung wert. Sogar seine eigene Partei machte nicht viel Aufheben um sein Ableben, eher distanziert ließ man wissen, er sei ein „glaubwürdiger und solider Repräsentant“ sozialdemokratischer Ziele gewesen. Schon zu Lebzeiten geriet der frühere DGB-Chef von Bremen, Nachfolger des schillernden Richard Boljahn, in Vergessenheit. Zuletzt war sein Name zu hören, als sich der Historiker Karl-Ludwig Sommer vor sieben Jahren mit der NS-Vergangenheit bremischer Bürgerschaftsabgeordneter befasste.

Dabei war Schmidt einst ein einflussreicher Mann. Als der damals 46-Jährige im März 1971 den Vorsitz des DGB-Kreises Bremen übernahm, stand er für Kontinuität, nicht für einen Bruch mit der traditionellen Gewerkschaftspolitik. Wie der wegen seiner Verstrickung in die Bauland-Affäre in Ungnade gefallene Boljahn verkörperte er den Typus des gestandenen Funktionärs, der gleichermaßen in der SPD wie in der Gewerkschaftsbewegung beheimatet war. Und wie Boljahn pochte Schmidt auf den Machtanspruch des DGB im rot regierten Stadtstaat. Noch kurz vor seinem Rückzug forderte er ein Mitspracherecht der Gewerkschaften bei der Besetzung des Senatsressorts für Arbeit, Soziales und Bildung.

Massenhafter Zulauf: die Kundgebung des DGB am 1. Mai 1953 vor dem Parkhaus im Bürgerpark.
Quelle: Staatsarchiv Bremen

Geboren wurde Schmidt am 4. November 1924 im mecklenburgischen Golm. Seit September 1942 führte ihn die NSDAP als Mitglied. Zu den näheren Umständen macht Sommer keine Angaben, weist aber darauf hin, dass nach Kriegsbeginn viele Neumitglieder aus der Hitlerjugend „keineswegs aus eigenem Antrieb und einige vielleicht gegen ihren Willen in die Partei aufgenommen“ worden seien. Ab 1943 war Schmidt Soldat und später kurzzeitig in Kriegsgefangenschaft. Als ausgebildeter Kfz-Handwerker schloss sich Schmidt 1946 dem Deutschen Metallarbeiter-Verband (DMV) an, dem Vorläufer der IG Metall. Danach durchlief er mehrere gewerkschaftliche Internate und Akademien, ehe er 1952 als hauptamtlicher Sekretär der Gewerkschaft Nahrung- Genuss-Gaststätten erstmals nach Bremen kam.

Sechs Jahre blieb er an der Weser. Die nächsten Karriereschritte vollzog Schmidt in Niedersachsen: erst von 1958 bis 1968 als Vorsitzender des DGB-Kreises Northeim, dann von 1968 bis 1971 in gleicher Funktion in Braunschweig. Auf die Frage nach den Gründen für seine Rückkehr nach Bremen antwortete er: „Hier habe ich vor fast 20 Jahren meine ersten Schritte als Angestellter im Gewerkschaftshaus getan. Außerdem ist es ein Unterschied, ob ich Kreisvorsitzender in einem Flächenstaat wie Niedersachsen mit 35 DGB-Kreisen bin oder in Bremen-Stadt mit nur einem Kreis.“ In Bremen seien „ganz andere politische Initiativen“ möglich.

Mit einem Parlamentsmandat ließen sich solche Initiativen noch weitaus besser durchsetzen. Wie selbstverständlich zog Schmidt 1975 als SPD-Abgeordneter in die Bürgerschaft ein, von 1979 bis 1983 war er Vizepräsident des hohen Hauses. Dass der Bremer DGB-Chef zugleich ein quasi natürliches Anrecht auf einen Abgeordnetensitz hatte, stellte damals niemand in Frage. Parallel fungierte Schmidt seit 1975 als Vorsitzender des Rundfunkrats von Radio Bremen und saß im Aufsichtsrat der gewerkschaftseigenen Wohnungsbaugesellschaft Neue Heimat.

Bekam zunehmend Gegenwind: Richard Boljahn (SPD).
Foto: Leonhard Kull

Ebenso wie Boljahns politische Karriere nahm auch die von Schmidt ein abruptes Ende, sogar die Wochenzeitung „Die Zeit“ berichtete darüber. Den ersten Stein warf im September 1982 der SPD-Ortsverein Horn-Achterdiek, zu dem Schmidt nach seinem Umzug aus Schwachhausen erst kurz zuvor gewechselt war. Völlig überraschend weigerte sich der Ortsverein, ihn als Kandidaten für die Bürgerschaftswahl im folgenden Jahr zu nominieren.

Hinter vorgehaltener Hand wurde seine „unerträgliche Arroganz gegenüber dem Ortsverein“ beklagt. Der Vorwurf: Wegen seiner Ämterfülle könne er sich zu wenig einbringen. Schmidt schäumte vor Wut. „Man muss mir schon überlassen, welche Prioritäten ich bei der Wahrnehmung von Terminen setze“, zürnte der Gewerkschafter und drohte mit der „geballten Macht der Kollegen in den Betrieben“.

Doch die Kollegen standen keineswegs so geschlossen hinter ihm wie Schmidt angenommen hatte. Seinetwegen werde „kein Arbeitnehmer der AG Weser Streit mit der SPD kriegen“, erklärte der Betriebsratsvorsitzende der Werft, Hans Ziegenfuß. Verärgert reagierten manche Genossen auf Schmidts Versuch, die Kritik an seiner Person als Distanzierung vom DGB auszulegen. Freilich ist nicht zu leugnen, dass in Anbetracht von Strukturkrise und Sparkurs das einst symbiotische Verhältnis zwischen Senat, SPD und DGB damals erste Risse bekam.

Mit dem parlamentarischen Mandat des DGB-Chefs war es nach Schmidts Abgang vorerst vorbei – seine Nachfolger Heinz Möller und Siegfried Schmidt saßen nicht mehr in der Bürgerschaft. Erst mit Helga Ziegert lebte die Symbiose von DGB-Vorsitz und SPD-Parlamentsmandat wieder auf. Ihre Nachfolgerin, die aktuelle Bremer DGB-Vorsitzende Annette Düring, wollte davon allerdings nichts wissen. Von Anfang an trennte sie strikt zwischen Partei- und Gewerkschaftsarbeit.

Schmidts Karriere neigte sich nach dem Eklat um seine Nominierung dem Ende zu. Aus der Bürgerschaft schied er im September 1983 aus. Auch für den Vorsitz des DGB-Kreises Bremen kandidierte er nicht wieder. Aus Altersgründen gebe er sein Amt auf, lautete die offizielle Begründung des 60-Jährigen im Dezember 1984. Am 5. September 1997 starb Erwin Schmidt im Alter von 72 Jahren.

Noch zu Amtszeiten Schmidts: die DGB-Kundgebung zum Antikriegstag am 1. September 1983 auf dem Marktplatz.
Foto: Jochen Stoss

Noch zu Amtszeiten Schmidts: die DGB-Kundgebung zum Antikriegstag am 1. September 1983 auf dem Marktplatz.
Foto: Jochen Stoss

Von Anbiet bis Zuckerklatsche

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