Vor dem Steinthor 81: Dort betrieb er Albert Bauer sein Atelier von 1898 bis 1901. 1911 erfolgte eine Umnummerierung: Aus der Nummer 81 wurde Nummer 32. Foto: Frank Hethey

Vor dem Steinthor 81: Dort betrieb er Albert Bauer sein Atelier von 1898 bis 1901. 1911 erfolgte eine Umnummerierung: Aus der Nummer 81 wurde Nummer 32.
Foto: Frank Hethey

Zahnbehandlungen früher – ein „wehmütiger“ Rückblick auf das Elektro-Dentistische Labor des Albert Bauer auf 

Plüsch und Perserteppich beim Dentisten? Vor über 100 Jahren kein unübliches Bild: Der Leidende sollte sich fast ein wenig wie zu Hause fühlen. Freilich holte ihn die Wirklichkeit sehr schnell ein. Insbesondere wenn ein Bohrer mit maximal 2000 Umdrehungen zum Einsatz kam.

Man schrieb das Jahr 1898, als Albert Bauer sein „Elektro-Dentistisches Atelier für Zahnleidende, Künstliche Zähne etc.“ an der Straße „Vor den Steinthor 81“ eröffnete. Das ist heute die Hausnummer 32. Zur Werbung verteilte er Postkarten. Darauf sehen wir den Behandlungsraum seiner Praxis. Plüsch, Blumen, Zierdecken und Tapeten prägen das Erscheinungsbild. Der Boden ist mit einem Perserteppich bedeckt. Von Sauberkeit und Hygiene ist wenig zu sehen. Auf der oberen Ablage des Schreibsekretärs steht die 19-bändige Ausgabe von Meyers Konversations-Lexikon, das 1888/89 vom Bibliographischen Institut Leipzig herausgegeben wurde. Damit wollte er wohl demonstrieren, wie gut ausgebildet und belesen er war: ein Mann, dem man vertrauen kann. 1902 zog Albert Bauer zur Adresse Vor dem Steinthor 86, heute die Nummer 24.

Im Mittelpunkt seines „Ateliers“ steht der Behandlungsstuhl, rechts daneben ein wahrhaft großes Speibecken, hinter der Lehne ein Tischchen mit den Instrumenten. Rechts neben der Vitrine zum Fenster hin sehen wir eine pedalbetriebene Zahnarzt-Bohrmaschine. Diese erreichte eine maximale Drehzahl von 2000 Umdrehungen pro Minute. 1901 kam die Triumph-Bohrmaschine von Siemens in die Praxen. Diese erreichte bis zu 6000 Umdrehungen pro Minute.

Schmerzen durch geringe Drehzahlen 

Diese immer noch zu geringen Drehzahlen verursachen den Bohrschmerz. Um den Patienten dieses Leid zu ersparen, wäre es oftmals besser gewesen, wenn nicht gebohrt worden wäre. Die Phobie, die wir immer noch gegen einen Zahnarztbesuch haben, rührt aus jener Zeit her und wurde uns über Generationen hinweg bis heute weitergegeben. Zum Vergleich drehen heutige, mit  Druckluft betriebene Turbinenbohrer bis zu 450.000 Umdrehungen pro Minute. Diese arbeiten sehr vibrationsarm und verursachen kaum noch Bohrschmerz.

Die mechanisch betriebenen Zahnarzt-Bohrmaschinen, ob mit Pedal- oder Elehtroantrieb, verursachten oft Phobie gegen Zahnarztbesuche. Bei den heute üblichen Turbinen-Bohrmaschinen braucht diese Angst objektiv gesehen nicht mehr zu bestehen. Wilhelm Busch (1832 bis 1908) hat die Leidensgeschichte von Balduin Bählamm in Gedichtform gefasst:

Das Zahnweh, subjektiv genommen,

ist ohne Zweifel unwillkommen;
doch hat’s die gute Eigenschaft,
daß sich dabei die Lebenskraft,
die man nach außen oft verschwendet,
auf einen Punkt nach innen wendet
und hier energisch konzentriert.
Kaum wird der erste Stich verspürt,
kaum fühlt man das bekannte Bohren,
das Zucken, Rucken und Rumoren,

Ohne Bohrmaschine ging es auch - und ohne Betäubung: Zahnbehandlung anno dazumal, besungen von Wilhelm Busch.

Ohne Bohrmaschine ging es auch – und ohne Betäubung: Zahnbehandlung anno dazumal, besungen von Wilhelm Busch.

und aus ist’s mit der Weltgeschichte,
vergessen sind die Kursberichte,
die Steuern und das Einmaleins,
kurz, jede Form gewohnten Seins,
die sonst real erscheint und wichtig,
wird plötzlich wesenlos und nichtig.
Ja, selbst die alte Liebe rostet,
man weiß nicht, was die Butter kostet,
denn einzig in der engen Höhle
des Backenzahnes weilt die Seele,
und unter Toben und Gesaus
reift der Entschluß: Er muß heraus!

Albert Bauer war kein Zahnarzt.

Er war ein Zahntechniker, die man auch Zahnkünstler oder Dentisten nannte. Das waren ursprünglich Gehilfen des Zahnarztes, die für ihn künstliche Zähne und Ersatzstücke herstellten. Allmählich hat sich dann ein Stand herausgebildet, der sich ohne Befähigungsnachweis und ohne Aufsicht mit der Behandlung der Zähne und Zahnersatz befasste.

Bei der in Deutschland herrschenden Gewerbefreiheit könne der Zahntechniker seine Tätigkeit unbeanstandet ausüben, doch dürfe er sich nicht Zahnarzt nennen. Dagegen sei ein Zahnarzt eine staatlich geprüfte Medizinalperson, der die Pflege und Erhaltung der Zähne und deren Umgebung und das Einsetzen verlorener Zähne zustehe. Ähnlich klingende Titel, wie Zahntechniker, Dentist, Inhaber von Zahntechnischen Instituten etc. seien Umgehungen des nicht erworbenen Titels. So schreibt es Meyers Konservations-Lexikon von 1905.

Klartext: die Gebührenordnung der zugelassenen Zahnärzte sieht fast aus wie eine Patientenquittung. Quelle: Bremer Adressbuch von 1899

Klartext: die Gebührenordnung der zugelassenen Zahnärzte sieht fast aus wie eine Patientenquittung.
Quelle: Bremer Adressbuch von 1899

Zähne nur gezogen, nicht ersetzt

In Bremen waren 1899 nur zwölf Zahnärzte zugelassen (approbiert). Diese hatte sich eine eigene „Gebührenordnung für approbierte Zahnärzte“ gegeben. Im Bremer Adressbuch von 1899 kann es nachgelesen werden. Gemessen am Einkommen der arbeitenden Bevölkerung war eine Zahnbehandlung auch seinerzeit schon recht teuer. Nur wenige Hilfesuchende werden sich das haben leisten können. Meist wurden die Zähne nur gezogen und auf den Zahnersatz verzichtet. Im Bremer Adressbuch von 1899 sind 24 Zahntechniker eingetragen. Sie werden vermutlich ähnliche Gebühren wie die Zahnärzte berechnet  haben.

Da Albert Bauer nach eigener Darstellung ein Elektro-Dentistisches Atelier betrieb, kann sich diese Angabe eigentlich nur auf eine elektrisch betriebene Zahnarzt-Bohrmaschine beziehen. Da diese erst 1901 aufkam, wird er ein früher aufgenommenes Foto mit einer  pedalbetriebenen Bohrmaschine mit einer neuen Aufschrift versehen und diese 1901 als Werbe-Postkarten verteilt haben.

von Peter Strotmann

Beim Dentisten sah es aus wie im Wohnzimmer: Nur der Behandlungsstuhl, das Speibecken und der pedalbetriebene Bohrer (rechts) weisen auf das Gewerbe des Hausherrn hin. Bildvorlage: Peter Strotmann

Beim Dentisten sah es aus wie im Wohnzimmer: Nur der Behandlungsstuhl, das Speibecken und der pedalbetriebene Bohrer (rechts) weisen auf das Gewerbe des Hausherrn hin.
Bildvorlage: Peter Strotmann

Von Anbiet bis Zuckerklatsche

„Erst der Hafen, dann ist die Stadt“

Im Magazin „Erst der Hafen, dann ist die Stadt“ über Bremen und seine Häfen gehen wir in vielen historischen Bildern auf Zeitreise durch die maritime Vergangenheit unserer Hansestadt. Wie entwickelten sich die Häfen in Bremen vom Mittelalter bis heute? Wie sah die Arbeit zwischen Ladeluke, Kaje und Schuppen aus? Was hatte es mit den Anbiethallen auf sich? Und wie veränderte die Containerschifffahrt die Häfen? Wir blicken auf die Gründung der Freihäfen um 1900 und den Strukturwandel rund 100 Jahre später. Wir erzählen von Schmugglern und Zöllnern, von Bremens großen Werften sowie Abenteuern, Sex und Alkohol an der Küste – dem Rotlichtviertel am Hafen.

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