Neue Ausstellung im Staatsarchiv: Designer-Ehepaar Sibylle und Fritz Haase zeigt Bremen-Plakate von 1962 bis 2013
Eine barbusige Blondine liegt im Gras. Doch die Ruhe wird gestört durch das Summen einer Fliege, leicht enerviert schaut die Schöne zur Quelle des Ungemachs. Ihren Frieden findet sie erst wieder, als das lästige Insekt weg ist. Da macht es nichts, dass ein Flugzeug am stahlblauen Himmel aufsteigt. Denn diese Maschine ist „the quiet one“ – oder wie es auf der deutschsprachigen Version hieß: „die ganz, ganz leise“. Ein Flugzeug, das leiser ist als eine Fliege.
Gestaltet hat dieses Plakat nicht etwa ein wüster Macho, sondern eine Frau, die Grafik-Designerin Sibylle Haase. Es sei „eines unserer erfolgreichsten Plakate überhaupt“, sagt ihr Mann und Kollege Fritz Haase. „Ein echter Hingucker aus dem Jahr 1973.“ Noch im gleichen Sommer sei das Plakat in einer Kunstgalerie in Los Angeles gezeigt worden.
Zu sehen ist das Erfolgsplakat nun auch in einer neuen Ausstellung des Staatsarchivs Bremen – zusammen mit zahlreichen anderen Plakaten, die das Wirken des Bremer Designer-Ehepaars Sibylle und Fritz Haase von 1962 bis 2013 illustrieren. Die schlummernde Schöne entstand als Teil einer Plakatserie im Auftrag des damaligen Bremer Flugzeugherstellers Vereinigte Flugtechnische Werke (VFW), nach der Böttcherstraße der erste Großkunde des Ehepaars. „Wir betreuten die Werbung für die VFW 614“, sagt Fritz Haase.
Als erster Passagierjet, der nach dem Krieg in Deutschland entwickelt und gebaut wurde, hat die Maschine gerade am Produktionsstandort Bremen bis heute einen gewissen Kultstatus: Am Flughafen steht ein Modell, es gibt sogar einen Freundeskreis. Und das, obschon die Geschichte der VFW 614 nicht gerade eine Erfolgsgeschichte ist. In der Erprobungsphase stürzte 1972 ein Prototyp über Bremen ab, insgesamt wurden zwischen 1975 und 1977 nur 13 Linienmaschinen gebaut. Daran konnte auch die vielgepriesene Haase-Werbung nichts ändern.
Das Wirken des Bremer Designer-Ehepaars
Doch nicht nur die VFW-Plakate kreisen um Bremen, sondern alle ausgestellten Motive aus dem Fundus des Ehepaars. Wobei gerade die Werbeplakate für nostalgische Gefühle sorgen dürften, feiern in ihnen doch etliche Bremer Traditionsfirmen fröhliche Urständ, die schon lange der Vergangenheit angehören. Auf einmal perlt es wieder, das Glas Remmer-Bier in Gestalt einer Litfaßsäule. Und plötzlich ist sie wieder da, die schräge Mutti in Schwarz-Weiß als Fan eines neuen Nordmende-Modells in 3-D und Farbe.
Die ausgestellten Plakate sind freilich nur ein Bruchteil der Sammlung, die das Ehepaar Haase dem Staatsarchiv geschenkt hat. Insgesamt handelt es sich um mehr als 500 Plakate, die mit ihrem Bremen-Bezug hervorragend in die Plakatsammlung des Archivs passen. Liegt der Schwerpunkt der Sammlung ab den 1960er Jahren doch auf Bremer Motiven. Dass es sich bei den Haase-Plakaten um Originale handelt, versteht sich von selbst. Originale aus einer Zeit, als die Buchstaben noch handgezeichnet waren. „Und alle Plakate sind in sehr gutem Zustand“, betont Fritz Haase, „weil sie von Anfang an gut gelagert wurden.“
Beim Studium an der Staatlichen Kunstschule in Bremen haben sich Fritz und Sibylle Haase Ende der 1950er Jahre kennengelernt. 1963 gründeten sie ein gemeinsames Atelier, sechs Jahre später auch eine Werbeagentur. „Weil die Aufgaben immer komplexer wurden“, wie Fritz Haase sagt. Dass das Designer-Paar nicht nur Kunst- , sondern auch Werbeplakate gestaltete, sogar ganze Werbekampagnen wie die für die VFW initiierte, stieß indessen nicht überall auf Wohlgefallen.
Werbung als Versündigung
Werbung zu machen sei damals verpönt gewesen, so Sibylle Haase über die antikapitalistische Zeitstimmung. Schnell wurden die Haases als „Handlanger des Großkapitals“ gesehen, ihnen der Besitz von Produktionsmitteln angekreidet. In der Ausstellung unterstreicht das ein Flugblatt der Jungsozialisten vom Dezember 1971 gegen die Kunstfigur „Kauf“, die das Paar im Auftrag der Bremer Werbung ersonnen hatte: Ein Dolch steckt in der Figur, „Kill den Kauf“ lautet der konsumkritische Kampfruf. Von einem „Symbol des vorweihnachtlichen Konsumwahnsinns“ spricht einer der „Kauf“-Kritiker, der damalige Juso-Aktivist Olaf Dinné.
Da entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass sich das fast gleichaltrige Designer-Ehepaar vom rebellischen Zeitgeist inspirieren ließ, als es mit der Kunstfigur in die Verdener Innenstadt zog. „Da steckten drei Studenten drin“, erinnert sich Fritz Haase, man habe damals Flugblätter verteilt. „Damit haben wir Polit-Aktionen auf die Werbung umgemünzt.“ Ein unangemeldeter Anarcho-Klamauk, den die herbeigeeilten Ordnungshüter alles andere als witzig fanden. „Da sind wir doch wirklich kurzzeitig in Gewahrsam genommen worden“, sagt der 79-Jährige.
Dass die Sympathien des Grafik-Ehepaars eher dem fortschrittlichen Spektrum gehören, zeigt auch eine Arbeit im Auftrag der Bremer SPD. Als 1980 der damalige Kanzlerkandidat Franz Josef Strauß einen Abstecher nach Bremen machte, entwarfen die Haases ein geradezu minimalistisches Plakat. Auf schwarzem Grund ist nur der in Fraktur-Buchstaben gehaltene Schriftzug „FJS kommt“ zu lesen – sonst nichts. „Da kann man gleich optisch erfassen: Der Mann ist konservativ“, erklärt Fritz Haase die eigenen Beweggründe.
Freizügige Pop-Art-Motive
Gezeigt werden in der Ausstellung auch ziemlich freizügige Pop-Art-Motive aus den frühen 1970er Jahren – der Ära der sexuellen Revolution. Auf einem dieser Plakate aus der VFW-Kampagne ist eine halbnackte Blondine im Cockpit abgebildet. „Fremdkörper gehören nicht ins Flugzeug!“, heißt es dazu ungeniert in fetten Buchstaben. Ein Plakat, das nicht für Werbezwecke gemacht war, sondern als Illustration interner Sicherheitsvorschriften. Fritz und Sibylle Haase schmunzeln über ihr Werk aus den wilden Siebzigern.
Anstößig können die beiden die aufreizende Schöne nicht finden. Als Zeugnis der Zeit habe das Plakat seine Berechtigung in der Ausstellung, für potenzielle Tugendwächter bringt Sibylle Haase nur wenig Verständnis auf. „Was leben wir doch in spießigen Zeiten“, sagt die 78-Jährige kopfschüttelnd. Dass derlei unter dem Dogma politischer Korrektheit kaum noch eine Chance hätte, weiß indessen auch Fritz Haase: „Es waren eben andere Zeiten damals.“
Da konnte man auch schon mal etwas machen, was die beiden „Guerilla-Marketing“ nennen. Gemeint sind Werbeaktionen, die sich nicht weiter um Auflagen oder Genehmigungen scheren. „Bloß nicht immer um Erlaubnis fragen, sonst kommt man zu nichts“, sagt Fritz Haase. Um Erlaubnis hat das Ehepaar nicht gefragt, als es das von ihnen als Logo kreierte Böttcherstraßenschild auf einem Alpengipfel oder im Frankfurter Palmengarten platzierte.
Bei erfolgreicher Werbung geht es auch darum, gegen den Strom zu schwimmen, das Unerwartete zu tun. So wie 1972 bei einem Plakat zum zehnjährigen Bestehen der Bremer Werbung. Erwünscht und gewollt war selbstverständlich, Bremen im besten Licht darzustellen. Im strahlenden Sonnenschein, mit blauem Himmel. Doch das Ehepaar lieferte genau das Gegenteil: die Bremer Stadtmusikanten als durchnässte Geschöpfe bei trübem Wetter vorm Rathaus. „Wir haben Bremen gezeigt, wie es nun einmal ist – nass und regnerisch“, sagt Sibylle Haase. Der Entwurf setzte sich durch, unter insgesamt 133 Einsendungen belegte er den ersten Platz. Und woher die Tiere? „Die hat uns ein Wanderzirkus gestellt.“
Im Zirkel der Briefmarken-Designer
Freilich geht nicht immer alles glatt. So wie 1978, als Fritz Haase das Plakatmotiv für das Kulturfest „Weserlust“ gestaltete. Im Sinn hatte er einen schwimmenden Schriftzug auf der Weser, dahinter als Silhouette die umgedrehte Kommode. Noch ganz genau steht dem Designer das Szenario am Martini-Anleger vor Augen: „Ich hatte Dochte eingesetzt, damit die Buchstaben brennen.“ Das taten sie auch, gingen aber sogleich in Flammen auf.
Kokelnd trieben die traurigen Überreste stromabwärts. Der zweite Versuch war erfolgreicher. Als Weserersatz richtete Haase ein Wasserbecken in der heimischen Diele ein, die Beleuchtung war jetzt künstlich und die umgedrehte Kommode eine Projektion. Und doch wäre es auch diesmal fast schief gegangen. „Weil nämlich das Becken undicht war“, sagt Haase.
Doch solche Erfahrungen gehören dazu, sie machen den Reiz des Kreativen aus. Bis heute gestalten Fritz und Sibylle Haase für den Martinshof die Etiketten der „Bremer Senatsprodukte“. Und sie gehören seit mehr als 30 Jahren zum exklusiven Zirkel der Briefmarken-Designer für die Deutsche Post. Ans Aufhören denken die beiden noch lange nicht. Zu arbeiten gebe ihr Lust am Leben, sagt Sibylle Haase. „Jeden Morgen freuen wir uns auf unseren Schreibtisch.“
Nach dem Rückzug aus der Werbeagentur Haase & Knels + Schweers vor acht Jahren ist das kreative Paar jetzt wieder bei seinen Anfängen angekommen. „Heute arbeiten wir wieder viel zu zweit“, sagt Sibylle Haase. „Und das machen wir so lange, bis wir in die Kiste fallen.“
Wer es noch genauer wissen will, kann sich schon mal einen Termin vormerken: Am Freitag, 9. Dezember, um 17 Uhr führt Fritz Haase durch die Ausstellung im Staatsarchiv Bremen. Zu sehen ist die Schau noch bis zum 17. Februar 2017.
von Frank Hethey
Dieser Beitrag ist eine erweiterte und modifizierte Version eines Artikels, der am 23. November 2016 im Weser-Kurier erschienen ist.