Ein Mann, eine Reitbahn: Gründervater Carsten Haberjan sr. um 1926 im Eingang seines Hippodroms. Quelle: Familie Porsch

Ein Mann, eine Reitbahn: Gründervater Carsten Haberjan sr. um 1926 im Eingang seines Hippodroms.
Quelle: Familie Porsch

Haberjans Hippodrom war viele Jahrzehnte ein fester Anlaufpunkt auf dem Freimarkt

Über die „alten Daddys“ auf den besten Plätzen kann sich Wolfgang Porsch bis heute amüsieren. „Die saßen immer direkt an der Manege und spendierten den jungen Deerns öfter mal Freikarten.“ Nicht nur aus lauter Herzensgüte. Sondern auch, damit sie etwas zu sehen bekamen für ihr Geld. „Das war nämlich in den Zeiten, als gerade der Minirock aufkam“, sagt der 84-Jährige schmunzelnd. „Uns war das nur recht, so konnte man seine Karten auch an den Mann bringen.“

Gut war sie wohl immer, die Stimmung in Haberjans Hippodrom. Daran dürfte auch der reichlich ausgeschenkte Alkohol seinen Anteil gehabt haben. „Trinken konnten sie alle“, sagt Holde Porsch, die Stieftochter des Betreibers Carsten Haberjan, „es gab sogar eine Sektbar.“

Natürlich blieb der Alkoholgenuss nicht ohne Folgen, so manch ein ambitionierter Reiter hatte zu fortgeschrittener Stunde seine liebe Müh’  und Not, das hohe Ross zu erklimmen. „Das klappte nicht mehr immer“, sagt ihr Mann Wolfgang und zeigt ein Foto, auf dem sich mehrere Kavaliere mit vereinten Kräften redlich bemühen, eine angetrunkene Dame in den Sattel zu hieven.

Auch auf anderen Jahrmärkten ein beliebtes Ziel

Der legendäre Schaustellerbetrieb war jahrzehntelang ein fester Bestandteil des Bremer Freimarkts. Nicht nur an der Weser, auch auf den Jahrmärkten in Oldenburg, Delmenhorst, Elsfleth, Vegesack, Bremerhaven und Cuxhaven ließ sich Haberjans Hippodrom regelmäßig blicken, zeitweise reichte der Radius bis nach Hamburg, Hannover und Rostock. In den besten Zeiten waren sogar zwei „Pracht-Hippodrome“ auf Tour, eine dritte Ausführung stand als Reserve bereit. Zu Beginn der Jahrmarktssaison ging es dann los – aber auf dem Schienenweg, nicht auf der Straße. Das galt auch für die voluminösen Wohnwagen. „Früher wurde noch alles auf Waggons verladen“, sagt Wolfgang Porsch.

Prächtige Kulisse: Haberjans Hippodrom um 1910 in Rostock. Quelle: Familie Porsch

Prächtige Kulisse: Haberjans Hippodrom um 1910 in Rostock.
Quelle: Familie Porsch

Bis heute unvergessen ist der Werbeslogan „Reiten kann ein jedermann, im Hippodrom von Haberjan.“ In großen Lettern prangte der Spruch über dem Eingang, der von einem stilisierten Hufeisen gekrönt wurde. Beeindruckend auch die Schauseite des Hippodroms, eine hölzerne Frontkulisse mit aufwändig gemalten Pferdeszenen. Weil es derer drei gab, weichen die Gestaltungen voneinander ab. Dahinter verbarg sich aber immer ein zirkusartiges Zelt.

Das Erfolgskonzept lautete, neben dem Reitvergnügen auch Restauration anzubieten – in der Mitte die Manege mit Sägespänen, rundherum ausreichend Plätze fürs durstige Publikum. „Zu essen gab es bei uns nichts“, sagt Holde Porsch, „dafür musste man woanders hingehen.“

Haberjan schlug mächtig auf die Pauke: Werbung für die "Pracht-Hippodrome" auf dem Bremer Freimarkt. Quelle: Familie Porsch

Haberjan schlug mächtig auf die Pauke: Werbung für die „Pracht-Hippodrome“ auf dem Bremer Freimarkt.
Quelle: Familie Porsch

Doch das war noch nicht alles, denn für musikalische Zwischentöne sorgte ein Orchester. „Die haben immer Märsche gespielt, was anderes gab’s nicht“, sagt Wolfgang Porsch. Erst als die Live-Musik zu kostspielig wurde, stieg man 1958 auf Schallplatten um.

Bis zuletzt waren die Eheleute Porsch dabei, arbeiteten aber nicht durchgängig in dem Familienbetrieb. Beide hatten ihren Beruf, er verdiente sein Geld als Schiffszimmerer beim Norddeutschen Lloyd, sie als Verkäuferin in einem Feinkostgeschäft. Doch wenn sie gebraucht wurden, waren sie zur Stelle.

Anfänge vor über 100 Jahren

Dabei konnten schon mal lange Nachtschichten herauskommen. Wolfgang erinnert sich an einen spontanen Einsatz beim Kramermarkt in Oldenburg. „Morgens bis vier Uhr habe ich den Abbau organisiert und bin dann wieder zur Arbeit nach Bremen gefahren.“

Die Anfänge von Haberjans Hippodrom reichen zurück bis ins Dreikaiserjahr 1888. Erst gab’s einen Probelauf beim Schützenfest im Frühjahr und dann das Debüt auf dem Freimarkt. Hinter dem Unternehmen stand Carsten Haberjan senior, ein gelernter Hufschmied.

Sein Vater betrieb eine Gastwirtschaft mitsamt Fuhrbetrieb im Stephaniviertel, den „Vegesacker Hof“ am Geeren. Die Liebe zum Pferd war dem Filius also quasi in die Wiege gelegt, schon als Jugendlicher überzeugte er durch seine Reitkünste.

Stürzte während seiner Militärdienstzeit zweimal vom Pferd: Carsten Haberjan sr. Quelle: Familie Porsch

Stürzte während seiner Militärdienstzeit zweimal vom Pferd: Carsten Haberjan sr.
Quelle: Familie Porsch

So ganz freiwillig kam sein Wechsel ins Schaustellergewerbe allerdings nicht zustande. Zweimal stürzte er während seiner Militärdienstzeit bei einem Reiterregiment vom Pferd und brach sich den Arm. Seinem Beruf als Hufschmied konnte er nun nicht mehr nachgehen. Zunächst arbeitete er als Pferdehändler, erst als 34-Jähriger rief er das Hippodrom ins Leben.

Der Besuch der Pferdebahn ist Tradition

In Bremen wurde Haberjans Hippodrom schon bald zum Begriff. Ein Freimarkt ohne ein paar Runden auf dem Pferderücken? Völlig undenkbar, der Besuch der Pferdebahn gehörte einfach dazu. Unzählige Menschen saßen bei Haberjan zum ersten Mal in ihrem Leben auf einem Pferd. „Zehn Pferde, zwei Ponys und ein Esel drehten in der Manege ihre Runde“, sagt Holde Porsch.

Direkt benachbart: Haberjans Hippodrom und die Ponybahn. Quelle: Familie Porsch

Direkt benachbart: Haberjans Hippodrom und die Ponybahn.
Quelle: Familie Porsch

Im Auftaktjahr 1888 befand sich Haberjans Hippodrom am Rembertitunnel, dort soll an einer Bretterwand auch zum ersten Mal der bekannte Haberjan-Slogan aufgetaucht sein. Der Freimarkt wurde damals an verschiedenen Innenstadtstandorten abgehalten, seit 1890 auch auf dem Grünenkamp in der Neustadt. Erst seit 1934 steigt das Volksfest auf der Bürgerweide.

Was die Erwachsenen konnten, sollte dem Nachwuchs nicht verwehrt bleiben. Seit 1933 gab es noch zusätzlich ein Kinderkarussell mit Shetland-Ponys. „Das stand immer in unmittelbarer Nähe“, sagt die 77-Jährige. Am Ende überdauerte das Kinderkarussell sogar das Hippodrom, noch in den frühen 1970er Jahren war es ein fester Bestandteil des Bremer Weihnachtsmarkts.

Beheimatet war der Betrieb an der Hohentorsheerstraße in der Neustadt. Dort hatte Carsten Haberjan nicht nur ein eigenes Haus, sondern auch eine Reitbahn und die Stallungen für seine insgesamt 24 Pferde. Zu Freimarktzeiten blieben die Pferde nicht über Nacht auf der Bürgerweide.

Immer dabei: Haberjans Hippodrom um 1965. Quelle: Familie Porsch

Immer dabei: Haberjans Hippodrom um 1965.
Quelle: Familie Porsch

Das Merkmal Reitpeitsche ist Unsinn

„Mittags trabten die Pferde los, und abends ging es wieder zurück in die Neustadt“, erinnert sich Wolfgang Porsch. Ein langer Zug von Vierbeinern, wobei die Pferde auf dem Hinweg schon gesattelt waren. Um helfende Hände brauchte man sich nicht zu sorgen. „Das haben pferdebegeisterte Mädchen immer gern gemacht.“

Nach dem Tod seines hochbetagten Vaters im April 1941 übernahm Carsten Haberjan junior die Regie. Sein Markenzeichen: die Melone. In alten Zeitungsartikeln ist auch immer wieder von einer Reitpeitsche als Erkennungsmerkmal die Rede. Doch das sei Unsinn, sagt Wolfgang Porsch.

Hatte einen Stock, keine Peitsche: Carsten Haberjan jr. um 1967. Quelle: Familie Porsch

Hatte einen Stock, keine Peitsche: Carsten Haberjan jr. um 1967.
Quelle: Familie Porsch

Sein Schwiegervater habe keine Peitsche gehabt, sondern nur einen Stock zum Dirigieren der Pferde. Lange Jahre war Haberjan ein Junggeselle, geheiratet hat er erst im Alter von 62 Jahren – die Auserwählte war Auguste Elise Zweibarth, die geschiedene Mutter von Holde Porsch.

Ein festes Quartier für die Tiere

Ganzjährig geöffnet war die Reitbahn an der Hohentorsheerstraße: als Reitschule eine sprudelnde Einnahmequelle und zugleich ein festes Winterquartier für die Vierbeiner. Da gab es dann auch schon mal Sonderveranstaltungen wie das „Fest der Reiterinnen“ im März 1935 mit einer Cowboy-Szene und einer „Dame als Scharfschütze“.

Freilich zerstörte der Zweite Weltkrieg die Idylle. Nicht nur die Reitbahn, auch das Wohnhaus verwandelte sich in einen Trümmerhaufen. Bei Bekannten in der Nähe von Verden kam die Familie unter, fand sich aber schon 1945 beim ersten Freimarkt nach Kriegsende wieder in Bremen ein – wenn zunächst auch ohne das obligatorische Zelt. Ein paar Pfähle in der Erde und dazwischen Stricke mussten fürs Erste reichen.

In den goldenen Jahren des „Wirtschaftswunders“ kam Haberjans Hippodrom rasch wieder ins Geschäft. Mit dem Unterschied freilich, dass die Familie bis zuletzt kein festes Dach über dem Kopf hatte, sondern im Wohnwagen lebte. Verzichten musste Haberjan auch auf den Wiederaufbau seiner Reitbahn. Stattdessen kam zusätzliches Geld über die Vermietung einer Hochzeitskutsche herein. Und über eine weitere Kutsche, die als Reklamewagen über Bremens Straßen rumpelte.

Neue Fahrgeschäfte waren nicht Grund für das Ende

Haberjans Hippodrom von der Seite gesehen: die bemalte Schauseite mit dem zirkusartigen Zelt um 1954. Quelle: Familie Porsch

Haberjans Hippodrom von der Seite gesehen: die bemalte Schauseite mit dem zirkusartigen Zelt um 1954.
Quelle: Familie Porsch

Warum aber das abrupte Ende im Oktober 1970? Schon lange abgezeichnet hat es sich keineswegs, noch zwei Jahre zuvor war das 80-jährige Bestehen groß gefeiert worden. Moderne Fahrgeschäfte seien jedenfalls nicht der Grund gewesen, sagt Wolfgang Porsch. Er ist überzeugt: „Das Konzept würde sich auch heute noch tragen, für Pferde können sich die Menschen immer begeistern.“ Tatsächlich ließ Haberjan damals wissen, er könne kein Personal mehr finden für die anstrengenden und langwierigen Arbeiten.

Mit seinem fortgeschrittenen Alter habe das Aus nichts zu tun, betonte Haberjan damals. Die Hoffnung des 69-Jährigen: vielleicht doch die Reitbahn in einem festen Haus wiederzueröffnen und so seinen Angestellten eine Beschäftigungsperspektive über die bloße Saisonarbeit hinaus zu verschaffen. Doch dazu kam es nicht mehr, nur das Kinderkarussell hielt noch eine Weile durch. Fast genau ein Jahr nach dem Tod seiner Frau starb Carsten Haberjan 87-jährig im November 1988.

Wer weiß, vielleicht vermisst so manch ein Freimarkt-Besucher sein Hippodrom bis heute. Und ruft sich beim Bummel über die Bürgerweide noch einmal den schönen Reim in Erinnerung. Auch wenn wegen des Alkoholpegels doch nicht mehr jedermann noch reiten konnte bei Haberjan.

von Frank Hethey

Dieser Beitrag ist die erweiterte Fassung eines Artikels, der am 18. Oktober 2016 im Weser-Kurier erschienen ist. 

Mal in Farbe statt nur in schwarz-weiß: Haberjans Hippodrom 1961 auf dem Bremer Freimarkt. Quelle: Familie Porsch

Mal in Farbe statt nur in schwarz-weiß: Haberjans Hippodrom 1961 auf dem Bremer Freimarkt.
Quelle: Familie Porsch

 

Von Anbiet bis Zuckerklatsche

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